Ruhrgebiet. Die Bilanz der Städte in der Flüchtlingskrise kann sich sehen lassen - auch, weil viele Bürger Unterkunft boten. Nun drohen Engpässe.
In Essen haben sie ein ehemaliges Drei-Sterne-Hotel zur Flüchtlingsunterkunft umfunktioniert; Herne sucht dringend nach einem leerstehenden Bürokomplex als provisorisches Schulgebäude für ukrainische Kinder; in Oberhausen wohnen Ukrainer in den Patientenzimmern einer Klinik: Die Not der Menschen aus der Ukraine macht die Städte im Revier erfinderisch.
Die Hilfsbereitschaft ist groß
Überall also ist die Hilfsbereitschaft groß. Doch der nun ein Jahr dauernde Krieg setzt die Kommunen mehr und mehr unter Stress. Seit Wochen trommeln Städtetag und Städte- und Gemeindebund um Aufmerksamkeit für die kommunalen Kalamitäten bei Aufnahme und Integration der Geflüchteten. Denn neben der Erstversorgung plagt viele Städte das Problem, dass nicht genug Wohnraum zur Verfügung steht und Plätze in Schulen und Kitas fehlen.
Die Stadtgesellschaft verändert sich
Dabei kann sich die Bilanz der Städte in der Flüchtlingskrise sehen lassen. Beispiel Dortmund: Die größte Stadt des Ruhrgebiets hat seit Beginn des Krieges exakt 7551 ukrainische Flüchtlinge aufgenommen und versorgt. Einige von ihnen haben die Stadt bereits wieder verlassen. „Aktuell leben derzeit 5586 Ukraine-Flüchtlinge bei uns“, sagt Birgit Zoerner (Bild).
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Die Dortmunder Sozialdezernentin lobt vor allem das Engagement vieler Bürger: „Die Aufnahme der Menschen aus der Ukraine lief wohl auch deshalb relativ problemlos, weil viele Flüchtlinge aus der Ukraine privat untergekommen sind. Wäre das nicht der Fall gewesen, wäre die Stadt mit ihren Kapazitäten sehr schnell am Limit gewesen.“
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Für Zoerner, die beim Deutschen Städtetag die Arbeitsgruppe „Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien“ leitet, greift die Diskussion um die Ukraineflüchtlinge ohnehin zu kurz. „Ja, der Ukrainekrieg und seine Folgen haben die Stadtgesellschaft verändert“, sagt Zoerner. Aber es gehe um Veränderung durch Migration insgesamt. „In den vergangenen elf Jahren hat Dortmund 55.000 Menschen mit ausländischem Pass aufgenommen“, beschreibt Zoerner die Herausforderung. 2014 sei die Zahl der Syrerinnen und Syrer in Dortmund noch dreistellig gewesen. Heute lebten rund 13.000 Menschen mit syrischem Pass in der Stadt - darunter viele, die nach dem Auslaufen der Wohnsitzauflage zusätzlich nach Dortmund gekommen seien, weil Großstädte allgemein attraktiv für Migranten seien.
„Wir sind mit unseren Kapazitäten am Limit“
Weiteres Beispiel: In Dortmund kommen derzeit Monat für Monat rund 100 Kinder im schulpflichtigen Alter an, nicht nur aus der Ukraine. Heißt: Es müssen Sprachkurse organisiert, Schul- und Kitakapazitäten aufgebaut, Gebäude dafür hergerichtet werden. Zoerner: „Das alles kostet viel Geld.“
Städte wissen nicht, was noch kommt
Auch in Herne betrachtet man die Entwicklung mit Sorge. Oberbürgermeister Frank Dudda sucht gerade nach Bürogebäuden, die sich als provisorische Schule für ukrainische Kinder eignen. „Wir sind mit unseren Kapazitäten am Limit“, sagt der SPD-Politiker. Die Solidarität der Bürger mit den Geflüchteten sei weiter hoch, sagt er noch. Aber auch, dass „die Stadtgesellschaft unruhiger wird“.
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Dortmund hat noch Kapazitäten. „Derzeit haben wir noch rund 1000 Plätze in städtischen Unterkünften oder angemieteten Wohnungen zur Verfügung. Wir wissen aber nicht, was auf uns zukommt“, sagt Birgit Zoerner. Ab einem bestimmten Punkt werde man Flüchtlinge nicht mehr in Einrichtungen oder Wohnungen unterbringen können. Zoerner: „Dann reden wir wieder über Notfallplätze.“
Drei Viertel der geflüchteten Ukrainer leben in Privatwohnungen
Die meisten der nach Deutschland geflüchteten Ukrainerinnen und Ukrainer leben in Privatwohnungen. Fast drei Viertel (74 Prozent) der Geflüchteten sind einer Befragung zufolge direkt nach ihrer Ankunft in private Wohnungen gezogen. Nur neun Prozent leben in Gemeinschaftsunterkünften. Dies ist das Ergebnis der Studie „Geflüchtete aus der Ukraine in Deutschland“, die unter anderem vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung jetzt in Berlin vorgestellt wurde. Die Erhebung ist nach Angaben der Autoren repräsentativ für Menschen, die zwischen dem Kriegsbeginn am 24. Februar und Anfang Juni 2022 nach Deutschland gekommen sind. Drei Viertel der aktuell hierzulande lebenden Ukrainer ist demnach in diesem Zeitraum gekommen.
Laut jüngster Auswertung der Statistik-Behörde IT.NRW sind zwischen Januar und Oktober 2022 über 213.000 Ukrainer nach Nordrhein-Westfalen gekommen, davon allein rund 56.300 ins Ruhrgebiet. Knapp 20.000 von ihnen zogen im selben Zeitraum aus NRW wieder fort. Die meisten Ukraine-Flüchtlinge nahmen demnach die Stadt Köln (11.259) und der Kreis Recklinghausen (11.020) auf. Inzwischen dürften sich die Zahlen erhöht haben.