Ruhrgebiet. Im Ruhrgebiet werden Tierkliniken von großen Konzernen übernommen. Das sichert Behandlungsmöglichkeiten, könnte aber die Preise steigen lassen.

Wenn „Bello“ sich nach 22 Uhr den Fuß bricht oder „Mietze“ am Sonntag hohes Fieber bekommt, kann es schwierig werden für Herrchen und Frauchen. Denn im Ruhrgebiet gibt es kaum noch einen klassischen Tierarzt, der Notdienst anbietet. Muss er – anders als in den übrigen Bundesländern – laut NRW-Heilberufsgesetz auch nicht.

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Die Aufgabe übernehmen Tierkliniken – große, modern ausgestattete Einrichtungen mit angegliederten Stationen, die 24 Stunden an 365 Tagen im Jahr geöffnet haben. Aber auch von solchen Kliniken gibt es immer weniger. Gerade einmal 16 hatte NRW laut „Statista“-Zählung Ende 2020 noch für Kleintiere. Sieben Jahre zuvor waren es 37. „Zu aufwendig“, „kein Personal zu bekommen“,„nicht kostendeckend“, hieß es, wo geschlossen wurde.

„Alle zwei Wochen klingelt das Telefon“

Wahrscheinlich würde es noch weniger Kliniken geben, hätten multinationale Konzerne nicht damit begonnen, sie in ganz Deutschlands aufzukaufen. Rund 150 sind aktuell nicht mehr inhabergeführt, sondern gehören zu weltweit agierenden Großkonzernen. Den Großteil des neuen Marktes teilen sich die schwedischen Unternehmen Anicura, das zu Mars gehört und Evidensia, an dem Nestle beteiligt ist. Bundesweit betreibt Anicura derzeit 67 Tierkliniken – im Revier gibt es Standorte in Duisburg, Essen, Recklinghausen und Witten. Evidensia ist unter anderem in Hagen, Mülheim und Düsseldorf zu finden.

Weitere Übernahmen dürften folgen, denn die Kasse der Großkonzerne ist gut gefüllt. „Alle zwei Wochen klingelt das Telefon“, bestätigt Ralf Unna, Vizepräsident des Landestierschutzverbandes NRW und Mitinhaber einer großen Tierarztpraxis in Köln. „Und dann fragt mich jemand, ob ich nicht verkaufen will.“ Unna will nicht, „obwohl die Angebote gut sind“. Viele andere wollen schon, vor allem weil bei ihnen – anders als bei Unna – nicht klar ist, wer Klinik oder Praxis sonst übernehmen soll.

Tierärzte wollen lieber als Angestellte arbeiten

Auch am Wochenende können kranke Hunde in die großen Tierkliniken kommen
Auch am Wochenende können kranke Hunde in die großen Tierkliniken kommen © FUNKE Foto Services | Kai Kitschenberg

„Inhaber großer Tierarztpraxen und Kliniken, die vor dem Ruhestand stehen, können ihre Unternehmen oft nicht verkaufen, weil immer mehr Tierärzte lieber in einem Angestelltenverhältnis arbeiten möchten als sich selbstständig zu machen“, hat auch Astrid Behr, Pressesprecherin des Bundesverband Praktizierender Tierärzte festgestellt. Dafür geben sie sich dann auch mit einem Gehalt von 40.000 bis 50.000 Euro brutto im Jahr zufrieden.

Selbstständige dagegen kommen laut Tierarztberatungsdienst Vet-Consulting mit einer gut geführten Kleintierpraxis auf einen jährlichen Gewinn vor Steuer von 60.000 bis 100.00 Euro, manchmal auch auf mehr. „Stimmt“, sagt Unna. „Dann muss man aber auch mindestens 60 bis 70 Stunden die Woche arbeiten. Mit Work-Life Balance, die für junge Menschen immer wichtiger wird, hat das nicht mehr viel zu tun.“

Immer weniger Männer werden Tierärzte

Hinzu kommt in diesem Fall, was Unna „eine Feminisierung des Berufsstandes“ nennt. „Als ich studiert habe, waren wir zu einem Drittel männlich. Aber in der Generation meiner Profs gab es vor rund 50 Jahren in Berlin nur eine Frau im Semester. Heute sind rund 85 Prozent der Studierenden der Tiermedizin weiblich.“ Ihre Lebensplanung sei oft eine andere als Selbstständigkeit und die Gründungsquote deshalb niedriger als bei Männern. „Viele Frauen scheuen auch das finanzielle Risiko, das mit der Übernahme einer Praxis verbunden ist.“

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So rennen Nestle und Mars mit ihren Angeboten bei vielen Tierärzten offene Türen ein. Behr kann das verstehen. Oft sei der Verkauf der Praxis ja auch eine Altersversorgung. Kritik gibt es trotzdem. Es sei fraglich, warnt etwa der Tierarzt und Mitbegründer der Gesellschaft für freie Tiermedizin Ralph Rückert, ob die Kliniken weiterhin neutral bei der Futtermittelberatung sein können, wenn sie Konzernen gehören, die zu den größten Produzenten eben solcher Futtermittel gehören, wie das bei Mars (Frolic, Pedigree, Royal Canin) und Nestle der Fall ist.

Behandlung in Skandinavien doppelt so teuer

An moderner Diagnostik mangelt es nicht: Das Röntgenbild einer Taube
An moderner Diagnostik mangelt es nicht: Das Röntgenbild einer Taube © FUNKE Foto Services | Kai Kitschenberg

Und von Investoren gelenkte Praxen würden – anders als viele klassische Tierärzte – künftig kaum Hemmungen haben, die Gebührenordnung voll auszureizen. Mit anderen Worten: Der Tierarztbesuch wird wohl teurer werden. Dass diese Sorge nicht völlig unbegründet ist, zeigt ein Blick nach Schweden, wo über 90 Prozent der Praxen in den Händen der Ketten sind und die Behandlungspreise doppelt so hoch liegen. Allerdings ist dort auch fast jedes Tier für den Fall von Behandlungen versichert.

Beim Bundesverband Praktizierender Tierärzte hält man sich bisher noch zurück mit Kritik. Dafür sei es noch zu früh, heißt es. „Das sind alles Vermutungen, reine Spekulation“, sagt Astrid Behr. „Es gibt zurzeit keine negativen Erfahrungswerte.“ Ralf Unna sieht das ein wenig anders. Fachlich, stellt er klar, sei an den Klinik-Ketten gar nichts auszusetzen: „Die Kollegen können was.“ Aber was sie können, machen sie offenbar auch: „Wir erkennen eine Tendenz in den übernommenen Kliniken, die Diagnostik auszureizen“, sagt Unna und gibt ein Beispiel. Wo in vielen Fällen eine Röntgenaufnahme ausreiche, komme der tierische Patient dort schnell auch mal ins CT. Unterschied auf der Rechnung: Mehrere 100 Euro.

Übernahmen hat aber auch positive Effekte

Es gibt indes auch positive Effekte durch Übernahmen. „Wir haben ein Notdienstproblem und Mangel an Landtierärzten“, sagt Behr. Beides könnten die Investoren vielleicht ausgleichen. Und ohne Übernahmen, gibt sie zu bedenken, müssten viele weitere Kliniken wohl bald schließen. „Das wäre auch nicht gut.“ Da stimmt ihr der Vizepräsident des Landestierschutzverbandes ein Stück zu. „Eine kapitalgetriebene Klinik“, so Unna, „ist immer noch besser, als gar keine Klinik.“