Essen. Mit einem Schlüsseldienst für Notfälle soll die Essenerin Millionen kassiert haben. Die Anklage lautet auf Betrug und Steuerdelikte.

Sie versprechen schnelle und zuverlässige Hilfe, wenn die Tür ins Schloss gefallen ist und der Schlüssel drinnen liegt. Doch oft verbergen sich hinter diesen im Internet angepriesenen Notdiensten betrügerische Abzockefirmen. Vor dem Landgericht Essen muss sich seit Dienstag die 35-jährige Nare S. wegen Betruges, Wucher und Steuerhinterziehung verantworten. Die Essenerin aus dem Stadtteil Katernberg soll zur Führungsriege einer dieser betrügerischen Firmen gehört haben.

Die Situation ist fast schon Alltag. Zumindest kennt fast jeder einen anderen, der vor diesem Problem stand: Man verlässt kurz die Wohnung, lässt den Schlüssel drinnen liegen und hört auf einmal, wie die Tür ins Schloss fällt. Oder der Schlüssel bricht ab beim Öffnen oder Schließen der Tür.

Angebote im Internet

Natürlich passiert das nachts oder am Sonntag. Und dann ist die Not groß. Wer kann helfen? Ein Blick ins Internet, das Handy hat man natürlich nicht in der Wohnung vergessen, hilft weiter. Da preisen sich Firmen an, die ausführlich beschreiben, wie seriös und zuverlässig sie seien. Sie nennen sogar Festpreise und die Höhe des Nachtzuschlages. Und sie erwecken den Eindruck, am Ort ansässig zu sein.

Vorsicht ist geboten. Denn mit genau solchen Internetauftritten hat auch Nare S. geworben. Ortsansässig war sie wohl nicht. Laut Anklage betrieb sie Call Center in Essen und Marokko, bei denen aus ganz Deutschland die Anrufe von Menschen in Not eingingen. Sie soll dann bundesweit Monteure eingesetzt haben, die zu den Kunden fuhren.

86 Betrugsfälle angeklagt

Was dann geschieht, listet die Anklage der Bochumer Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Wirtschaftsdelikte in 86 Fällen auf. Schlecht ausgebildete Monteure treten auf, bezeichnen sich als örtliche Handwerker und lassen sich vorab auf keine Festpreiszusage ein. Fast immer zerstören sie den alten Schließzylinder und bauen einen neuen ein.

Erst dann präsentieren sie die laut Staatsanwaltschaft massiv überhöhte Rechnung. „Unter Ausnutzung der Zwangslage“, so heißt es, setzen sie ihre Forderung durch. Manchmal drohen sie, den Schließzylinder wieder auszubauen. Sie bestehen auf sofortige Zahlung, entweder in bar oder mit der EC-Karte.

Rechnung über 1500 Euro

Im ersten Fall der Anklage nennt die Staatsanwaltschaft für das Auswechseln des Zylinders wohlwollend einen ortsüblichen Preis mit Zuschlag in Höhe von 350 Euro. Der Monteur verlangte dagegen 768,76 Euro. Und selbst das ist für die betrügerischen Notdienste noch ein Schnäppchenpreis. Die Anklage nennt Fälle, in denen der Monteur bis zu 1500 Euro kassiert.

Der Rechnungspreis sei auch nicht mit dem Aufwand zu begründen, erläutert die Anklage. Der Monteur habe vielmehr die Aufgabe, die Lebensumstände des Kunden einzuschätzen. Wer also viel Geld zu haben scheint und unsicher wirkt, der zahlt den höchsten Betrag.

Acht Millionen Euro Umsatz

Der Monteur selbst ist übrigens das schwächste Glied in der Kette der Abzockefirmen. Am meisten profitieren Leute wie Nare S. Denn laut Anklage hat sie 65 Prozent dessen kassiert, was der Monteur seinen Kunden abgezwungen hat. Das lohnt sich. Die Bochumer Staatsanwaltschaft spricht davon, dass sie durch die Vermittlung der Monteure allein von März 2018 bis August 2019 rund acht Millionen Euro Umsatz gemacht hat.

Davon dürfte ein großer Teil als Gewinn gezählt haben. Denn große Betriebskosten wird die Angeklagte wohl nicht gehabt haben, und das Finanzamt soll sie auch nicht bedacht haben. Zusätzlich ist sie nämlich angeklagt, im Zeitraum von Frühjahr 2018 bis zum 2. März 2020 keine Umsatzsteuer abgeführt zu haben.

Geständnis im Ermittlungsverfahren

Nare S., die sich vor der ersten Essener Wirtschaftsstrafkammer gemeinsam mit einer untergeordneten Mitarbeiterin verantworten muss, wird ihre Tätigkeit deshalb als Türöffner zu eigenem Reichtum verstanden haben. Allerdings hatte sie in der Hierarchie wohl noch mindestens einen Mann über sich. Im Ermittlungsverfahren soll sie ihre Tatbeiträge zum Großteil gestanden haben. Sechs Sitzungstage hat die Strafkammer zur Aufklärung des Falles eingeplant.

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