Essen. Die Johanniter stellen ihren Katastrophenschutz neu auf. Mehr Spezialfahrzeuge und Luftaufklärung: Als Vorbild gilt die Essener Drohnenstaffel.

Die Drohne steht. Und wackelt nicht. Oder nur minimal, wenn man ganz genau hinschaut, trotz des zunehmenden Windes über diesem Feld an der Ruhr in Essen-Kettwig. Hier üben Patricia Montorio und Florian Behler und die zwölf weiteren Drohnenpiloten der Johanniter Unfallhilfe den Ernstfall. Wie man ein Gebiet effektiv abfliegt, um vermisste Personen zu suchen. Wie man nachts über den Bildschirm an der Fernbedienung navigiert. Wie man Wind und Thermik ausgleicht. Ein spezialisierter Einsatzwagen gehört dazu, eine hochpräzise Kamera und die Live-Übertragung des Bildes – die Essener Drohneneinheit ist Vorbild für die Modernisierung des Katastrophenschutzes im ganzen Land.

Die hat schon 2017 begonnen, als die Johanniter ihre Lehren aus den zunehmenden lokalen Überschwemmungen zogen und UNIKE gründeten, die Universelle Katastrophenschutz-Einheit. Damals wurden die Kräfte neu auf die Standorte verteilt, zwei geländegängige Unimogs wurden zu Krankenwagen umgerüstet, etwa in Herdecke, und seit 2020 fliegen die Essener mit ihren Spezialdrohnen.

Generatoren, Feldküchen, Geländefahrzeuge und Drohnen

Philipp Graf (31) leitet die Drohnenstaffel der Essener Johanniter.
Philipp Graf (31) leitet die Drohnenstaffel der Essener Johanniter. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Die Flutkatastrophe an der Ahr im September 2021 hat zu einem weiteren Umbaugeführt, erklärt Sprecher Tobias Eilers: Die Einsatzkräfte sind autark geworden, mit mehr Generatoren und Feldküchen. Sie sind nun modular organisiert, um präziser auf Lagen reagieren zu können. Und die Spezialfähigkeiten werden ausgebaut. Das heißt: mehr Unimogs und mehr Drohnen.

Philipp Graf und sein Team von der Essener Drohnenstaffel sind derzeit viel unterwegs, um das von ihnen entwickelte Konzept bei anderen Johanniter-Verbänden, bei Polizeien und Feuerwehren vorzustellen. Ihre beste Drohne allein kostet rund 35.000 Euro, wovon fast ein Drittel auf die Kamera entfällt. „Man sieht sogar noch Hasen, wenn man hundert Meter hoch fliegt“, sagt Graf. Und er meint nachts. Die Polizei fragt die Drohne mit Wärmebildfunktion darum gerne für Personensuchen an, die Feuerwehr zieht die Johanniter häufig bei Bränden hinzu. Doch die Drohne allein wäre nur halb so wirkungsvoll.

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„Wir haben schnell gemerkt, dass wir ein eigenes Auto brauchen“, sagt Graf. Sie haben also einen Vito-Kastenwagen zur Einsatzzentrale umgebaut: Am großen Bildschirm kann man drinnen oder unter der geöffneten Heckklappe die Lage beurteilen. Das Ausmaß der Überschwemmungen an der Ruhr im vergangenen Juli etwa. Graf zeigt das Bild eines Tanklasters, dem in Essen-Kupferdreh der Boden unter den Rädern fortgespült worden war. Am Morgen steckte er in einem tiefen und von „Land“ nicht ganz einsehbaren Loch. Das Drohnenteam half bei der Bergung. „Es war noch ein Hund im Laster und er sackte immer weiter ab.“

Über einen Live-Stream kann sich die Feuerwehr die Drohnensicht aber auch in entfernte Kommandozentralen holen, auch mehrere Einsatzkräfte können parallel darauf zugreifen. Die Drohne DJI Matrice M300 RTK und ihr kleineres Backup sind im Einsatzwagen aber auch immer geladen und einsatzbereit. Das ist der Hauptgrund, warum die Drohnenstaffel oft schneller einsatzbereit ist, als ein Hubschrauber, sie fliegt auch unter widrigeren Umständen: nah am Brandherd zum Beispiel. Und warum sie fast wöchentlich hinzugezogen wird von Polizei und Feuerwehr.

Die Rauchsäule war schon von weitem zu sehen

Drohnenpilotin Patricia Montorio kann sich auch im Einsatzwagen ein Lagebild holen.
Drohnenpilotin Patricia Montorio kann sich auch im Einsatzwagen ein Lagebild holen. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

„Wenn eine Lagerhalle brennt, können wir genau gucken, wo Brandherde oder Glutnester sind“, erklärt Essens Feuerwehrsprecher Christoph Riße. „Wir können dann den Wasserstrahl viel genauer hinhalten.“ Perspektivisch wolle die Feuerwehr auch eigene Drohnen anschaffen, aber noch ist die Staffel ein Alleinstellungsmerkmal der Johanniter. Elf der 14 Drohnenpiloten sind Ehrenamtler, es braucht mindestens zwei in jedem Einsatz, eine für die Drohne selbst, einen für die Kamera (und je nach Einsatz jemanden, der die Lage live beurteilt). Aber es gibt auch solche Wochen, da jagt ein Einsatz den nächsten. Und manche dauern viele Stunden.

Anfang März stand plötzlich ein Möbellager in Essen-Kray in Flammen. Patricia Montorio hatte sich gerade die Haare gefärbt, als ihre Alarm-App sie zum Einsatz rief. Mit nassen Haaren stand sie kurz darauf mit ihrer Fernbedienung vor der brennenden Halle. Florian Behler hatte die Rauchsäule schon gesehen und sich vorbereitet, bevor es bei ihm klingelte. Wie Montorio ist er angestellt bei den Johannitern, aber befand sich offiziell gerade im Urlaub, aber Haupt- und Ehrenamt sind nicht immer klar zu trennen. „Darum hatte ich Zeit von 18 bis sechs Uhr am Morgen zu helfen.“ Je fortgeschrittener die Löscharbeiten, desto näher fliegen die Drohnen ran – und finden noch die letzten Glutherde. „Echt, da ist noch was?“ – „Ja, da sind es noch 100 Grad“, antwortet Patricia Montorio dann. Sie hat ja den besten Überblick.

>> Info: Die Unimogs schaffen 120 Zentimeter tiefes Wasser

Aktuell haben die Johanniter in NRW acht Unimogs im Katastrophenschutz im Einsatz, vier weitere sind in Planung. Mit ihrem Allrad-Antrieb können sie auch durch überschwemmte Straßen und Felder mit bis zu 120 Zentimeter tiefes Wasser pflügen, und mit rund 300 PS kommen sie auch über einen halben Meter dicke Baumstämme und steile Hänge hinweg. Vom Einsatzleitwagen bis zum Rettungswagen kommen die Unimogs mit verschiedenen Ausbauten und Funktionen daher.

Auch diese hat man ausgebaut. „Früher hat man Verletzte möglichst schnell zum Zelt oder ins Krankenhaus gebracht“, erklärt Sprecher Tobias Eilers. „Heute können wir ein gebrochenes Bein und mehr schon vor Ort versorgen.“ Nicht nur bei Überschwemmungen oder Schnee-Chaos kommen die Spezialfahrzeuge zum Einsatz. Auch wenn bei Forstarbeiten oder Motocross-Rennen ein Unfall passiert – im Helfer-Alltag also.

Standorte für das UNIKE-System mit seinen vier Modulen Koordination, Lageerkundung, Rettungsdienst und Logistik sind im Ruhrgebiet Essen und Mülheim, sowie Hagen und Herdecke.