Dortmund. 124 Vögel waren in Dortmund vorsorglich gekeult worden. Nach dem Wiederaufbau darf der Betreiber der Auffangstation ab Mai wieder Tiere retten.

Die Möwe namens „Meins“ war gerade nicht da. Sie hat deshalb nicht miterlebt, wie „Hexe“, die Dohle, und „Rocky“, die Krähe, verendeten. Die Störche, die seit elf Jahren in Dortmund zuhause waren, die drei Reiher, die man einst angeschossen hatte, 124 Vögel insgesamt, alle tot. Eingeschläfert, nachdem die Vogelgrippe fünf Tiere dahingerafft hatte. In der Auffangstation von Ewald Ferlemann blieben nur ein paar Vögel aus Plastik zurück. Trotzdem ist der 67-Jährige entschlossen: „Ich werde weitermachen. Ohne geht gar nicht.“ Im Mai dürfen die ersten neuen Pflegefälle einziehen.

Man hört den Schrei von „Meins“ bis auf die Straße, der Möwenmann hat eine Frau mitgebracht, die sich auf dem Schornstein sonnt. Nebenan sitzt ein Reiher auf dem Dachfirst. Es gackert aus dem Garten, es zwitschert aus den Bäumen, alles wie immer? Aber es sind bloß die Hühner vom Nachbarn, das Zwitschern kommt vom Band, es wäre sonst sehr still bei Ferlemanns in Dorstfeld. Alle Vögel sind nicht mehr da. Zwei Monate ist es jetzt bald her, dass die Stadt zwei Tierärzte schickte und die Feuerwehr mit Krankenwagen, „volles Aufgebot“, sagt Ewald Ferlemann traurig.

Enten, Gänse und Flamingos sind nur noch aus Plastik. Die Volieren von Ewald Ferlemann sind seit der Keulung von 124 Vögeln Ende Januar leer. Nun kam die gute Nachricht: Im Mai können neue Tiere einziehen.
Enten, Gänse und Flamingos sind nur noch aus Plastik. Die Volieren von Ewald Ferlemann sind seit der Keulung von 124 Vögeln Ende Januar leer. Nun kam die gute Nachricht: Im Mai können neue Tiere einziehen. © FUNKE Foto Services | Bernd Thissen

„Jeder, der kann und möchte, kann wegfliegen“

Sie töteten seine Tiere, die blinden, die einäugigen, die Krüppelfüße, Kormorane, Tauben, Falken, jeden einzelnen, den Ferlemann in den vergangenen Jahren gerettet, gepäppelt, gesundgepflegt hat. Dabei hätten die meisten fliehen können wie Ferlemann selbst an jenem letzten Samstag im Januar. „Jeder, der kann und möchte, kann wegfliegen“, sagt der gern. Aber sie kamen ja freiwillig immer wieder zurück, und wie sollten sie wissen, dass die Seuche unter ihnen war und dass das Amt, wie es bei der Stadt heißt, nicht anders konnte als dem Gesetz zu folgen. „Sie haben mir alle weggekeult.“

Ferlemann findet, das wäre nicht nötig gewesen. Er hätte doch die Käfige abhängen können und nach einer Weile wieder testen, er hätte die Vögel einstallen können, wie es Vorschrift ist. „Alle schön in Quarantäne.“ Er hatte schließlich selbst gemeldet, dass einige wenige Tiere eingegangen waren, Ente, Taube, Kranich, Nilgans, und danach keiner mehr, fünf Tage lang. Er hat inzwischen auch diesen Verdacht, „ich weiß ungefähr, wer’s war“: eine verletzte Möwe, die ihm die Feuerwehr gebracht hatte – dieselbe Feuerwehr, die eine Woche später half beim allgemeinen Einschläfern.

Diagnose und die Folgen: „Die schlimmsten Tage meines Lebens“

Vogelfrei: Der Reiher kommt nur hin und wieder zu Besuch, war am Tag, als das Veterinäramt anrückte, nicht da.
Vogelfrei: Der Reiher kommt nur hin und wieder zu Besuch, war am Tag, als das Veterinäramt anrückte, nicht da. © FUNKE Foto Services | Bernd Thissen

Sie haben ihm mehr kaputtgemacht als sein „Paradies“, seinen „Garten Eden“, „es war ein Traum, der seinesgleichen gesucht hat“. Sie rissen in den Volieren alles heraus, was da wuchs, sägten Bäume ab, um an die Tiere zu kommen. Sogar das eingefrorene Tierfutter haben sie weggeworfen, „wie soll denn das Virus da reinkommen“? Den Rest musste Ewald Ferlemann seinem Garten selbst geben: alles entfernen, was aus Holz war, Erde ausheben, in Containern entsorgen, ganze Volieren abreißen. „Es waren die härtesten Tage meines Lebens. Nicht essen, nicht trinken, nicht schlafen.“

Seine Tiere waren weg, aber er war nicht allein. Menschen von überall her spendeten Geld und Zuspruch, und schnell schellte das Telefon wieder: Ob Ferlemann nicht einen Turmfalken, eine Waldschnepfe, einen Eichelhäher aufnehmen könne, und was ist eigentlich mit den Vögeln, die Flüchtlinge aus der Ukraine mitbringen? Tierheime, Zoll, Autobahnpolizei rufen an, die Wildvögel brüten an den unmöglichsten Stellen (wie letztes Jahr erst die Nilgänse auf dem Dach des Dortmunder Polizeipräsidiums), und jetzt ist ja ihre Zeit. Sie haben sich immer an Ewald Ferlemann gewandt, aber der darf noch nicht. Veterinär- und Umweltamt haben gerade erst seine Volieren untersucht, soweit die schon repariert sind. Anfang der Woche kam endlich die neue Genehmigung: für den 1. Mai.

„Wieder gut machen, was ich den Tieren angetan habe“

Und Ferlemann ist bereit: „Ich wollte erst hart sein“, sagt der Rentner, er hatte ja auch 15 Jahre keinen Urlaub, aber er kann nicht ohne seine Vögel. Außerdem: „Ich möchte was wiedergutmachen, was ich den Tieren angetan habe.“ Er hat doch wirklich ein schlechtes Gewissen, weil er den Vogelgrippen-Verdacht gemeldet hat – so wie er immer alles meldete, jeden Spatz, den er in die Hand bekam. Also hat er gestrichen, gekalkt, neuen Boden herangekarrt und eine neue Ladung Tiefkühl-Mäuse. Noch ist nicht alles wiederhergestellt, auch das Grün will erst noch wachsen. Aber das Wichtigste ist fertig: „Ich habe Platz für 200 Vögel.“

Die Möwe „Meins“ wohnt längst in Duisburg. Zu Besuch im Dorstfelder Garten bringt das Männchen inzwischen eine Möwendame mit.
Die Möwe „Meins“ wohnt längst in Duisburg. Zu Besuch im Dorstfelder Garten bringt das Männchen inzwischen eine Möwendame mit. © FUNKE Foto Services | Bernd Thissen