Bochum. Kulturwandel im Schrebergarten: Vielerorts werden die Anlagen naturnäher und weniger akkurat bepflanzt. Sehen die Nachbarn so etwas gerne?
„Dreißig Meter im Quadrat, Blumenkohl und Kopfsalat“, haben die Jacob-Sisters den typischen deutschen Kleingarten einst besungen. Lange her und längst vorbei. Zumindest in dieser Parzelle des Kleingartenvereins Bochum Riemke.
Knöchelhoch steht das Gras an manchen Stellen, Engelwurz und Königskerzen wachsen anscheinend, wo sie wollen, und nahe dem Eingang ist der Boden mit Pflanzen bedeckt, die viele Menschen Unkraut nennen. Inga Riebel spricht lieber von „Begleitgrün“ und beschreibt den Zustand ihres Kleingartens als „geordnetes Chaos“. Parzellen wie ihre sind längst noch nicht die Regel, eine Ausnahme aber sind sie nicht mehr. Auch im Ruhrgebiet liegt der naturnahe Garten im Trend. Nicht jeder Nachbar ist davon begeistert.
Bochumer Kleingarten ist der größte im Revier
Anders als naturnah aber könnte Riebel sich ihr grünes Paradies auch gar nicht vorstellen. Schon lange wollte sie einen Kleingarten haben, aber erst als sie davon überzeugt war, dass sie „angekommen war im Leben, an einem Ort, an dem ich bleiben will und mit einem Gehalt, mit dem ich planen kann“, hat sie sich beworben. Beim KGV im Bochumer Stadtteil Riemke – dem mit rund 380 Parzellen größten im Revier. Im Herbst 2021 hat sie ihren Garten dort bekommen.
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Wobei „Garten“ das falsche Wort ist für die Parzelle in ihrem damaligen Zustand. „Verwildert“ nennt sie selbst der Vereinsvorsitzende Olaf Sett. „Weil sie der Vorbesitzer über mehrere Jahre nicht gepflegt hat.“ Kommt vor, passiert laut Sett aber selten. Eine Handvoll Fälle habe es gegeben in Riemke in den letzten Jahren. Alle Pächter haben die Kündigung bekommen oder stehen kurz davor.
Mit der Heckenschere zur Laube durchgekämpft
„Ich konnte mich nur mit der Heckenschere bis zur Laube durchkämpfen“, erinnert sich Riedel an die ersten Tage. Geschockt hat sie das nicht. Eine Skizze hat sie gemacht, hat dann zusammen mit einem Freund gesenst und gejätet, gepflanzt und gehegt und auch eine großen Berg Sandsteine heran geschleppt. Viel „Zeit und Energie“ hat sie investiert und „auch viel Geld“. Entstanden ist ein Naturerlebnis „für alle Sinne“. Mit einer bunten Wildblumenwiese, heimischen Stauden, mit Obst und Gemüsebeeten und einem Rasen, der nicht jede Woche gestutzt wird.
„Komm in meinen Garten. Ich möchte, dass meine Pflanzen dich kennenlernen“, steht auf einem Schild, das die 41-Jährige an den Eingang gestellt hat. Eine Aufforderung, der eine dicke Hummel gerade nachkommt. „Die kommt jeden Tag“, sagt Wiebel und lacht. „Immer zwischen drei und fünf Uhr.“ Und sie ist nicht alleine. Mit bestimmten Pflanzen könne man ja bestimmte Insekten oder Vögel anlocken, hat Riedel im Vorfeld gelesen und weiß mittlerweile. „Das stimmt oft.“
Generationswechsel hat begonnen
Naturnahe Gärten wie den von Riedel gibt es im Ruhrgebiet immer öfter. „Der Trend ist da“, bestätigt Thomas Stölting, wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Bundesverband Deutscher Gartenfreunde (BDG). „Das Thema ist bei den Menschen angekommen“, ist auch Birgit Königs, Sprecherin des Naturschutzbundes NRW überzeugt. Quer durch alle Altersklassen, „besonders aber bei jüngeren Familien“. Und genau die finden sich immer öfter in den Kleingärten des Landes.
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„Die alte Garde ist in die Jahre gekommen“, sagt Ralf Krücken, Geschäftsführer des Landesverbands Rheinland der Gartenfreunde. Und auch wenn der Bochumer Vereinsvorsitzende beteuert, „Gartenarbeit hält fit“, zieht es bei dem einen im Rücken, zwickt es bei der anderen im Knie. Irgendwann wird der Kleingarten dann aufgegeben, jüngere Hobby-Gärtner und Gärtnerinnen rücken nach. Außerdem haben immer mehr Menschen anderer Kulturen den Kleingarten für sich entdeckt. Beide Gruppen, heißt es, würden „manches lockerer sehen“. „Es ist sehr viel im Umbruch“, bestätigt Frank Gerber, Geschäftsführer beim Stadtverband Dortmunder Gartenvereine. „Aber das wird dauern“, sagt Sett.
„Schön, aber nichts für mich“
Natürlich, sagt Gerber, gebe es aber immer noch die Gärten, in denen die Radieschen „wie mit der Schnur gezogen“ wachsen. „Das ist ja auch nicht verboten.“ Krücken hat Ähnliches festgestellt. „Es gibt Menschen, die mit einem naturnahen Garten nichts anfangen können.“ Die gibt es, wie auch Inga Riedel in vielen Gesprächen mit Parzellennachbarn oder Besuchern der Anlage festgestellt hat. „Schön, aber nichts für mich“, sagen sie oft. „Aufgeregt allerdings hat sich keiner über meinen Garten.“
Streit wegen der Naturgärten habe es in Riemke bisher überhaupt noch nicht gegeben, sagt Sett und ist überzeugt: „So lange nichts rüberwächst, wird sich das wohl nicht ändern.“ Auch weil das Thema im Verein schon lange präsent sei. Längst verwandele man Rasenflächen in den öffentlichen Bereichen der Anlage in Wildblumenwiesen. Und dann sind da auch noch Claudia Herbers und Sako Fazlic, die dort einen Bienengarten mit zahlreichen Völkern haben.
Naturnah ist keine Ausrede für Faulheit
Eine Warnung aber senden beinahe alle Kleingärtner möglichen Neulingen. „Naturgarten heißt nicht einfach alles liegen zu lassen“, stellt Krücken klar. Und er sei auch keine anerkannte Ausrede für Faulheit des Hobbygärtners. Wild überwucherte Wege, nicht gestutzte Bäume – „dann verwahrlost das Grundstück bald“, sagt auch Sett. „Die Grundregeln sind schon einzuhalten.“ Gibt ja nicht umsonst das Bundeskleingartengesetz.
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„Ein naturnaher Garten ist Arbeit“, hat Inga Riedel schon lange festgestellt. Allerdings eine, die belohnt wird. Denn so hat sie sich einen Platz geschaffen, an dem sie abschalten kann, wie sonst nirgendwo. „Schon auf dem Weg dahin werden die Sorgen und Probleme der normalen Welt nach und nach abgemeldet.“ Was Platz für eine innere Ruhe, die die Tierpflegerin auf ihrer Parzelle stets befällt. Weil sie sich eisern an eine Regel hält. „Wenn ich länger als 40 Minuten dort gearbeitet habe, stehe ich anschließend einfach da oder setze mich auf eine Bank. Und dann genieße ich einfach die Natur.“