Dortmund. Das neue Lamarr-Kompetenzzentrum verankert die KI-Spitzenforschung im Ruhrgebiet. Sie soll Logistik, Industrieproduktion und Medizin verändern.

Künstliche Intelligenz aus Dortmund: Mit dem Lamarr-Institut ist die Spitzenforschung zum Maschinellen Lernen seit Ende September fest im Ruhrgebiet verankert. Das Lamarr-Institut ist eines von fünf universitären KI-Kompetenzzentren bundesweit, die seit Sommer als Teil der KI-Strategie der Bundesregierung dauerhaft gefördert werden. Hätte man nur ein zentrales Institut gegründet, glaubt die Initiatorin und Lamarr-Direktorin Katharina Morik, hätte dies Kompetenz aus anderen Regionen abgezogen. Es gehe darum, die KI-Forschung und -Anwendung auf breite Beine zu stellen und zugleich eine kritische Masse zu erreichen. Im Gespräch erklärt die Informatikprofessorin, wie die „Lamarr“-Forschung Logistik, Industrieproduktion oder Medizin verändern kann.

Wie kam es zur Benennung nach der Erfinderin und Hollywood-Schauspielerin Hedy Lamarr?

Katharina Morik: Wenn man in der Vergangenheit sucht nach großartigen Gestalten in der Informatik, die die Studenten motivieren können, fallen einem Alan Turing und Hedy Lamarr ein. Sie war wahnsinnig kreativ, hat in ihrer Umkleidekabine am Film-Set Geräte aufgebaut und geforscht. Hedy Lamarr hat an Hardware zu Frequenzänderungen für Fernsteuertechnik gearbeitet, eine Technik, die heute in Bluetooth und WLAN steckt. Das hat einen starken Bezug zu uns, denn wir sind das einzige Zentrum zu Maschinellem Lernen, das Hardware einbezieht.

Hervorgegangen ist „Lamarr“ aus einem Projekt der Unis in Dortmund und Bonn sowie der Fraunhofer-Institute in Dortmund und Sankt Augustin. Das sind weiterhin die Partner und Standorte. Welche Vor- und Nachteile hat das?

Das Verteilte ist nicht nur bei den Daten und Algorithmen, es ist auch bei uns selbst der Fall. Da hat uns Corona einen großen Gefallen getan. Wir stellen fest, dass viele Mitarbeiter regelrecht bestehen auf Standort-flexiblem Arbeiten. Wenn wir das bieten können, ist das ein Vorteil in der Gewinnung herausragender Menschen. Wobei ich es auch für wichtig halte, internationale Leute nach Deutschland zu holen. Und die Deutschen, die ins Ausland gegangen sind, wieder zurückzubekommen.

Was sind ihre Themenschwerpunkte?

Prof. Katharina Morik leitet das Lamarr-Institut.
Prof. Katharina Morik leitet das Lamarr-Institut. © TU Dortmund | Ursula Dören

Normalerweise bringt man Wissen und Daten zusammen. Wir nehmen noch den Kontext hinzu: Der Rechner, auf dem das Programm ausgeführt wird. Oder der Mensch, der den Prozess startet. Wir nennen das „trianguläre KI“. Zum Beispiel wollen wir mit Bezug auf die Hardware Energie und Ressourcen sparen. Stellen Sie sich ein Warenlager vor: Wenn Sie Ihren Rechner dort mit Solarenergie betreiben wollen, wird es schwierig. Es gibt aber Rechner, die mit „Ultra Low Power“ laufen. Wenn unsere Algorithmen das auch können, ist das eine tolle Sache. Das ist unser Schwerpunkt in Dortmund. In Bonn geht es auch um Roboter. Und wie der Mensch mit dem System umgeht, ist in Sankt Augustin verankert. Alle gemeinsam haben wir den Schwerpunkt „vertrauenswürdige KI“.

Wie kommen ihre Ergebnisse zur Anwendung?

Dortmund ist in der Logistik hoch ausgewiesen. Wir haben dort bereits Start-Ups wie „LoadRunner“, bei dem ein Schwarm fahrerloser Transportfahrzeuge sich selbst organisiert. In einem Industrieunternehmen haben wir die Spritzgussproduktion optimiert. Das ist ein unglaublich schneller Prozess. Bis man da merkt, dass etwas schiefgelaufen ist, sind schon tausend misslungene Teilchen herausgeschossen. Es geht also darum, festzustellen, dass etwas falsch ist, möglichst bevor das erste falsche Teilchen kommt. In den Lebenswissenschaften geht es um die Überlebenswahrscheinlichkeit von Krebspatienten bei verschiedenen Therapien gemäß der genetischen Daten. In Sankt Augustin werden automatisch alle WDR-Sendungen annotiert, man kann also eine Anfrage an das Archiv stellen und bekommt aus allen Fernseh- und Rundfunksendungen direkt die Stelle, die das gesuchte Thema behandelt. Aber diese beispielhaften Anwendungen sind nur die Spitze des Eisberges. In der Grundlagenforschung geht es um Methoden. Ein und dieselbe von uns entwickelte Methode steckt zum Beispiel in Anwendungen zu Telefonabdeckung, Verkehrsregulierung und Katastrophenschutz.

Wie vermittelt man die Forschung in die Wirtschaft?

Wir fördern nicht nur den wissenschaftlichen Nachwuchs, wir bilden auch in der Industrie und sogar schon in der Schule aus. Man kann KI zwar nur verstehen, wenn man das Thema vier Jahre studiert hat. Aber das Denken, wie die KI abstrahiert und was ein Prozess ist, kann man schneller beibringen. Gerade dieses Anwendungswissen ist in vielen Firmen notwendig. Das Schöne an einem Forschungsinstitut ist, dass man die Zeit hat, ein Ökosystem durch strategische Partnerschaften aufzubauen und in innovativen Firmen auf allen Ebenen zu schulen. Das geht nicht in einem kurzfristigen Forschungsprojekt.

Gehört zum Lamarr-Institut ein Rechenzentrum?

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Wir hatten schon früh das Hochleistungsrechenzentrum LiDO an der TU Dortmund, das braucht man, wenn man komplexe Dinge berechnen und ein Ergebnis haben will. Aber wir entwickeln Programme und wollen an jeder Stelle den Prozess in der Hand haben. Das Ergebnis selbst ist dabei nicht wichtig, sondern wie es zustande kommt. Die Rechnerarchitektur ist Teil unseres Forschungsgegenstandes. Wir haben also Rechner gekauft, das geht nicht anders. Wir müssen auch die Ergebnisse der internationalen Kollegen nachvollziehen können, um zu zeigen, dass das Ergebnis, das wir erzielen, besser ist. Zum Beispiel hat ein modernes Sprachmodell 1,3 Milliarden Parameter. Da können Sie sich vorstellen, dass viel nötig ist an parallel arbeitender Rechenleistung, die wir zudem nachverfolgen, damit wir die die Prozesse erklärbar machen.

Sie sind in der einzigartigen Position, sich selbst Unterstützung für das Institut programmieren zu können – gibt es Anwendungen im eigenen Haus?

Mein herausragender Doktorand Lukas Pfahler hat die Formelsuchmaschine gemacht. Aus Millionen von wissenschaftlichen Artikeln aller Fächer sucht diese Formeln heraus, weil die Ähnlichkeit bestimmter Methoden nur so zu erkennen ist. In der Physik, in der Biologie, in der Statistik und in der Informatik zum Beispiel sind Dinge entwickelt worden, die im Grunde gleich sind, aber sie heißen verschieden. Deswegen merkt man es nicht. Und mit einem Mal kann man interdisziplinär arbeiten.

Wird KI unterm Strich Arbeitsplätze schaffen oder kosten?

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Es wird weniger Arbeit geben. Nicht im Handwerk oder bei hochqualifizierten Facharbeitern. Aber bei uns, bei den Kopfarbeitern, kann es dazu kommen, dass man dasselbe Produkt mit weniger Stunden erstellen kann. Und wem soll diese Einsparung zugutekommen? Will ich, dass jemand ganz viele Überstunden macht und dafür entlasse ich zwei Leute - oder verteilen wir die Arbeit so, dass die Menschen auch noch Zeit haben, sich um ihre Kinder zu kümmern und vielleicht um das Wohlergehen im Stadtteil? Das sind Möglichkeiten, die wir früher gar nicht hatten. Die KI schafft der Gesellschaft die Freiheit, sich zu überlegen, was sie möchte.

Ist KI eine Gefahr für die Menschheit?

Die Rüstungsforschung ist ein sehr kleiner Teil der KI-Forschung, in Deutschland eigentlich gar nicht. Aber die Entscheidungsfreiheit ist hoch. Als Wissenschaftlerin mache ich es so, dass ich meine Energie in die positiven Dinge stecke. Wir haben am Lamarr-Institut den Schwerpunkt „vertrauenswürdige KI“, bei dem wir zum Beispiel Verfahren entwickelt haben, die privatheitserhaltend sind. Die Angst vor der KI, das Dystopische, kommt aus dem Glauben: Wenn man den Menschen viele Möglichkeiten gibt, werden sie sie zum Schlechten nutzen. Und da bin ich einfach … ganz anders drauf (lacht).

Info: Rund 126 Millionen Euro auf sechs Jahre

Das Lamarr-Institut wird im Rahmen der nationalen KI-Strategie von Land und Bund dauerhaft gefördert. Zunächst stehen bis 2028 rund 126 Millionen Euro zur Verfügung. Die dauerhafte Förderung ermöglicht die Besetzung von bis zu elf neuen KI-Professuren an den beiden Partneruniversitäten. Darüber hinaus kommt das Geld 32 bereits bestehenden Professuren zu Gute, die mit ihrer Expertise in das neue Lamarr-Institut eingebunden werden. Schon 2023 wird die Forschung durch mehr als 100 wissenschaftliche Mitarbeitende unterstützt, die hier akademische Abschlüsse und fachliche Kenntnisse erwerben werden.

Getragen wird das Forschungsinstitut von der Technischen Universität Dortmund, der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn sowie den Fraunhofer-Instituten für Intelligente Analyse- und Informationssysteme IAIS in Sankt Augustin und für Materialfluss und Logistik IML in Dortmund.