Dortmund. Die Konkurrenz wird immer größer. Die Dortmunder Uni hat jetzt untersucht, ob das Büdchen im Revier überleben kann.
Kippen, Klümpchen, Klönen. Im Ruhrgebiet, hat mal jemand ausgerechnet, stößt man statistisch alle sieben Minuten auf ein Büdchen. Nirgendwo in der Bundesrepublik gibt es eine höhere Dichte der kleinen Verkaufsstellen. Noch. Denn ihre Betreiber geraten laut einer neuen Studie immer stärker unter Druck. Steht das Büdchen im Revier vor dem Ende?
Paul Eisewicht war oft unterwegs in den vergangenen Monaten – gerne auch am Abend oder sogar spät in der Nacht. In Dortmunder Kiosken hat er gestanden, hat dort stundenlang mit den Männern und Frauen geredet, die sie betreiben. Alles beruflich, wohlgemerkt. Denn der Soziologe an der Technischen Universität Dortmund gehört zu einer internationalen Forschergruppe der Stiftung Mercator und der Universitätsallianz Ruhr, die sich mit den Männern und Frauen beschäftigt, die – manchmal fast rund um die Uhr – ein Büdchen betrieben. „Über sie gab es bisher kaum Studien drüber“, sagt Eisewicht.
Rund 2000 Kioske haben dicht gemacht
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Es gab lange Zeit überhaupt nur wenige Studien über die Kioske im Revier. „Sie waren halt immer da“, sagt Eisewicht. So wie Kohle, Stahl und Bier. Nicht mal ihre genaue Zahl ist bekannt. Rund 38.000 sollen es vor Corona bundesweit gewesen sein. 10.000 davon, heißt es, standen im Revier. Geschätzt. Rund 2000 Kioske seien in den vergangenen zehn Jahren verschwunden, hat der Handelsverband Deutschland (HDE) vor einiger Zeit bekannt gegeben. Auch geschätzt.
Eisewicht hat auch keine Zahlen. „Aber es sind weniger geworden“, weiß er aus eigener Erfahrung. Und bei denen, die noch da sind, haben die Betreiber oft gewechselt. „Drei Viertel der Kioske im Ruhrgebiet werden mittlerweile von Menschen mit Migrationshintergrund betrieben“, sagt der Soziologe. Statt Onkel Alfred blickt heute Onkel Ali aus dem Fenster der Bude und fragt die Stammkundschaft: „Wie immer?“
„Der Druck kommt von allen Seiten“
Die Stammkundschaft aber wird kleiner. Vor allem weil Lebensmittelgeschäfte und Discounter viel länger geöffnet haben als früher und aus vielen Tankstellen längst kleine Supermärkte geworden sind. Nicht zu vergessen die steigende Zahl von Lieferdiensten. Waren Nudeln aus dem Büdchen nach einem Blick in den leeren Kühlschrank früher oft die letzte Rettung, reicht heute ein Griff zum Handy, und Kulinarisches aus aller Welt kommt binnen einer halben Stunde ins Haus. „Der Druck kommt von allen Seiten“, bestätigt Eisewicht.
Und er wird immer größer. Erst Corona, jetzt die gestiegenen Energie- und Lebensmittelpreise. „Das können viele nicht mehr auffangen“. Aber, hat der Wissenschaftler festgestellt, „jeder Kiosk ist anders“. „Es gibt einige, die laufen fantastisch.“ Weil sie nahe an einer Schule liegen oder auf dem Weg zum Stadion. Oder weil sie einfach Kult sind. „Viele Betreiber aber leben derzeit von der Hand in den Mund“, obwohl sie teils zwischen 80 und 120 Stunden arbeiten. Leben vom Kiosk heißt Leben im Kiosk. „Deinen Stundenlohn darfst du dir gar nicht erst ausrechnen.“
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Da wundert man sich, dass nicht mehr aufgeben. Eisewicht nickt, kann das aber nach vielen Gesprächen erklären. „Manche würden als Putzkraft wahrscheinlich sogar mehr verdienen.“ Aber in dem Job fehle oft die Anerkennung. „In vielen Firmen werden Reinigungskräfte von den anderen Mitarbeitern ja nicht einmal gegrüßt.“ Hinter der Theke ihres Kiosk dagegen fühlen sie sich anerkannt, ja oft sogar integriert ins Viertel. Man kennt sie, sie kennen die Kundschaft. Wissen , wie viele Brötchen das Paar von der anderen Straßenseite am Sonntag kauft und was die Lieblings-Eissorte des Halbwüchsigen von nebenan ist. Manche Betreiber seien echt stolz, endlich dazu zu gehören, hat Eisewicht festgestellt.
Immer teurer als der Discounter um die Ecke
Aber Stolz zahlt keine Rechnungen. Selbst wenn sie grundsätzlich zufrieden mit ihrer Arbeit sind, glauben viele laut Studie, dass sie mittelfristig finanziell nicht durchhalten. Und leider behalten sie Recht. „Es gibt Buden, bei denen wechselt alle paar Monate der Betreiber.“
Wer bleibt, steht entweder den ganzen Tag in seinem Kiosk oder hat die Familie mit ins Boot geholt, weil „sich die Bude mit Angestellten oder Aushilfen nicht mehr rechnen würde“. Und selbst dann müssen sie ihre Waren immer teurer verkaufen, als der Discounter um die Ecke. Das macht es nicht einfacher. „Manche Kunden können sich das in diesen Zeiten den Kauf am Kiosk nicht mehr leisten.“
Clevere Betreiber würden ihren Laden allerdings an die Verhältnisse ihres Viertels anpassen, sagt Eisewicht. „Wo junge Familien wohnen, gehen Windeln gut. Und wo Kinder leben, laufen Sammelbilder hervorragend.“ Toilettenpapier ist übrigens fast überall im Angebot.
Diese Anpassungsfähigkeit könne zwar einen weiteren Rückgang bei der Anzahl der Kioske nicht verhindern, aber wohl zumindest dafür sorgen, dass die „Institution Bude“ im Ruhrgebiet nicht völlig verschwinden werde, sagt der Soziologe. „Büdchen-Betreiber können viel schneller als ein klassischer Lebensmittelladen oder eine Tankstelle auf Veränderungen reagieren.“ Das müssen sie allerdings auch. „Wer nicht flexibel ist“, ahnt Eisewicht, „der wird es mit seinem Kiosk nicht mehr schaffen. Denn schon 100 Meter weiter, wartet ja schon die nächste Bude.“
Es wird ein leises Verschwinden
Es wird in den meisten Fällen ein leises Verschwinden. „Wenn Karstadt schließt“, haben sich nicht wenige Kiosk-Betreiber bei dem Forscher beklagt, sei der Aufschrei in Politik und Gesellschaft oft groß. „Aber wenn zehn Kioske verschwinden“, hat sich ein Betroffener geärgert, „dann sagt keiner etwas.“