Essen. Speiseröhrenkrebs wird am Essener Uniklinikum fast nur noch minimalinvasiv operiert – nicht mehr wie früher offen, über zwei große Schnitte.
Vor anderthalb Jahren noch hätten sie Sven Langrocks Brustkorb geöffnet und seinen Bauchraum womöglich dazu. Eine gewaltige Operation wäre nötig gewesen, um den bösartigen Tumor zu entfernen, der sich in seiner Speiseröhre gebildet hatte. Zwei lange Narben würden auf ewig davon zeugen, drei Wochen hätte er im Krankenhaus verbringen müssen, mindestens. Heute wird ein solcher Eingriff im Essener Universitätsklinikum nur noch minimalinvasiv durchgeführt, als Schlüsselloch-OP. Elf Tage danach sitzt Sven Langrock auf gepacktem Koffer im Krankenzimmer: Er ist schon wieder fit, wird heute entlassen.
Langrock ist jünger als der Durchschnittspatient, aber nicht der jüngste, den Prof. Andreas Rink, sein Arzt, je behandelte. Untypisch für seinen Fall war eher, dass er zunächst kaum Beschwerden hatte, nicht beim Essen oder Trinken, nicht beim Schlucken – was in der Regel „Leitsymptom“ für die Diagnose ist. „Es war nur so“, erinnert sich der 41-Jährige aus Siegen, der als Industriemechaniker in einer Brauerei arbeitet, „dass mir manches plötzlich nicht mehr schmeckte: Salz und Maggi an einem Tag, Kohlensäurehaltiges, Süsses und Obst am nächsten.“ Dazu kamen später akute Magenkrämpfe, eine Magenschleimhautentzündung, die immer wiederkehrte. Bei einer Spiegelung fand sich eine „unklare Stelle“ am Übergang von Speiseröhre zu Magen. Im Oktober 2021 stand die Diagnose: „Ösophaguskarzinom“.
Sodbrennen und Schluckbeschwerden können erste Hinweise sein
112 Kilo wog Langrock damals, er hatte gerade abgespeckt. 140 brachte er als Höchstgewicht auf die Waage – und damit habe er tatsächlich oft auch unter Sodbrennen gelitten, räumt er ein. „Typisch“, sagt Rink, „viele unserer Patienten sind relativ kräftig, das verstärkt den Rückfluss.“ Sodbrennen deute auf einen Rückfluss von Magensäure in die Speiseröhre hin, stete Säureexposition aber begünstige die Tumorbildung in der Speiseröhre – genau wie Rauchen und Alkohol.
Langrock und Rink, stellvertretender Direktor der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie, lernten sich erst im Januar 2022 kennen, denn Speiseröhren-Tumoren werden vor der Operation immer erst bestrahlt oder medikamentös behandelt. Sven Langrock erhielt vorab eine Chemotherapie, danach war sein Karzinom kleiner als zuvor, aber noch immer 2,5 Zentimeter groß. Und es hatte bereits ins umliegende Lymphgewebe gestreut. Die Ärzte ordneten den Tumor ins Stadium T1b ein, „nicht mehr ganz so früh“, übersetzt Rink.
Weniger belastend, weniger Schmerzen, weniger Blutverlust
Der Spezialist für minimalinvasive onkologische Chirurgie brachte die neue, schonende OP-Technik mit nach Essen, als er im vergangenen August aus Mainz hier herkam. Die Vorteile liegen auf der Hand, für den Patienten bedeutet der Schlüsselloch-Eingriff im Vergleich zur offenen OP: weniger Schmerzen und Blutverlust, weniger Belastung fürs Immunsystem. Und das heißt: Er ist schneller wieder fit. Rink operiert seit sechs, sieben Jahren nur noch in Ausnahmefällen offen. „Früher“, erzählt er, habe er sich für den so viel weniger belastenden Eingriff „rechtfertigen“ müssen, heute frage er nur noch: „Warum anders operieren?“.
Die Operation ist kompliziert, technisch anspruchsvoll – in Langrocks Fall dauerte sie sechseinhalb Stunden. Die Ärzte formen zunächst aus der Innenseite des „aufgedehnten“ Patienten-Magens einen Schlauch, entfernen dann den vom Tumor betroffenen Speiseröhrenabschnitt, ziehen den vorbereiteten Magen-Teil hoch und nähen ihn schließlich an die verbliebene Speiseröhre an. Sie nutzen dafür hochpräzise Werkzeuge und Techniken, hochauflösende Kameras, manchmal – „ressourcenabhängig“ (Rink) – auch einen da-Vinci-Roboter. Die richtige ,komplette Entfernung des Tumors sei entscheidend für die Prognose: Sie sei, sagt Rink, das „A und O“, der wichtigste Schritt, auf dem Weg zur Heilung.
Aus einem Teil des Magens wird ein neues Stück Speiseröhre geformt
Während der Operation wird der rechte Lungenflügel des Patienten stillgelegt, die Ärzte lassen dem Organ im wörtlichen Sinne „die Luft raus“. Sie brauchen den Platz zum Hantieren – bei offener wie bei minimalinvasiver OP. Das kann im Nachhinein Komplikationen zur Folge haben, eine Lungenentzündung etwa. „Das Risiko erhöht sich aber“, erklärt Rink, „wenn die Patienten nach der OP schlecht atmen und Schmerzen haben.“ Bei der offenen OP muss man die Rippen des Patienten regelrecht auseinanderpressen – was ordentlich weh tut. Studien belegen: Die minimalinvasive OP reduziert das Komplikationsrisiko.
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Zweiter Knackpunkt: die Verbindungsnaht zwischen Magen und Speiseröhre. Bei rund fünf Prozent der Patienten reißt diese Narbe wieder – auch bei denen, die minimalinvasiv operiert wurden. „Nur sind diese Patienten ja so viel schneller wieder fit“, so Rink. „Da fällt es rascher auf, dass sie nicht über den Flur laufen. Und dann kriegt man das leichter gemanagt“.
Statt zwei langer Schnitte: eine acht Zentimeter winzige Narbe
Sven Langrock stand schon am Tag nach der OP, noch auf der Intensivstation, erstmals wieder auf den Beinen. Zwei Tage später spazierte er bereits über den Krankenhausflur („rumgehopst bin ich noch nicht, aber es ging ganz gut“). Und heute, am Tag seiner Entlassung, hängt er auf der Treppe ins fünfte Stockwerk so manchen Besucher schon wieder lässig ab.
Auch die Schmerzen, sagt er, „hab ich mir schlimmer vorgestellt“, nach fünf Tagen waren sie komplett verschwunden – genau wie die Sorge, dass es ihm nach der OP nicht mehr richtig schmecken würde. „Ich kann essen wie vor der OP.“ Und an die erinnert nun nur noch eine acht Zentimeter lange Narbe auf dem Rücken, durch die der Tumor geborgen wurde – und sieben winzige Löcher für endoskopisches Gerät.
Ärztliche Leitlinie empfiehlt nur die „Hybrid-Technik“
Standard in allen Krankenhäusern ist die minimalinvasive OP bei Speiseröhrenkrebs indes nicht, die ärztliche „Leitlinie“ empfiehlt bislang nur die „Hybrid-Technik“: Bauchteil der OP minimalinvasiv, Brustteil offen. Und das auch erst seit Oktober 2021. In der Begründung für die Änderung der Leitlinie damals hieß es: Die Ergebnisse sind besser. Vieles, sagt Rink, deute inzwischen darauf hin, dass die komplett minimalinvasive OP noch bessere Ergebnisse zeitige. Auch, weil sich die „adjuvante“, postoperative, Therapie schneller anschließen lasse. Wer drei Wochen in der Klinik gelegen habe, beginne nicht schon in Woche 4 mit der Nachsorge-Chemo, die in jedem Fall erfolgen muss.
Für Sven Langrock beginnt sie in den nächsten Tagen. Er fürchtet die 14 neuen Chemo-Zyklen nicht, auch die ersten sechs, sagt er, habe er ganz gut vertragen. Der 41-Jährige blickt zuversichtlich in die Zukunft, „das wird schon werden“, meint er. „Wird es“, sagt Rink.
>>>> INFO: Speiseröhrenkrebs
Ösophaguskarzinome sind selten, aber relativ aggressiv. Sie stehen auf Platz 6 der Krebs-Todes-Statistik.
Dass man selbst bei Symptomen häufig lange auf einen Endoskopie-Termin warten muss, findet Rink „erschreckend“. Er rät dazu, Sodbrennen oder Schluckstörungen als womöglich erste Hinweise unbedingt ernst zu nehmen und abklären zu lassen.