Bochum/Witten. Die Show geht weiter, als hätte es keine Pandemie gegeben. Doch hinter den Kulissen läuft einiges anders. Vier Kreativen berichten vom Aufbruch.

Die längste Bühne des Reviers ist wieder eröffnet: Ab Freitag macht das Zeltfestival Ruhr am Kemnader See wieder Programm, 17 Tage lang. Die Fantastischen Vier und Silbermond kommen wieder in die zwei Zirkuszelte am Strand. Wortarbeiter wie Goosen und Mittermeier, die 80er-Jahre-Helden Fischer-Z und Liedermacher Johannes Oerding – fast alle spielen auf wie vor drei Jahren geplant. Als hätte es keine Pandemie gegeben. Aber hinter den Kulissen und in den Köpfen hat sich einiges verändert. Wir haben mit vier Kreativen gesprochen über den Aufbruch aus der Krise.

Die Künstlerin

Gerburg Jahnke
Gerburg Jahnke © dpa

Irgendwann war der Keller aufgeräumt. Sogar der Stapel der ungelesenen Bücher wurde kleiner. Aber als Kabarettistin will Gerburg Jahnke aktuell sein, da kann man nicht viel vorproduzieren im Lockdown. „Und vor Autos spiele ich nicht. Kollegen haben mir erzählt: Wenn die Scheibenwischer gehen und das Wasser gespritzt wird, wissen sie, dass den Leuten vor Lachen die Tränen kommen. Da dachte ich: Boah, hab ich ja keinen Bock drauf.“

Die Pandemie war also ein Durchhänger. Bis zum emotionalsten Herbst aller Zeiten: „Alle Karteninhaberinnen hatten gewartet. Beim Anfangsapplaus konnteste dir ne Zigarette rauchen, so lange dauerte der an. Die Künstlerinnen wollten gar nicht mehr von der Bühne runter.“ Denn Gerburg Jahnke lädt ein – auch beim Zeltfestival hat sie nun „fünf Gästinnen“ dabei. Und wird „wieder die üblichen männerfeindlichen Dinge“ erzählen. „Aber da kommen diese Autokraten mir ja zupass, die nun unterwegs sind.“

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Ist das Publikum noch immer so emotional? Die Kartenverkäufe gingen generell zurück, berichtet Jahnke, „einige Veranstalter witzeln schon: 200 ist das neue 1000. Einige glauben, es liegt an Netflix & Co. Andere sagen, das Geld wird knapp.“ Aber auf das Zeltfestival trifft das nicht zu. Für Jahnkes Auftritt am 28. August sind schon über 2500 Karten verkauft – „und trotzdem ist es sehr familiär“. Auch hinter der Bühne: Die Veranstalter sagen persönlich Hallo. Künstler können den Mitschnitt des Abends nutzen. „Und es gibt immer ein Mega-Catering, wir Mädchen bringen mittlerweile Tupperdöschen mit.“

Der Veranstalter

Heri Reipöler
Heri Reipöler © Ingo Otto

Im März haben die drei Macher entschieden: Es soll ein „normales“ Zeltfestival geben. Selbst in der Pandemie haben Björn Gralla, Lukas Rüger und Heri Reipöler, Chef der Musikagentur Radar, weitergemacht mit dem „Stattstrand“ in Bochum und einer Strandkorb-Ausgabe des Zeltfestivals. „Es gab viele Bands, die Konzerte vor allem gespielt haben, um ihre Crews zu finanzieren. So haben wir es auch gesehen“, sagt Reipöler. „Wenn man Kontakte gepflegt hat in dieser Zeit, verbindet das noch mehr. Darum bekommen wir den Personalmangel nun nicht so stark zu spüren.“

Bemerkbar macht er sich aber doch. „Du bekommst nur noch sehr selten mit einem Telefonat etwas geklärt.“ Wo früher ein Zuruf reichte, an die Firmen, mit denen man seit 20 Jahren zusammenarbeitet – Reipöler hat auch „Bochum total“ mitgegründet – heißt es nun bei Material, Logistik, Personal: „Melde mich, schauen wir mal.“

„Mit Sicherheit wird es das teuerste Zeltfestival aller Zeiten“, sagt Heri Reipöler. Die Kalkulationen und Künstlerverträge stammen alle aus 2019. „Aber wir haben die Eintrittspreise bewusst beibehalten, auch wenn es betriebswirtschaftlich unvernünftig ist.“ Auch an den vielen Kleinigkeiten wollten die Veranstalter nicht sparen: Ein paar hundert Pflanzen verleihen dem Festivalgelände eine frische Note. Würden sie fehlen, würde man es merken? Unterbewusst bestimmt.

Die Kunsthandwerkerin

Emorfia Griese
Emorfia Griese © Privat

„Ich habe zu den erfinderischen Menschen gehört“, sagt Emorfia Griese. Als die Pandemie losging, hat die Schmuckdesignerin aus Unna ihren Boho-Schmuck in den Social-Media-Kanälen beworben. Als „Schmuck-Taxi“ hat sie persönlich ausgeliefert, „mit ein bisschen Schokolade verpackt“. „Natürlich gab es einen finanziellen Einbruch, aber es ging eben die ganze Zeit weiter.“

Einige Male schon hat Emorfia Griese ihr Klein-Ibiza auf dem „Markt der Möglichkeiten“ errichtet: „Mit viel Türkis, Weiß und Strohlampen.“ Sie teilt sich den Platz mit Claudia Kaltwasser, die Segeltuch zu Taschen upcycelt. Daneben: Naturseiden, Bonsais, Motivfliesen, Vollholzmöbel und ja, Airbrush auf Schuhen.

„Man weiß nie, was einen erwartet. Ob die Leute nun ihr Geld zusammenhalten oder lieber für Essen ausgeben? Habe ich genug Schmuck gemacht? Und auch den richtigen?“ Nach dem Festival, gegen Mitternacht, setzt sich Emorfia Griese noch einmal hin, um drei, vier Stunden lang zu werkeln. Weil sie hier eigentlich immer neue Ideen bekommt und weil sie ihren Nachschub „on demand“ produziert. „2019 liefen Armbänder gut, aber es kann sein, dass die Leute jetzt auf Ringe gehen.“

Der Techniker

Jens Schilling
Jens Schilling © Funke Foto Services GmbH | Walter Fischer

Als Toningenieur arbeitet Jens Schilling für Rock am Ring, Juicy Beats und Summerjam, er produziert und leitet Veranstaltungen. Für das Zeltfestival macht Schilling seit 2015 den Bühnenmeister. Licht und Ton werden von Firmen installiert, aber er muss prüfen, dass alles funktioniert, zusammenspielt, sicher ist. „Den ersten Lockdown habe ich als Einschnitt erlebt“, sagt der 54-Jährige. Er hat sich dann rasch auf Hygiene- und Infektionsschutzkonzepte spezialisiert.

Viele Kollegen dagegen, sagt Schilling, mussten die Branche verlassen, auch bei den Dienstleistern. „Es gibt einzelne Tätigkeiten, die man früher auf zwei Schultern aufgeteilt hat – heute muss sie einer stemmen. Vor kurzem habe ich eine kleinere Produktion geleitet, wir hatten acht Helfer eingeplant, aber nur drei waren verfügbar. Das geht irgendwann für alle Seiten an die Substanz.“

„Aber ich freue mich natürlich auch, dass wieder Sachen stattfinden. Dass ich wieder Leute sehe, auch wenn es nun oft nicht mehr die alten Freunde sind.“ Zum Zeltfestival kann er mit dem Fahrrad fahren – und nicht nur das macht es besonders. Dort seien die Beziehungen sehr persönlich, sagt Schilling, deutlich familiärer als anderswo.

Der Gastronom

Auch Christian Di Veronica hat einen kreativen Weg gefunden, mit der Pandemie umzugehen. Neben seinem Restaurant Pasta - Viva la Mamma betreibt er auch mehrere Kantinen. Als diese schließen mussten, funktionierte er seinen Food-Truck zur stationären Open-Air-Betriebskantine um. Er ist also geübt im Improvisieren.

Das muss er nun auch wieder, denn er baut noch das große Restaurant in der Zeltstadt auf, das einzige mit Service. 90 Plätze hat es, fast doppelt so viele wie sein Stammhaus. „Das ist schon ein ziemlicher Klotz“, sagt der 46-Jährige. Er muss ja auch die gesamte Küche aufbauen. Die hat er mittlerweile angeschafft, denn seit 2014 ist er schon dabei am Kemnader See. Nur die Kaffeemaschine muss er leihen und einige Tische und Stühle. „Ich freue mich aber darauf, auch weil wieder einigermaßen Normalität eingetreten ist.“

Um das Personal muss er sich hier keine Sorgen machen. Für das Zeltfestival wollen offenbar viele Leute arbeiten – selbst wenn es stressig ist. Denn die Nachfrage kommt natürlich stoßweise, vor und nach den Konzerten vor allem. „Aber das Team ist auch immer sehr erfreut. Es ist eben was besonderes am See arbeiten zu können.“

Hier gibt’s alle Infos zum Programm.