Oberhausen. Frieden fängt bei jedem einzelnen an: Warum Toleranz, Akzeptanz, Gleichberechtigung und Gerechtigkeit für Jugendliche wichtig sind. Ein Gespräch.

Am Tag, als der Krieg begann: machte Emma sich Sorgen um die Menschen, klebte Mertcan stundenlang an seinen Handy-Nachrichten, bekam Max es mit der Angst zu tun. Und konnte es gar nicht glauben, „Fake News“, dachte der 15-Jährige. Aber es stimmte doch: Es war Krieg in Europa, das kannten sie „nur aus dem Geschichtsunterricht“. Auch die Welt der Jugendlichen hat sich in diesem Jahr verschoben. Dabei war Frieden für sie schon immer mehr als „kein Krieg“.

Was soll man tun als Schüler oder Schülerin in Oberhausen, wenn „plötzlich in der Nähe“ gekämpft wird? Am Elsa-Brändström-Gymnasium war schnell klar, dass sie ein Zeichen setzen wollten, „etwas Gutes tun“ in all’ ihrer Ohnmacht. Also gingen sie auf die Straße, mit mehr als 800 Kindern und Jugendlichen plus denen aus 15 weiteren Schulen. Nicht für das Image, sagt Emma (12): „Weil wir das wirklich so meinen!“ Aus der geplanten Menschenkette wurde ein „Netz des Friedens“, das sie auswarfen über der Oberhausener Innenstadt, und überall dort, wo die Grundschulen standen, ein „Friedens-Pulk“. Die Bürger machten Fotos und Videos, sie hupten und winkten, und die Kirchenglocken läuteten. Die Peace-Zeichen, die sie bastelten im März, hängen immer noch in den Fenstern der Klassenzimmer. Emma (12) sagt, „es war ein gutes Gefühl“.

Eine Menschenkette für den Frieden: Im März gingen Schülerinnen und Schüler von 15 Oberhausener Schulen auf die Straße. Die selbstgebastelten Peace-Zeichen hängen bis heute in den Fenstern des Elsa-Brändström-Gymnasiums.
Eine Menschenkette für den Frieden: Im März gingen Schülerinnen und Schüler von 15 Oberhausener Schulen auf die Straße. Die selbstgebastelten Peace-Zeichen hängen bis heute in den Fenstern des Elsa-Brändström-Gymnasiums. © FUNKE Foto Services | Kerstin Bögeholz

„Was, wenn der Krieg sich weiter verbreitet?“

Weil sie etwas zusammen machten, das Miteinander fand Samira (14) „beruhigend“. Dass sie gemeinsam etwas Gutes taten, war für Max ein Grund zur Freude und für Mertcan (14) „eine Grundlage für Frieden“. Sie waren ja für, nicht gegen etwas, das ist der Schulleitung wichtig. Sie hält es mit Willy Brandt: „Nicht der Krieg, der Frieden ist der Vater aller Dinge.“ Die Menschenkette war ein guter Anfang, sagt Emma, wirklich „befreiend“ aber sei sie nicht gewesen: „Es sterben täglich Menschen.“ Hätten sie etwas tun können, fragt sich Emma, „dass es gar nicht so weit kommt“? Und was, „wenn sich der Krieg weiterverbreitet“? Anastasia, die 18-Jährige, war nicht einmal überrascht, „die Ukraine ist nicht das einzige Land, das Krieg hat“. Aber für Emma ist er „unbegreiflich“ geblieben, und für Max immer noch „ein schlimmer Gedanke“.

Über Frieden hingegen wissen sie viel. Frieden fängt bei den Menschen an. Für Anastasia bedeutet er „Gleichberechtigung“, zwischen Menschen, Nationen, Geschlechtern. „Dass jeder die gleichen Chancen hat.“ Frieden, sagt die angehende Abiturientin, wachse aus „Akzeptanz und Toleranz“. Da geht die sechs Jahre jüngere Emma mit, sie hatte schon immer „ein ganz starkes Gerechtigkeits-Empfinden“: „Man muss alle Menschen akzeptieren, wie sie sind.“ Frieden ist, „vernünftig zu sprechen“, sagt Anastasia, „das Miteinander-Reden“, bestätigt Schulleiterin Alice Bienk.

„Jeder darf sagen, was er denkt, und seine Meinung ausleben“

An ihrem Gymnasium versuchen sie, den Dialog zu leben. Frieden sei etwas, das sie „miteinander aushandeln“, sagt Alice Bienk. Und das geht so, erklärt Emma: „Man muss allen zuhören, und am Ende kommt vielleicht etwas anderes heraus als das, was man am Anfang gedacht hat.“ Man müsse nicht einer Meinung sein, aber immer versuchen, den anderen zu verstehen. „Bei den anderen ankommen“, so nennt die Zwölfjährige das. Auch Max hat gelernt, wie wichtig Austausch ist, „sonst kann man keine Probleme lösen“. Das fange bereits zu Hause an: „Jeder darf sagen, was er denkt, und seine Meinung ausleben.“ Die Schüler wissen, das ist ein Privileg, aber leider, sagt Max, „vergessen wir manchmal, dass wir diese Privilegien auch nutzen müssen“.

Fördert den Dialog mit ihren Schülerinnen und Schülern: Schulleiterin Alice Bienk.
Fördert den Dialog mit ihren Schülerinnen und Schülern: Schulleiterin Alice Bienk. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Krieg bringt Kinder aus dem Gleichgewicht

Es ist ja auch alles nicht einfach, zumal wenn man seinen inneren Frieden nicht hat. Wie nur soll man entspannt sein in ständiger Angst und Unsicherheit? Der Krieg hat viele Kinder aus dem Gleichgewicht gebracht. Mertcan aber weiß, ohne inneren Ruhe „kann man sich nicht um andere kümmern“. Weshalb es wichtig sei, dass sie sich klarmachten: Frieden im Privaten gibt es nur, sagt Samira, „wenn man sich nicht um Familie und Mitmenschen sorgen muss“. Und sie haben doch alles, „was wir zum Leben brauchen“, findet Max. Eine „sichere Umgebung“ etwa und allenfalls „Probleme, die wir selbst lösen können“. An der Schule wollen sie deshalb genau das: „Die Kinder stark machen.“

Dann fängt der Frieden „bei uns an“, wie Max sagt, „man kann selbst ganz viel dafür tun“. Zum Zusammenhalt mahnt Anastasia, „nicht selbst Unfrieden anzetteln“! Allein, das alles sei „ein Prozess. Frieden kann nie erreicht werden, nie perfekt sein“. Das weiß auch Schulleiterin Bienk: „Es ist nie zu Ende, nie abgeschlossen“, friedliches Zusammenleben sei auch in der Schulgemeinschaft „kein Zustand, wo irgendwann Fixierspray drauf kann“. Oder, wie Anastasia sagt: „Es geht immer noch ein Stückchen besser.“

Mertcan, Anastasia, Max, Emma und Samira (v.l.) vor den Werten, die sich das Elsa-Brändström-Gymnasium gegeben hat.
Mertcan, Anastasia, Max, Emma und Samira (v.l.) vor den Werten, die sich das Elsa-Brändström-Gymnasium gegeben hat. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Weshalb man sich Frieden nicht wünschen kann, findet die 18-Jährige. Auch nicht zu Weihnachten. Schon weil man nicht elf Monate lang nichts und bloß vor dem Fest etwas Gutes tun dürfe. „Wir müssen immer daran arbeiten, dürfen nicht aufhören“, sagt Max. „Ich denke jeden Tag daran.“ Und dann ist Frieden, „wenn wir es schaffen, dass sich alle akzeptieren“. Das wäre also doch „der größte Wunsch“ des 15-Jährigen. „In so einer Welt möchte ich leben.“