Gelsenkirchen. Bald ist der Winter vorbei. Wie der Borkenkäfer die milde, nasse Jahreszeit überstanden hat, weiß man aber erst im April.
Er ist nicht weg, er macht nur Pause. Winterpause. Aber der Winter 2022/2023 ist bisher kein guter für den Borkenkäfer an Rhein und Ruhr. Für viele Bäume in den Wäldern des Reviers wird es dennoch immer enger.
„Für die Jahreszeit zu warm“ ist ein Satz, den Meteorologen oft in den Mund nehmen, wenn es um den diesjährigen Winter geht, in dem Temperaturen von über zehn Grad bisher eher die Regel als die Ausnahme waren und die Höchstwerte auch schon mal bei fast 20 Grad lagen. Aber was zu dick angezogene Menschen ins Schwitzen bringen kann, kann den Borkenkäfer härter treffen.
Pilz gedeiht bei feucht-warmer Witterung
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„Das feucht-warme Wetter fördert den Wuchs eines Pilzes, der die Zahl der überwinternden Borkenkäfer stark reduzieren kann“, bestätigt Karlheinz Schlott, Fachbereichsleiter Land und Forstbetrieb beim RVR Eigenbetrieb Ruhr Grün. Flächendeckend legt sich der „Beauveria bassiana“ über die erwachsenen Käfer, die oft in der Bodenstreu überwintern, und führt zu hohen Sterberaten in der Schädlingspopulation.
Kälte dagegen macht dem Borkenkäfer eigentlich nichts aus. Ältere Larven, Puppen und Käfer überstehen dank ihres körpereigenen Frostschutzmittels auch lange Kälteperioden. Eier und junge Larven allerdings vertragen Temperaturen von unter minus 10 Grad Celsius nicht gut – vor allem, wenn sie es nicht geschafft haben, zum Überwintern in den Boden zu kommen und die kalte Jahreszeit deshalb direkt unter der Rinde der Bäume verbringen, die sie befallen haben. Und weil es dank des heißen trockenen Sommers 2022 statt zwei gleich drei oder vier Generationen Borkenkäfer gab, haben es in diesem Winter viele Larven nicht mehr geschafft. „Gut möglich, dass sie während der kurzen Kältewelle vor Weihnachten erfroren sind“, sagt Schlott.
Käfer schwärmen erst bei mehr als 15 Grad im Frühling
Wie stark Pilze und Kälte die Borkenkäferpopulationen in den Wäldern des Reviers tatsächlich dezimiert haben, kann derzeit allerdings noch niemand sagen. „Das werden wir erst im Frühjahr sehen“, weiß Schlott aus Erfahrung. Denn erst wenn es über längere Zeit trocken und mehr als 15 Grad warm ist, schwärmen die Borkenkäfer aus ihren Winterquartieren aus.
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Frühestens Anfang April ist es jedes Jahr so weit. Dann treffen die Käfer in diesem Frühjahr wieder auf Bäume, denen es meist nicht gut geht. Denn anders als im Jahr 2021, in dem sich der Zustand des Waldes aufgrund der hitzestressfreien und feuchteren Witterung etwas verbessern konnte, war 2022 viel zu heiß und zu trocken für den Wald. Ungefähr drei von vier Bäumen sind nach Erhebungen des aktuellen Waldzustandsberichtes krank. Inzwischen gelten 135.000 von 935.000 Hektar Wald als „Schadfläche“, entstanden durch lange Dürrephasen, heftige Stürme und die Massenvermehrung von Fichtenborkenkäfern.
Nur gesunde Bäume können sich gegen Schädlinge wehren
Gesunde Bäume können Borkenkäfer meist abwehren. Durch Harzproduktion schafft es eine gesunde Fichte, circa 400 Eindringlingen den Rüssel zu verkleben. Wenn die Bäume aber wie in den letzten Jahren unter Wasserstress stehen und geschwächt sind, haben die Käfer schnell leichtes Spiel. In die Rinde und ins Holz fressen die Käfer-Männchen kleine Hohlräume, von Wissenschaftlern Rammelkammern genannt. Mit hormonellen Duftstoffen locken sie die Weibchen an. Ein Baum bietet Platz für etwa 10 000 Käfer und Larven. Bei Platzmangel schwärmen die Käfer aus, der nächste Baum ist an der Reihe.
Mittlerweile findet der Borkenkäfer immer weniger Fichten. Er hat sich, sagen Förster, vielerorts sozusagen seine eigene Existenzgrundlage zerstört. Aber die Lage sei immer noch schlimm. Der Schwerpunkt des Befalls liegt nun im Sauer- und im Siegerland, während die Situation in der Eifel etwas besser sei. Besonders schlecht aber geht es den Fichten im Ruhrgebiet. Etwa die Hälfte der Bäume in NRW ist in den vergangenen Jahren dem Klimawandel und den Borkenkäfern zum Opfer gefallen. Im Bereich des RVR waren es bereits Ende 2021 schon 90 Prozent.
Und der Regen der vergangenen Tage und Wochen? Kann er den Bäumen, die noch stehen nicht helfen? Schlott schüttelt den Kopf. „Der reicht nicht. Graben Sie mal in Ihrem Garten und Sie werden staunen, in welch geringer Tiefe es immer noch extrem trocken ist.“ Helfen, sagt der Fachbereichsleiter, würde der klassische Landregen – kontinuierlich über einen langen Zeitraum. „Oder eine große Schneemenge, die langsam abtaut und den Boden mit Wasser auffüllt“.