Bochum/Hattingen. Nichts half gegen Ulrike Rosumeks Rückenschmerzen, nicht einmal eine Versteifung der Wirbelsäule. Erst ein „Neurostimulator“ brachte die Wende.

Ihre Freunde, erzählt Ursula Rosumek, sprechen von einer „Reinkarnation“: Sie sei, sagten sie ihr, eine ganz andere Frau als die, die sie über 20 Jahre lang gewesen sei. Eine, die jetzt Inliner fährt statt Rollator; die mit den Enkeln Fußball spielt; die endlich wieder Spaß hat – und keine Schmerzen mehr. „Ich bin wieder Mensch“, sagt die 64-jährige Hattingerin selbst über sich und ihre Wandlung. Eine „Subkutane Periphere Nervenfeldstimulation“ (sPNFS), eine weniger bekannte Form der „Neuromodulation“ habe ihr Leben komplett verändert.

Seit 1997 litt die gelernte Bankkauffrau an chronischen Rückenschmerzen, vor allem im Lendenbereich: an Schmerzen, die harmlos anfingen; die aber immer schlimmer wurden. 1998 wurde Rosumek ihretwegen zur Frührentnerin, „die Bandscheiben waren völlig kaputt“, erzählt sie.

Zunächst wird fast immer konservativ behandelt, eine OP ist die letzte Option

Ulrike Rosumek mit „Neurostimulator“ und ihren Ärzten: Prof. Tobias Schulte, Leiter der Universitätsklinik für Orthodpädie im Bochumer Josef-Hospital und Oberärztin Dr. Syvia Schreyer.
Ulrike Rosumek mit „Neurostimulator“ und ihren Ärzten: Prof. Tobias Schulte, Leiter der Universitätsklinik für Orthodpädie im Bochumer Josef-Hospital und Oberärztin Dr. Syvia Schreyer. © KKB | KKB

Rückenschmerzen, die nicht auf akute Verletzungen oder Erkrankungen zurückzuführen sind, werden zunächst „fast immer konservativ“ behandelt, erklärt Dr. Sylvia Schreyer, Oberärztin in der Universitätsklinik für Orthopädie im Bochumer St. Josef-Hospital. „Wärme, Massage, aktive Physiotherapie, Muckibude oder Schmerzmittel können helfen.“ Tun sie es nicht, versuche man es im nächsten Schritt mit Spritzen in den schmerzenden Bereich oder den gereizten Nerv. Unter Röntgenkontrolle wird den Patienten dabei ein Kombinationspräparat aus Schmerzmittel und Cortison verabreicht. Hilft auch das nicht: bleibt nur ein operativer Eingriff – der oft ein großer, schwerer ist, etwa, wenn Teile der Wirbelsäule versteift werden.

Ulrike Rosumek versuchte es mit allem, zuletzt auch mit einer solchen Zehn-Stunden-Versteifungs-OP. Sechs Monate lang, berichtet sie, habe sie danach nicht sitzen dürfen, „nicht einmal beim Essen“; zudem ein starres Korsett tragen müssen. „Und ein weiteres halbes Jahr später kam der Schmerz zurück...“.

„Auf der Schmerzskala von 1 bis 10 gab ich 25 an“

Schlimmer als zuvor sogar. Auf der Skala von 1 bis 10 „habe ich 25 angegeben“, erinnert sich die Hattingerin bitter. Sie nahm 32 Kilo ab; bekam zweimal jährlich stationäre Schmerztherapie; Morphium, „so hoch dosiert wie sonst nur Krebspatienten“; später auch Cannabis-Rezepte; sie konsultierte „alle Kliniken in der Umgebung“ und landete im April 2020 „psychisch und körperlich am Ende" erneut im Katholischen Klinikum Bochum (KKB). „Ein Oberarzt in der Schmerztherapie, Dr. Wolf, hat mein Leben gerettet“, sagt Rosumek.

Er schlug die Patientin für die Periphere Nervenfeldstimulation vor, nachdem Rosumek auf einen ersten Test mit elektrischer Akupunktur ausgesprochen positiv reagiert hatte. Im zweiten Schritt legte man ihr zwei dünne Elektroden rechts und links neben die Wirbelsäule, setzte die unter Strom. „Die elektrischen Impulse“, erläutert Neuromodulation-Spezialistin Schreyer, „werden vereinfacht gesagt über Nervenfasern ans Gehirn weitergeleitet und überlagern dort die Schmerzen.“ Der Patient nehme nur ein leichtes Kribbeln im Schmerzareal wahr. In dieser zweiten Testphase wird der Impulsgeber, der „Neurostimulator“, außerhalb des Körpers befestigt. Erst wenn er sich über im Alltag des Betroffenen „bewährt“ habe, werde dem Patienten das Stoppuhr-große Teil in den Körper implantiert.

Nun spürt sie nur noch ein leichtes Kribbeln, nachts

Bei Ulrike Rosumek sitzt es in der rechten Pobacke – und sie will es um nichts in der Welt wieder hergeben. (Obwohl das möglich wäre, der Eingriff von knapp 20 Minuten ist komplett reversibel.)„Schon mit den Akupunkturnadeln im Rücken bin ich im Klinikpark rumgeturnt vor lauter Freude“, erzählt sie. „so gut ging’s mir.“ Keine zwei Wochen, nachdem ihr der Neurostimulator im August 2020 endgültig unter die Haut gepflanzt wurde, setzte sie alle Medikamente ab. Sie brauchte sie nicht mehr, auf ihrer Schmerzskala kreuzt sie seither die „0“ an. Das Kribbeln im Rücken bemerkt sie nur, wenn sie ruhig im Bett liegt – und sie nimmt es sogar dankbar zur Kenntnis: „Et läuft wieder“, sagt sie sich dann. Dabei könnte sie den Stimulator, wenn sie wollte, per Fernbedienung sogar abstellen. Viele Patienten handhabten das nachts so, sagt Sylvia Schreyer, die Orthopädin. Das Gerät lässt sich bedarfsabhängig steuern.

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Fast 50 Schmerzpatienten wurde im KKB bisher eine periphere Nervenfeldstimulation implantiert. Allen habe man helfen können, versichert Schreyer. Was nicht heißt, dass alle komplett schmerzfrei sind. „Wir peilen an, dass der Patient den Wert auf seiner persönlichen Schmerzskala um die Hälfte reduziert. Aber das erreichen wir durch die Bank!“ Von großem Vorteil sei dabei, dass der endgültigen Implantation die „Trialphase“ vorgeschaltet sei. „Therapieversager filtern wir im Vorfeld so bereits raus.“ Denn etwa die Hälfte der Patienten, die für die sPNFS infrage kommt, spricht darauf gar nicht an. Weiterer Nachteil der Methode: Ins MRT darf man mit Stimulator im Körper nicht. „Eigentlich nicht...“, sagt Schreyer. Eine Studie wird bald die „gefühlten“ Erkenntnisse objektivieren, sie soll etwa auch klären, ob die Wirkung der Therapie mit der Zeit womöglich nachlasse – „wonach es nicht aussieht“.

Therapie nicht grundsätzlich für alle Patienten geeignet

Schreyer nennt das ansonsten risikoarme Verfahren einen weiteren „Pfeil im Köcher“ der Orthopädie – „gerade für Patienten, die wir nicht operieren können“. Es eigne sich grundsätzlich nur für „austherapierte“ Männer und Frauen mit chronischen, tiefen Rückenschmerzen; solche, „die alles andere Mögliche schon durch haben“. Die Krankenkassen zahlten für sPNFS, sagt Schreyer: „Aber sie gucken genau hin, ob sie für den jeweiligen Patienten ein gerechtfertigtes Mittel ist. Da wird schließlich ein fünfstelliger Betrag eingebaut.“

>>> INFO: Ursachen und Vorbeugung

Rücken“, sagt Dr. Sylvia Schreyer, Oberärztin in der Universitätsklinik für Orthopädie im Bochumer St. Josef-Hospital, „ist eine Volkskrankheit“. Häufigste Ursache der Schmerzen seien Verschleiß, Überlastung sowie falsche oder zu wenig Bewegung. „Übergewicht, kein Sport, hängende Schultern – solche Dinge sind oft schuld.“ Tumor, Bandscheibenvorfall, Bruch oder eine Entzündung seien als Grund für den Schmerz im Rücken sehr viel seltener, auch wenn man im Bochumer Wirbelsäulenzentrum solche ernsteren Dinge natürlich öfter sehe als beim niedergelassenen Orthopäden.

Besser als einen schmerzenden Rücken zu therapieren, ist natürlich: Vorbeugen. Was hilft? „Bewegung“, sagt Dr. Sylvia Schreyer, „so abgedroschen das auch klingt. Bewegung und ein halbwegs gesunder Lebensstil.“ Tatsächlich seien nicht immer nur die trägen Übergewichtigen betroffen; manchmal läge es auch an der Genetik, wenn die Wirbelsäule verschleiße. „Aber auch dann: hilft Bewegung“. Wobei „ein paar einfache Übungen zuhause, ein Spaziergang nach Feierabend, jeden Tag“ besser seien, als sich einmal alle drei Wochen im Fitnessstudio zu überlasten. Auf der Website des Katholischen Klinikums finden sich unter dem Stichwort „Bochumer Elf“ einige solcher kurzer Rückenübungen.

Nur bei akutem Hexenschuss rät die Orthopädin erst einmal zur Ruhe, Stufenlagerung, Wärme und vielleicht einer Schmerztablette.