Essen. Ein Patient im Essener Uni-Klinikum bekam eine fast tödliche Arzneidosis. Hintergrund könnte ein Streit unter Mitarbeiterinnen sein.
Ein Patient des Uni-Kinikums Essen ist an der ärztlich verordneten Überdosis eines Schmerzmittels fast gestorben, räumt das Krankenhaus ein. Hintergrund könnte der Streit zwischen Ärztinnen und einer Krankenschwester sein oder der ärztliche Fehler, die Überdosis nicht korrigiert zu haben.
Bekannt wurde die fast tödliche Arzneigabe durch eine Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht Essen (Az: 2 Ca 1267/22). Dort wehrt sich die 36 Jahre alte Krankenpflegerin gegen ihre fristlose Kündigung vom 20. Juli durch das Uni-Klinikum. Es hatte ihr vorgeworfen, bewusst die mündliche Korrektur der falschen Dosierung missachtet und dadurch "das Leben und die Gesundheit des Patienten erheblich gefährdet" zu haben.
Krankenpflegerin weist Vorwurf zurück
Die Pflegerin sieht sich dagegen in die Rolle des Sündenbocks gedrängt. Damit solle von der eindeutig dokumentierten Schuld mehrerer Ärztinnen abgelenkt werden. Ihr gegenüber sei die Dosierung nie mündlich korrigiert worden, sie habe auch angenommen, dass der Patient wegen starker Schmerzen auf eine höhere Dosis angewiesen sei.
Der Mann hatte zunächst vom 14. bis zum 17. Juni im Klinikum gelegen. Eine Assistenzärztin verordnete ihm damals das hoch wirksame Schmerzmittel "Levomethadon Aristo 5mg/ml Tropfen". Davon sollte er dreimal am Tag 40 ml einnehmen. So stand es auch in der elektronischen Patientenakte "medico". Das ist laut Klinikum eine Dosis, die zum Atemstillstand führen kann. Er habe diese aber nicht bekommen, sagt Petra Resing, Anwältin des Krankenhauses, ohne dies weiter zu begründen.
Überdosis nicht korrigiert
Am 5. Juli kam der Patient erneut ins Klinikum. Offenbar übernahm die Stationsärztin die von ihrer Kollegin in "medico" vermerkte und immer noch nicht korrigierte Dosierung des Schmerzmittels und ordnete sie auch jetzt in dieser Höhe an. Krankenpflegerinnen im Nachtdienst kamen Zweifel.
Sie wiesen die diensthabende Ärztin der Nachtschicht auf die Dosis hin. Diese teilte die Bedenken und sorgte dafür, dass der Patient in der Nacht lediglich eine weit geringere Dosis bekam.
Medikamentengabe mündlich gestoppt
Laut Klinikum habe sie zudem gesagt, die Dosierung solle am nächsten Morgen mit den Ärzten im Tagdienst besprochen werden. Bis dahin solle dem Patienten das "Levomethadon" nicht gegeben werden.
Ab hier gehen die Schilderungen auseinander. Das Klinikum sagt, die Nachtschwester habe ihrer Kollegin morgens bei der Übergabe ausdrücklich gesagt, der Patient dürfe das Schmerzmittel nicht bekommen. Diese Kollegin habe sich daran aber nicht gehalten und den Mann 40 ml schlucken lassen. Eine Stunde später sei sie ins Arztzimmer gegangen. Dort habe sie zwei Ärztinnen erklärt, sie habe dem Patienten die viel zu hohe Dosis gegeben und "habe es jetzt satt". Die Ärztinnen sollten sich nicht wundern, wenn der Mann "gleich nicht mehr atmet".
Pflegerin will nicht informiert worden sein
Die Krankenpflegerin bestreitet das gegenüber der WAZ ausdrücklich. Sie habe lediglich mitgeteilt, dass sie das Medikament in der angeordneten Dosis gegeben habe. Denn in der elektronischen Patientenakte stand auch am Morgen des 6. Juli die zu hohe Dosis. Die Pflegerin bestreitet auch, dass die Nachtschwester ihr bei der Übergabe ausdrücklich untersagt habe, das "Levomethadon" zu geben.
Aber auch nach dem Gespräch mit den Ärztinnen waren diese nach Darstellung der Klinikum-Anwältin keineswegs sofort zum Patienten geeilt. Erst als mindestens 15 Minuten später eine Krankenschwester Alarm läutete, weil der Patient krampfte, kamen Ärzte und spritzten ihm das Gegenmittel "Naloxan". Sofort erholte er sich.
Anwalt: Inkompetente Ärztinnen
Rechtsanwalt Christian Nohr, der die Krankenpflegerin vor dem Arbeitsgericht gegen die fristlose Kündigung vertritt, spricht von "drei inkompetenten Ärztinnen", denen das Klinikum keine Schwierigkeiten gemacht habe. Nohr: "Aber diese kleine Krankenschwester, die soll jetzt die Schuld allein tragen." Sie habe der ärztlichen Anordnung in der elektronischen Patientenakte vertraut. Sie habe daran nicht gezweifelt, weil chronisch kranke Patienten häufiger eine höhere Dosis bekämen. Für Anwalt Nohr ist klar: "Die fristlose Kündigung muss weg."
Ein Gütetermin vor Arbeitsrichter Tim Kusch scheiterte, so dass es im September vor der 2. Kammer am Arbeitsgericht weiter gehen wird. Möglicherweise wird auch parallel die Staatsanwaltschaft ermitteln. Sie müsste klären, ob es sich um ein versuchtes Tötungsdelikt handelte und wer dies zu verantworten hat.
Uni-Klinikum will Fragen nicht beantworten
Erst kürzlich hatte das Essener Schwurgericht einen Arzt des Klinikums wegen Totschlags verurteilt, weil er todkranken Patienten eine Überdosis gespritzt hatte. Laut noch nicht rechtskräftigem Urteil hatte er das allerdings bewusst durchgeführt.
Die WAZ hat beim Uni-Klinikum nachgefragt, warum es zu der angeordneten Überdosis kam und sie nicht aus der elektronischen Patientenakte gelöscht wurde. Außerdem, mit welchen Maßnahmen die Klinik künftig das Risiko für Patienten verringern will. Doch die Antwort auf die Fragen nach dem Patientenschutz bleibt das Uni-Klinikum schuldig. Sprecher Thorsten Schabelon übermittelt die Position der Klinik: "Mit Hinweis auf das laufende Verfahren bitten wir um Verständnis, dass wir leider keine Fragen beantworten können."