Castrop-Rauxel. Viele Anwohner stehen auf der Straße, zwei Männer werden um Mitternacht abgeführt: So lief der Anti-Terror-Einsatz in Castrop-Rauxel.

Kurz vor Mitternacht in der Nacht zu Sonntag ist es vorbei mit der Ruhe im Castrop-Rauxeler Stadtteil Habinghorst. Immer mehr Wagen von Polizei und Feuerwehr fahren durch das Viertel, halten in der Langen Straße, die kürzer ist, als der Name es suggeriert. „Wir dachten, da brennt es“, erinnern sich zwei Teenager am nächsten Mittag in einem nahen Burger-Restaurant. Tut es nicht. Die Einsatzkräfte sind in einem Anti-Terror-Einsatz. „Wer denkt denn an sowas?“, sagt einer der Jungs.

Ziel der Einsatzkräfte: Haus Nummer 71

Das Ziel der Einsatzkräfte in dieser Nacht ist das Haus Nummer 71. Im Erdgeschoss des anscheinend vor nicht allzu langer Zeit renovierten Gebäudes gibt es einen Frisör, gleich nebenan liegt ein Fitnessstudio. Kaum sind die Einsatzkräfte vor Ort, stürmt ein SEK-Trupp in Spezialanzügen durch ein großes graues Tor in den ersten Stock, wo die Polizisten eine Holztür aufbrechen.

T-Shirt, Unterhose und Schlappen

Die Bewohner werden offenbar im Schlaf überrascht und leisten keinen Widerstand. Minuten später werden zwei Männer abgeführt unter den Augen der vielen Anwohner, die neugierig aus ihren Wohnungen gekommen sind. Nur T-Shirt, Unterhose und Schlappen trägt der eine, Winterjacke über freiem Oberkörper, knielange Sporthose und Sneakers mit offenen Schnürsenkeln, der Mann, dem der Einsatz galt. Vor einem Feuerwehrwagen werden sie mit einer Flüssigkeit besprüht, dann unter strenger Bewachung zu einer Dekontaminationsstraße gebracht, die die Feuerwehr Castrop-Rauxel am Samstag vor der Wache eingerichtet hat.

Es geht um „biologische Kriegswaffen“

Wenig später bestätigt die Polizei, was die vielen Einsatzkräfte in den gelben und grauen Schutzanzügen und mit „umluftunabhängigem Atemschutz“ schon haben erahnen lassen. Es geht um Gift, genauer gesagt um Cyanid und Rizin und damit um „biologische Kriegswaffen“.

Nachbarn in Castrop-Rauxel: Ein Mann, „der keinen Stress macht“

Bald gibt es auch erste Informationen zu den beiden Festgenommenen. Bei dem Mann mit der Jacke, dem Verdächtigen, handelt es sich demnach um einen 32-Jährigen Iraner, der bereits seit gut sieben Jahren in Deutschland lebt. Nachbarn beschreiben ihn als „ruhig“, er sei keiner, „der Stress macht“. Der zweite Mann, bestätigt Holger Heming, Oberstaatsanwalt bei der Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf am Sonntag, ist sein Bruder. Inwieweit er in mögliche Anschlagspläne eingeweiht war, ist bisher unklar.

Fachleute für biologisch-chemische Gefahren im Einsatz

Auf dem Gelände der Feuerwehr in Castrop-Rauxel werden bei der Durchsuchung gefundene Stoffe untersucht.
Auf dem Gelände der Feuerwehr in Castrop-Rauxel werden bei der Durchsuchung gefundene Stoffe untersucht. © dpa | Christoph Reichwein

Die beiden Verdächtigen sind längst abtransportiert, aber der Einsatz in der Nacht geht weiter. Unterstützt von Fachleuten für biologisch-chemische Gefahren des Robert Koch-Instituts (RKI) und Spezialisten der mit hochsensibler Messtechnik ausgerüsteten Analytische Task Forces (ATF) Dortmund und Essen, durchsuchen Polizisten die Wohnung des Verdächtigen. Was sie dabei sicherstellen, kommt vorsichtshalber in große blaue Fässer und landet ebenfalls in der Dekontaminationsstraße.

Der Tod tritt bei Rizin nach zwei Tagen ein

Die Vorsicht ist begründet. Rizin ist einer der giftigsten Eiweißstoffe, die in der Natur vorkommen. Es blockiert ein wichtiges Enzym, wodurch es den Stoffwechsel schnell lahm legt. Fieberschübe, Erbrechen und Koliken sind die typischen Symptome. Bei einer Vergiftung kommt es meist nach zwei bis drei Tagen zum Tod, ein Gegenmittel gibt es nicht. Traurige Berühmtheit erlangte der Stoff durch das „Regenschirmattentat“ von London, bei dem der bulgarische Dissident Georgi Markow 1978 starb, nachdem man ihm über einen Regenschirm ein winziges Metallkügelchen aus Rizin ins Bein gejagt hatte.

Castrop-Rauxel: Großeinsatz hinterlässt keine Spuren

Am Sonntagmittag ist wieder Ruhe eingekehrt auf der Langen Straße. Ein Fenster der gestürmten Wohnung steht auf Kipp, die Wohnungstür ist notdürftig repariert worden. Ansonsten hat der nächtliche Großeinsatz keine sichtbaren Spuren hinterlassen. Bei Wind, kühlen Temperaturen und teils heftigen Regenschauern sind die Bürgersteige fast menschenleer.

Ein Tipp, der wohl vom FBI kam

Wie weit mögliche Anschlagspläne gediehen waren, ist unklar. In der Wohnung des Verdächtigen sei kein Gift gefunden worden, teilt die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf am frühen Sonntagnachmittag mit. Man habe aber „Speichermedien“ sichergestellt, die man nun auswerte. Das könne „Wochen“ dauern. Auf die Spur gekommen ist man dem Mann durch den Tipp eines „befreundeten Geheimdienstes“. Nach Informationen der „Bild“ soll es sich um das FBI gehandelt haben. (mit dpa)