Essen. Der Rücktritt von NRW-Parteichef Thomas Kutschaty ist eine Belastungsprobe für die SPD. Dieser Schritt kam letztlich nicht überraschend.
Die einst stolzen Sozialdemokraten an Rhein und Ruhr stehen vor einem Scherbenhaufen – und damit vor einer ungewissen Zukunft. Spätestens das Debakel bei der Nominierung einer neuen Generalsekretärin, bei der die weithin unbekannte Kutschaty-Favoritin Magdalena Möhlenkamp krachend scheiterte, ließ keinen Zweifel offen: Die NRW-SPD hat das Vertrauen in ihren Landesvorsitzenden verloren und sieht mit ihm keine Perspektive mehr. Thomas Kutschaty wurde zum Rücktritt gezwungen.
Dieser Schritt kam letztlich nicht überraschend, nur der Zeitpunkt war schwer vorherzusagen. Denn eigentlich wäre der desaströse Ausgang der Landtagswahl im Mai vergangenen Jahres für Kutschaty schon Anlass genug gewesen, die Konsequenzen zu ziehen. Damals hatte die NRW-SPD mit 26,7 Prozent der Wählerstimmen das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte eingefahren.
Debakel bei der Landtagswahl hatte auch viel mit Kutschaty zu tun
Doch die Aufarbeitung der schweren Niederlage verlief nicht so konsequent und zukunftsorientiert, wie es sich viele Parteimitglieder im Land gewünscht hätten. Denn das Debakel hatte auch viel mit dem Spitzenkandidaten zu tun, der allerdings im Amt blieb. Kutschaty ist ein integrer, seriöser Mann. Der Jurist aus Essen taugt nicht für politische Luftnummern und die große Show auf der Politbühne, was ihn durchaus sympathisch macht. Aber er ist eben auch keiner, der die Menschen mitreißt, der ihnen das Gefühl gibt, das bevölkerungsreichste Bundesland in die Zukunft führen zu können. Dazu gehören mehr Empathie und Begeisterungsfähigkeit, vor allem aber mehr Führungsstärke.
Tatsache ist zudem, dass der sozialdemokratische Oppositionsführer für zu viele Menschen im Land bis zum heutigen Tag ein Unbekannter blieb. „Kutschaty wer...?“ war vielerorts keine polemische, sondern eine ernst gemeinte Frage. Auf dieser Basis konnte es auch nicht gelingen, die Sozialdemokraten in ihrem einstigen Stammland aus der Krise zu führen.
Die NRW-SPD hat ihre Stärke verloren
Die NRW-SPD hat auf nahezu allen Politikfeldern und in vielen Landesteilen ihre Stärke verloren. Außerhalb des Ruhrgebiets, etwa im Rheinland, im Münsterland oder im Sauerland, ist die CDU unter Ministerpräsident Hendrik Wüst mittlerweile etabliert. Das Vertrauen in die Kompetenz der SPD, Probleme zu lösen und die großen Zukunftsfragen der Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- oder Bildungspolitik zu beantworten, sank hingegen stetig. Damit ist natürlich nicht gesagt, dass die Christdemokraten diese Herausforderungen bewältigen können. Das Vertrauen in die SPD war und ist schlicht noch geringer.
Hinzu kommt, dass die Sozialdemokraten nicht nur in den traditionell konservativ geprägten ländlichen Regionen geschwächt dastehen. In vielen Großstädten haben ihnen die Grünen den Rang abgelaufen. Diese sind nicht nur Teil einer weitgehend geräuschlos funktionierenden schwarz-grünen Regierungskoalition, sondern besetzen in mehreren Rathäusern auch die Oberbürgermeister-Ämter. Solange es CDU und Grünen gelingt, für modernen Konservatismus auf der einen und innovative Zukunft auf der anderen Seite zu stehen und solange Hendrik Wüst und Mona Neubaur an der Regierungsspitze harmonieren, bleibt der SPD wenig Raum zur Rückkehr an die Macht.
Parteispitze hat kein Nachwuchs-Personal aufgebaut
Zumal die Sozialdemokraten in NRW sich auch den Vorwurf gefallen lassen müssen, in der zweiten Reihe kein Personal aufgebaut zu haben, dem man jetzt die Führungsstärke und die Kompetenz zutraut, eine am Boden liegende Partei wieder aufzurichten.
Der Rücktritt von Thomas Kutschaty ist angesichts der vergangenen Rückschläge konsequent und mag eine Chance für einen Neubeginn in der SPD sein. Wie das funktionieren könnte, zeichnet sich derzeit aber nicht ab.
Die Anforderungen hingegen sind klar: Bisher arbeiteten Bundestagsfraktion, Landtagsfraktion und Rathausspitzen der SPD eher gegen- als miteinander. Wenn sie sich in dieser Lage nicht zusammenraufen, dann ist die Landespartei akut in ihrer Existenz gefährdet. Außerdem steht mit Kutschaty jetzt ein beschädigter Vorsitzender an der Spitze der Landtagsfraktion. Deshalb ist die Führungsfrage schnellstens zu klären. Mit der Entscheidung, vorerst am Fraktionsvorsitz festzuhalten, hat Kutschaty Partei und Fraktion keinen Gefallen getan.