Dorsten. Nach Pleiten und Schließungen sah es für Dorsten düster aus. Doch nun ist die Arbeitslosigkeit niedrig und die Beschäftigung hoch. Wie geht das?

Im Schrank haben die Teller geklappert und die Tassen gewackelt, aber wenn es doch der guten Sache dient. Denn nicht allzu weit draußen vor Dorsten-Wulfen haben Spezialkräne durch den Sommer hindurch noch bis Mitte September 20-Tonnen-Blöcke aus größerer Höhe auf die Erde fallen lassen, um den Boden zu verdichten. Wumms! Gute Ereignisse werfen gerade Schatten voraus.

Doch die Beschwerden über Lärm und Beben sind ausgesprochen überschaubar geblieben: Die Menschen wissen ja noch, wie Dorsten vor 15 Jahren dastand. Und wie heute. Und wie der Weg ist. Tiefpunkt 00-er Jahre. Es verschwindet damals der Stewing-Konzern mit seinen 1000 Arbeitsplätzen, es verschwindet die Maschinenfabrik Dorsten: 600. Bald folgt ihnen auch noch die Zeche Fürst Leopold mit rund 4000 Beschäftigten und all den kleinen Trabantenfirmen, die vom Bergbau gelebt haben.

„Wir haben 1800 Betriebe mit zwei, drei, vier Arbeitsplätzen“

Im Europa-Verteilzentrum von Levis werden 600.000 Pakete Platz haben.
Im Europa-Verteilzentrum von Levis werden 600.000 Pakete Platz haben. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

Die Arbeitslosigkeit erreicht damals Rekordwerte, die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten sinkt auf einen Tiefstand. Heute ist es umgekehrt. Wie das? Um es jetzt schon auf den Punkt zu bringen: Die damalige Montanstadt am Nordrand des Ruhrgebiets hat sich bewusst und unbewusst - münsterlandisiert.

„Wir haben 1800 Betriebe mit zwei, drei, vier Arbeitsplätzen“, sagt der Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung, Markus Funk - eine Bilanz, die man im Ruhrgebiet, im Revier der Großstrukturen, so nie hört. Es gebe in Dorsten vielleicht zehn, zwölf Betriebe, deren Größe im Falle des Scheiterns deutlich auf Arbeitslosigkeit und Gewerbesteuer durchschlagen würde, aber „sie sind alle aus verschiedenen Branchen. Diese Struktur ist stressresistenter und krisenfester.“

Im Europa-Verteilzentrum ist Platz für 600.000 Pakete

Beispiel Wulfen. Das Ruhrgebiet ist verwöhnt von großindustriellen Bauten, doch der Koloss von Dorsten fällt dennoch auf. Bauarbeiter errichten in diesen Monaten eine Halle von 32 Metern Höhe, sie ist fast 300 Meter lang und 150 breit - Respekt. Levis lässt hier sein Verteilzentrum für Europa bauen. Für ganz Europa.

Hosen, Jacken, Schuhe, Mützen. Platz ist für 600.000 Pakete. Das wiegt schwer. Deshalb die Bodenverdichtung. Dazwischen 650 Arbeitsplätze. „Wie wichtig das ist für die weitere Entwicklung, ist noch gar nicht abzusehen“, sagt Funk. Nur halb scherzhaft ist die Idee, dem Lager an der Dülmener Straße irgendwie die Adresse „Levis-Straße 501“ zu verpassen, um die Niederlassung der Weltfirma HIER BEI UNS IN DORSTEN noch bekannter zu machen.

Centroallee, Warnerallee, Opelring: Straßen spiegeln Unternehmen

Beispiele gibt es genug dafür. Die Centroallee in Oberhausen. Die Warnerallee in Bottrop spiegelt, woran man heute schon wieder erinnern muss, die Gründer des Filmparks: Warner Brothers aus Hollywood. Der Opelring in Bochum, natürlich. Was zu dem nächsten, nicht so originellen Gedanken führt: Totgesagte leben länger. Auch wenn sie Städte sind.

Oberhausen gibt es noch, auch ohne Babcock. Dortmund hat ganz gut überlebt, ohne Hoesch und die Brauereien. Bochum, angeblich sterbende Stadt, kriegt gerade auch ohne Opel und Nokia wieder die Kurve. Kamp-Lintfort. Hattingen. Und wer nicht noch alles kaputtgeschrieben wurde in den letzten Jahrzehnten. Die Entwicklung von den wenigen Großbetrieben zu den vielen mittleren und kleinen haben sie gemeinsam.

„Wir sind aber auch bewusst in die Kleinteiligkeit gegangen“

Bürgermeister Tobias Stockhoff (CDU) war zuvor selbst Vorsitzender des Ausschusses für Wirtschaftsförderung.
Bürgermeister Tobias Stockhoff (CDU) war zuvor selbst Vorsitzender des Ausschusses für Wirtschaftsförderung. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

Und jetzt Dorsten. Levis auf dem Gelände der früheren Zeche Wulfen ist ja vergleichsweise groß. Das „Creativquartier“ in den alten Gebäuden der früheren einen Zeche Fürst Leopold verzeichnet aber schon heute über 40 Firmenadressen: Anwälte, Gastronomen, Fotografen, irgendwas mit Medien. „Wir haben auch Glück gehabt“, sagt Bürgermeister Tobias Stockhoff (CDU): „Wir sind aber auch bewusst in die Kleinteiligkeit gegangen.“

Zwischen Dorsten und Marl lag auch so eine Fläche. Verteilt auf beide Städte, vorgesehen dafür, dass dort ein Kohlekraftwerk gebaut würde. Als die Zeit darüber hinweg ging, entstand hier einer der ersten überkommunalen Gewerbeparks: der Industriepark Dorsten/Marl. Die Gewerbesteuern teilen sich die Städte hälftig. Für die Maßstäbe von 2005 war das sensationell, heute gibt es andernorts ähnliches.

„Die Arbeiter haben irgendwas von Mess-Sonden gesagt“

Die frühere Brache ist mit 20 Firmen heute ausgebucht. Eine davon ist Stiftsquelle, Mittelstand, 160 Arbeitsplätze: Der Mineralwasser-Betrieb war zuhause in Essen eingeengt durch Wohnbebauung und ist nach Dorsten umgezogen. Der Platz war der Grund, und die Quelle: Ihr Wasser fördert die Stiftsquelle auf dem Firmengelände, die Probebohrungen damals waren geheim.

„Wenn Leute fragten, haben die Arbeiter irgendwas von Mess-Sonden gesagt“, erinnert sich Geschäftsführer Michael Brodmann. Die interkommunale Nutzung war eine gute Idee, die Quelle war ein Glücksfall. Aber das muss man ja nicht zu laut sagen. Sondern überlegt sich lieber einen Namen für die Wirtschaftsförderung, der nach einem guten Plan klingt. So sind sie auf „Wirtschaftsförderung in Dorsten“ gekommen, denn das mündet in das sprechende Kürzel „Windor.“