Ruhrgebiet. Online-Banking, Termine nur nach Internet-Buchung. Nur zwei von vielen Dingen in der digitalen Welt, über die sich ältere Menschen aufregen.
„Ich bin alt, aber kein Idiot, hat der 78-Jährige Carlos San Juan gesagt, nachdem er mehrere Tage kein Geld von seinem Bankkonto abheben konnte, weil er mit der App auf dem Handy nicht zu Recht kam. „Alt, aber kein Idiot“, ein Satz, den Zehntausende Senioren im Ruhrgebiet unterschreiben. Sie haben ähnliche Erfahrungen gemacht, über die sie uns nach unserem Aufruf in zahllosen Schreiben berichtet haben.
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Online-Banking, Termine bei Behörden nur noch über Internet buchbar, Computerstimmen am anderen Ende der Leitung, wenn man sich beschweren will – Klaus Dieter Wienand kann in einem Wort zusammenfassen, wie er das findet mit der Digitalisierung in seinem Leben: „Fürchterlich.“
Smartphone-Kurse haben großen Zulauf
Damit ist der 70-Jährige aus Witten nicht allein. „Mir macht das Angst“, schreibt ein Leser. „Und ich bin davon überzeugt, dass es den meisten Senioren ebenso geht.“ Das tut es, wie Solveig Jeromin, Leiterin des Städtischen Begegnungszentrums in Dortmund Mengede weiß. Dort gibt es nicht nur eine Smartphone-Telefonsprechstunde, sondern auch Kurse vor Ort, die älteren Menschen moderne Technik näher bringen sollen. „Riesig“ sei das Interesse daran, sagt Jeromin: „Es nimmt sich ja einer Zeit, den Senioren mal alles richtig zu erklären.“
Helga W. aus Bochum hat auch einen Kurs belegt, um ihr Tablet zu bedienen zu können. „Notgedrungen“, sagt sie. Lange hat sich die 80-Jährige gewehrt „gegen dieses Online“, aber als sie wegen Corona nicht mehr einfach ins Schwimmbad oder Theater gehen kann, sondern „Zeitfenster“ übers Internet buchen muss, hat sie sich von ihrem Sohn ein Smartphone besorgen lassen. „Wenn es anders nicht geht.“
Corona hat eine Kluft sichtbar gemacht
„Digitale Teilhabe“, nennen Wissenschaftler, was die Rentnerin aus Bochum durch das neue Handy erhält. Doch die erlebt längt nicht jeder Mensch im Seniorenalter. „Ältere werden schnell abgehängt“, sagt Katharina Kunze, Projektleiterin der „Digitalen Engel“. Das war vor der Pandemie schon so, ist aber in Zeiten von Kontaktbeschränkungen und Lockdowns noch schlimmer geworden. „Corona hat da eine große Kluft sichtbar gemacht.“
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Und sie wird nicht kleiner. „Allein gelassen“ fühlen sich viele alte Menschen, so Jeromin. Überrollt von einer Technik, die sich immer mehr in den Alltag drängt. Sie wollen Kassen, an denen jemand sitzt und Schalter, hinter denen jemand steht. Und sie mögen keine Anrufe, in denen sie ewig in einer Warteschleife hängen, bis ihnen ein Computer empfiehlt: „Wenn sie mehr wissen wollen, schauen Sie auf unsere Internetseite. „Da geht mir der Hut hoch“, sagt Wienand.
„Oft wird zu viel vorausgesetzt“
Vieles werde ja nicht gemacht, um alte Menschen auszuschließen, sagt Jeromin. „Aber oft wird zu viel vorausgesetzt.“ Zum Beispiel, dass jeder ein Smartphone hat. Oder einen Internetzugang. Millionen Deutsche aber haben weder das eine noch das andere.
Wer die nötige Technik besitzt, kann sie oft nicht nutzen. Es gibt, auch das zeigen die Zuschriften, durchaus Männer und Frauen jenseits der 80 Jahre, die sich über das Netz mit ihren Enkeln unterhalten oder ein Zugticket online buchen. Die meisten aber finden sich schlecht zurecht in der digitalen Welt, auch weil es meist nur Bedienungsanleitungen gibt, in denen es vor englischen Begriffen und Fachausdrücken nur so wimmelt.
Dass die Digitalisierung sich nicht aufhalten lässt, ist den meisten klar. „Das will ich auch gar nicht“, schreibt eine 80-Jährige. „Ich bin ja immer mit der Zeit gegangen. Man muss mir nur eine Chance geben, noch mitzugehen.“