Ruhrgebiet. Immer weniger Menschen sind bereit, als Sargträger zu arbeiten. Bestatter müssen improvisieren, gründen Pools. Und es gibt Versenkungsmaschinen.
Die Trauergäste merken natürlich nichts davon, aber neulich hätte es knapp werden können mit der ordnungsgemäßen Beerdigung. Nur noch drei Sargträger brachte der Bestatter aus der eigenen Mannschaft auf, drei weitere musste er hinzubuchen. Einer von ihnen: Reiner Lübbert, der seit fünf Jahren Särge trägt. Er sieht seit Jahren: „Mitarbeiter zu finden, ist eine Katastrophe.“
Sie bereiten die Trauerfeier vor, arrangieren die Blumen, verteilen die Liedzettel. Vor allem aber stehen sie für das feierliche Ritual, lassen den Sarg hinab, verbeugen sich am Grabe, werfen ihre weißen Handschuhe hinein. „Früher war das eine angesehene Tätigkeit“, sagt Benedikt Koch (41), der kommende Chef im Bestattungshaus Götza in Herten. Heute würden sie draußen „eher ein bisschen komisch angeguckt“.
„Wir ermutigen jeden, sich bei einem Bestatter vorzustellen“
Was für Herten gilt, gilt für Deutschland: Sargträger werden knapp. Typischerweise sind es Rentner, die sich etwas Geld hinzuverdienen wollen. Natürlich zählt niemand diese Männer landesweit zusammen und liest daraus Tendenzen ab, aber jeder Bestatter wird es Ihnen bestätigen, jeder. „Kein Kollege würde einen Sargträger wegschicken“, sagt Christian Jäger, der Geschäftsführer des Bestatterverbandes NRW: „Wir ermutigen jeden, der Interesse hat, sich bei einem Bestatter vorzustellen.“
Auf dem Land war es früher üblich, dass Nachbarn oder Vereinsfreunde den Toten im Sarg trugen - das bröckelt. In der Stadt hatte jedes Unternehmen „seine eigene Rentnerband“, wie es jemand vom Fach ausdrückt. Gibt es noch, aber die Gruppen werden erkennbar kleiner. Immer häufiger müssen die Institute improvisieren. Wenn dann noch zwei Beerdigungen parallel liegen . . .
„Niemand will ständig mit Tod und Trauer zu tun haben“
In Haltern erzählt ein Bestatter, dass einer seiner Träger „bei der Ernte den Traktor gewendet hat und zum Friedhof gekommen ist“. Zum Glück habe er die weißen Handschuhe getragen, „sodass man seine Arbeitshände nicht sehen konnte“. Das war knapp. Andere leihen Sargträger voneinander aus, und dass der Bestatter selbst mitträgt, ist auch nicht mehr die ganz große Ausnahme.
Reiner Lübbert ist wenig typisch in diesen Reihen, mit 59 Jahren deutlich jünger als Sargträger sonst. Dann lenkt er im Hauptberuf ein kleines Transportunternehmen, und er kann auch noch gut verstehen, dass die Anwärter nicht Schlange stehen, um das mindeste zu sagen. „Das sind keine lustigen Veranstaltungen. Niemand will ständig mit Tod und Trauer zu tun haben.“ Er selbst kam über einen Freundschaftsdienst an die Aufgabe - und ist geblieben.
Der typische Sargträger ist Rentner, die Kraft nimmt irgendwann ab
Auch ohne die bedrückte Atmosphäre ist die Arbeit nicht leicht. Sargtragen ist auch viel Warterei. Die Vergütung läuft meist über einen 520-Euro-Job. Planen ist schwierig, Christian Jäger vom Verband sagt: „Sie wissen als Bestatter montags, was bis zum nächsten Montag ist, danach ist immer alles offen.“ Dann das Gewicht.
„Ein Eichensarg kann 60 bis 80 Kilo wiegen“, sagt Benedikt Koch. Leer, wohlgemerkt: Und dann liegt noch jemand darin. Der typische Sargträger ist Rentner, die Kraft nimmt irgendwann ab. Speziell im Ruhrgebiet kommt noch hinzu: Die kräftigen Bergrentner, die immer mit Anfang 50 frei wurden und dann noch viele Jahre tragen konnten, die gibt es nicht mehr in dem jugendlichen Alter.
Sargträger-Pools entstehen und Träger-Genossenschaften
Koch hat einen neuen Weg eingeschlagen, hat zusätzlich zum Institut eine Firma gegründet namens „BK Bestattungsdienstleistungen“. Sozusagen eine Verleihfirma für Sargträger, einen Pool, aus dem sich auch Kollegen gegen Gebühr bedienen können. Damit ist er nicht der erste, hat aber bereits Bestatter aus Gelsenkirchen und Recklinghausen als Kunden gewonnen. Andernorts entstehen Träger-Genossenschaften. „Ich denke, dass so etwas zukünftig mehr wird.“
In Hamburg und in Berlin kommen in der Not bereits Versenkungsmaschinen zum Einsatz, in NRW hat man sie noch kaum gesehen, sind sie wohl keine Alternative, werfen keine weißen Handschuhe aus, verbeugen sich nicht. Auch nicht, wenn sie etwa „Pietas Automatik“ heißen oder als Senkamat „garantiert gleichmäßiges, ruckfreies Versenken“ versprechen.
Routinierte Sargträger versprechen das auch. So wie Reiner Lübbert. Aus übergeordneter Warte, sagt der 59-Jährige, hätten Sargträger die Aufgabe, „Verstorbene in Würde zu verabschieden und dafür zu sorgen, dass die Hinterbliebenen sich angenommen fühlen“. Dieselbe Aufgabe wie der Organist. Der Organist ist Lübbert nämlich auch.