Ruhrgebiet. Die Zahl privater Anzeigen von Falschparkern steigt. „Denunziantentum“, wird geklagt. Doch wir trafen eine Frau, die anzeigt. Warum sie das tut.

Vom Treffpunkt mit Heike Müller aus braucht man keinen Schritt zu gehen, nur einen Augenblick sich umzugucken, um den ersten Falschparker zu sehen. „Da hinten haben Sie schon ein schönes Beispiel“, sagt sie und marschiert los: zu einem Corsa aus Recklinghausen, der den Gehweg auf die Breite eines besseren Schlitzes verengt. „Und gegenüber sind Parkplätze frei. Das ist schlicht Bequemlichkeit, nicht Notwendigkeit.“

Heike Müller heißt anders. Sie lebt in Essen, ist Chefsekretärin, eine sympathische, schnell sprechende Frau in heller Jacke - damit Autofahrer sie sehen im Dunkeln. Sie spricht Falschparker an, fotografiert das Auto, wenn sie nicht einsichtig sind, und zeigt die Sache an. Seit Jahren. Tausendfach. Aber „ich gehe nicht extra los, um zu fotografieren. Es macht keinen Spaß, es hält mich auf, es kostet Zeit und Mühe.“

Fast alle bitten um Schutz durch Anonymität

Das Thema Falschparker ist vergiftet, viele Menschen möchten sich nur anonym dazu äußern.
Das Thema Falschparker ist vergiftet, viele Menschen möchten sich nur anonym dazu äußern. © ssteinert | ssteinert

Nach den Gründen dafür muss man aber auch eine Frau nicht fragen, die zur Arbeit und zurück zweimal täglich mit dem Rad durch die Stadt fährt. Viele Kilometer durch Essen, Radfahrers Vorhölle. Oft im Slalom, selbst da, wo es Radwege gibt. Da vorne parkte neulich wieder einer, belud den Kofferraum, bat um Verständnis. Müller: „Ich soll Verständnis haben für die, die kein Verständnis haben für Zufußgehende und Radfahrende?“

Vor einer Woche hat die WAZ Menschen, die Falschparker anzeigen, sich zu melden gebeten. Und viele haben geantwortet, aus den unterschiedlichsten Lagern und mit allen denkbaren Zwischentönen. Danke! Auffällig war aber auch: Fast alle baten um Anonymität. Das zeigt es schon: Das Thema ist vergiftet.

„Der Punkt ist die Missachtung der Schutzzone Gehweg“

Ein einziges Mal ist Heike Müller in der Dämmerung komisch angesprochen worden. Nichts passiert, doch sie fand es bedrohlich. In der eigenen Nachbarschaft fotografiert sie nun nicht mehr. Aber sie sieht alles. Diese Wohnstraße zum Beispiel, sie ist zum Parken breit genug, doch stehen die meisten Autos zumindest mit zwei Rädern auf dem Gehweg. Weil Fahrer und Fahrerinnen sehen, dass es sonst ein bisschen eng wird. Autofahrer verstehen einander.

Dass sie damit Fußgänger einschränken, denken sie offenbar nicht mit. „Der Punkt ist die Missachtung der Schutzzone Gehweg“, sagt Heike Müller. So werde auch Kindern die Sicht verstellt, die über die Straße müssen, sie hat es erlebt an x Kreuzungen, als ihr Kind größer wurde. „Wenn irgendwo die Parkzeit überschritten wird, ist das für mich als Fußgängerin belanglos, wird aber von der Stadt bestraft. Wenn wegen Falschparkern im Viertel ständig Gefahr besteht, heißt es: Kein Personal!“

Falschparker-Apps und Mängelmelder erleichtern die Anzeige

Manche Leser und Leserinnen verstehen solches Tun als „Denunziantentum“. Oder: „Bürger zeigen Bürger an, hatten wir das nicht schon einmal?“ Krass contra die Einschätzung der Deutschen Umwelthilfe: Sie spricht von „zivilgesellschaftlichem Engagement?“ Und dazwischen gibt es jenen Fahrer, der etwas ratlos gemailt hat: „Autos können nicht ins Schlafzimmer mitgenommen werden.“

Die Zahl privater Anzeigensteller hat stark zugenommen, seit es Mängelmelder der Städte und entsprechende Apps gibt. In Essen von 600 im Jahr 2016 auf knapp 8000 im laufenden 2022. In Dortmund waren es 4713 im Jahr 2017, zuletzt 15000. Auch in Bottrop ist die Zahl gestiegen. Aber „man kann nicht feststellen, dass Heerscharen privater Hilfssheriffs unterwegs sind“, sagt Fabian Fingerlin aus der Stadtverwaltung: „In der Regel erfolgt so eine Anzeige aus persönlicher Betroffenheit.“

„Niemand, absolut niemand hält sich an die Verkehrsregelung“

Da ist bei unserem kurzen Rundgang der Lieferwagen, der den Bürgersteig zuparkt. Der Audi auf dem Fußgänger-Überweg. Die Gehweg-Parker am Eingang zum Schrebergarten, obwohl der Parkstreifen frei ist - aber bestimmt 50 Meter entfernt. Der nächste Gehweg-Parker. „Das ist ein Fahrschulwagen, aber der steht da immer.“

Ein Leser aus Gelsenkirchen-Beckhausen schreibt von der Bäckerei nebenan: „Fast jedes Mal steht dort jemand im Halteverbot. Jeder denkt, „ich stehe ja nur ganz kurz da“, aber da das fast jeder denkt, steht dort fast den ganzen Tag jemand.“ Oder eine Frau aus Bochum-Querenburg, deren Familie in einer Spielstraße wohnt, einem besonders beruhigten Bereich - eigentlich: „Niemand, absolut niemand hält sich an die Verkehrsregelung.“

In manchen Stadtteilen herrscht eine Art Burgfrieden

Für alle Ruhrgebietsstädte gilt, was Essens Ordnungsdezernent Christian Kromberg einmal so formuliert hat: Die Parksituation sei eine „hoch komplexe Materie“, in machen Stadtteilen mit hohem Parkdruck „herrscht eine Art Burgfrieden“. Beate Siekmann, die Leiterin des Ordnungsamtes Dortmund, kann aber auch die umgekehrte Erfahrung beitragen: Manchmal werde falsches Parken „nur zum Thema, weil es gerade anderweitig Streit in der Nachbarschaft gibt“.

Heike Müller erklärt sich nochmal, als wir uns verabschieden: „Die einzelne Situation ist natürlich nicht schlimm“, sagt sie: „Aber es ist wie so kleine Nadelstiche den ganzen Tag. So viele einzelne Situationen verhindern, sich ganz normal durch die Stadt zu bewegen.“ Und es kommt noch eine Mail am nächsten Morgen, früh: Sie würde sich freuen, wenn Menschen, die ohne Auto unterwegs sind, „nicht mehr nur als Störenfriede des ,fließenden Autoverkehrs’ wahrgenommen werden“.