Ruhrgebiet. Am Montag ist Schulstart: Für Schüler, Schülerinnen, Eltern und Lehrkräfte geht es damit ins dritte Corona-Jahr. Über Bangen und Hoffen.
Am Montag beginnt in Nordrhein-Westfalen nach den Weihnachtsferien wieder der Unterricht an den Schulen. In Präsenz, während sich die Omikron-Variante des Corona-Virus weiter verbreitet. Lehrkräfte, Eltern, Schüler und Schülerinnen blicken nach beinahe zwei Jahren Pandemie erneut mit gemischten Gefühlen aufs neue Jahr. Wir fragten sie in dieser Woche nach ihren Sorgen, Hoffnungen und Erwartungen: acht ganz persönliche Protokolle.
Anne Teuffer (40) aus Mülheim, Mutter von Noah (8) und Lilly (5):
„Die Schulöffnung ist für die Kinder super-wichtig. Mein Sohn Noah braucht seine Kumpels, seine Lehrer, die regelmäßigen Abläufe, die Struktur, die sozialen Kontakte. Aber mein Mama-Herz ruft auch um Hilfe, denn natürlich ist auch die Angst groß, dass er sich ansteckt, dass er Corona nach Hause bringt. Ich war selbst infiziert, leide unter Long Covid, davor möchte ich meine Kinder unbedingt schützen. Die Gefahr aber ist riesig: Unsere Grundschule war vor Weihnachten wegen zu vieler Omikronfälle bereits geschlossen. Es gibt ja auch immer noch keine Luftfilteranlagen. Ich kann nur hoffen, dass die Kinder da heile durchgehen.
Das Homeschooling war allerdings auch furchtbar. Ich bin selbst Lehrerin, ich kann meinem Sohn vieles erklären, aber ich bin eben nicht die Lehrerin von meinem Kind. Besonders den Wechselunterricht habe ich als furchtbare Belastung sowohl für die Kinder als auch die Lehrer empfunden. Dennoch fürchte ich, die Wand, die da jetzt auf uns zukommt, ist gigantisch. Wenn wir das aufhalten wollen, müssen jetzt endlich mal die Erwachsenen zurückstecken und aufs Feiern verzichten. Wie viele Monate haben die Kinder zuhause gesessen, um die Alten und Kranken zu schützen? Meine Tochter Lilly haben wir während des ersten Lockdowns nicht in die Kita geschickt, aber auch sie braucht ihre Freundinnen und die Gemeinschaft.“
Achim Elvert (55), Leiter der Gesamtschule Ückendorf in Gelsenkirchen:
„Ich blicke mit Anspannung auf Montag – und großer Neugier, wie viele Lehrkräfte da sein werden. Wir haben keine Reserven mehr. Fallen weitere Kollegen oder Kolleginnen wegen Quarantäne oder Infektion aus, würden wir rasch Klassen heimschicken müssen.
Die Quarantäne für Omikron-Infizierte ohne Symptome und deren Kontaktpersonen zu verkürzen, halte ich dennoch, was die Schulen betrifft, für wenig sinnvoll, solange ein Ansteckungsrisiko nicht völlig ausgeschlossen werden kann. Gefühlt wäre es klüger, damit noch einen Moment zu warten, bis eine bessere Datenbasis vorliegt.
Ich selbst bin robust, aber ich sorge mich um meine Lehrkräfte. Das Unterrichten ist schwerer geworden, an allen Schulen nehmen die Verhaltensauffälligkeiten zu. Die Schüler sind total verunsichert, viele deswegen weniger motiviert, manche aggressiver. Die Maskenpflicht, macht es auch nicht leichter, obwohl ich die komplett befürworte. Man merkte schon im Herbst, nach dem ersten sonst eher lockeren Schul-Quartal, das viele Kollegen bereits reif für die Sommerferien waren.
Ich sorge mich aber auch um unsere Schüler und Schülerinnen. Mit zunehmender Pandemie-Routine wird es ja nicht besser. Der diesjährige Abi-Jahrgang ist doch der, den es am bislang härtesten trifft. Zum Glück werden die Prüfungsvorgaben angepasst. Mehr Auswahl bei den Aufgaben erleichtert es, Lücken auszugleichen. Für die zentralen Prüfungen in Klasse 10 gibt es solche Ansagen aber nicht. Warum nicht? Kann man auf die nicht wieder ganz verzichten?
Man darf in diesen Zeiten nicht so agieren, als wären es normale. Man muss der Situation angemessen handeln. Das betrifft auch das „Aufholen nach Corona“, für das viel Geld bereitgestellt wird. Was gut ist, aber irgendwann sind Kinder auch mal voll. Verdoppelter Input heißt nicht verdoppelter Output, in einen Ganztagsschüler kann man nicht unbegrenzt Nachhilfe-Stunden hineinpumpen. Vielleicht müssen die nachgeordneten Bildungseinrichtungen einfach damit leben, dass wir nicht alles aufholen konnten.“
Sabrin Benaissa (16), Schülerin des Klaus-Steilmann-Berufskollegs in Bochum:
„Wenn ich an Online-Unterricht denke, kriege ich Bauchschmerzen. Uns fehlt der Stoff, die Motivation, der soziale Kontakt. Viele gute Schülerinnen und Schüler sind abgerutscht.
Ja, ich habe Angst, mich anzustecken. Aber man lebt überall mit der Angst. In der Schule hat man die Möglichkeit, sich von anderen fern zu halten. Alle tragen eine Maske, waschen sich regelmäßig die Hände. Das Problem ist vielmehr, was die Schülerinnen und Schüler außerhalb der Schulzeiten machen. Geburtstage, Partys, große Veranstaltungen: Da ist die Ansteckungsgefahr viel größer. Da brauchen wir strengere Regeln.“
Eray Savas (16), Schüler der Rupert-Neudeck-Schule in Bochum:
„Ich bin froh, wenn es bei Präsenzunterricht bleibt. Die Schülerinnen und Schüler können den Stoff schon jetzt kaum aufholen. Viele Themen wurden nur spärlich behandelt. Die Defizite sind groß. Von 26 Schülerinnen und Schülern aus meiner Klasse waren nach den Sommerferien noch 13 übrig. Die individuelle Unterstützung der Lehrer fehlt zu Hause.
Natürlich denken wir an unsere Gesundheit. Aber bei mir in der Klasse sind alle vollständig geimpft. Alle Schülerinnen und Schüler halten sich an die Regeln. Ich bin in der zehnten Klasse. Ich schreibe in diesem Jahr meine Abschlussprüfungen. Wir brauchen den Unterricht vor Ort. Ich wünschte, die Politik würde uns mehr bei ihren Entscheidungen berücksichtigen.“
Susanne Schäfer (52), Leiterin der Grundschule Herten-Mitte:
„Ich fürchte mich überhaupt nicht vor Montag, im Gegenteil. Ich freue mich sehr, dass wir in Präsenz starten werden. Die Testverfahren sind gut eingespielt, es ist vorteilhaft, dass wir nun zusätzlich zu den Pooltests direkt Einzeltests machen. Das wird alles reibungslos klappen. Mir liegen auch noch keine Krankmeldungen aus dem Team vor, alle sind geimpft und geboostert.
Vor Weihnachten aber war ich, waren wir alle sehr erschöpft. Die Belastung ist schon hoch, der Verwaltungsaufwand hat in der Pandemie immens zugenommen. Wenn ich mir von der Politik etwas wünschen dürfte, wären es erstens bessere Kommunikation und zweitens eine Fachangestellte, die uns logistische Dinge abnimmt.
Ob eine Lockerung der Quarantäne auch für Schulen gut oder schlecht ist, darüber habe ich mir noch wenig Gedanken gemacht. Das tue ich erst, wenn darüber endgültig entschieden ist. Alles anderes stresst mich zu sehr. Schulisch lebe ich in der Pandemie inzwischen von Tag zu Tag.
Wir haben – wie alle anderen Schulen auch – in den letzten Monaten Kinder verloren, aber das hätten wir vermutlich auch ohne Corona. Doch wir waren relativ schnell im Distanz-Unterricht sehr gut aufgestellt, haben gezielt Fördermaßnahmen angeboten – und vor allem haben unsere Eltern sich nicht quergestellt, sondern richtig gut mitgemacht. Unsere Viertklässler werden sicher genauso gut vorbereitet wie frühere Jahrgänge in die weiterführenden Schulen wechseln.“
Sarah Schanz (36) aus Herne, Mutter der Grundschüler Neele (8) und Adrian (6):
„Schulen waren nie sichere Orte, wie könnten sie auch. Überall dort, wo Menschen aufeinandertreffen, können auch Infektionen stattfinden. Ende des Jahres lag die Inzidenz der Grundschulkinder teils über 1000 in unserer Stadt. Ich hätte mir eine Aussetzung der Präsenzpflicht gewünscht: Niemand von uns hatte doch die Chance, die Kinder anständig impfen zu lassen! Die Gelegenheit sollte man den Eltern schon lassen, man nimmt uns sonst die Möglichkeit, unsere Kinder zu schützen. Wir gehörten zu den wenigen Glücklichen, die ihre Kinder gleich zum ersten möglichen Termin impfen lassen konnten, aber auch mit der zweiten Spritze am Donnerstag haben sie bis zum Schulstart noch nicht den vollständigen Impfschutz. Wir reden doch allenfalls über ein, zwei Wochen. Bis dahin dürften die Zahlen auch wieder verlässlich sein. Ohne sie kann niemand, kein Gesundheitsminister und keine Bildungsministerin, eine adäquate Entscheidung treffen. Wahrscheinlich werden wir uns wirklich alle infizieren, aber dann möchte ich mit meiner ganzen Familie geimpft sein.
Wir können auf die Schule nicht verzichten, das weiß ich, wir müssen immer abwägen zwischen Gesundheitsschutz, Bildung, Wirtschaft und sozialen Faktoren. Aber wir sollten wenigstens die Quarantäne-Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts umsetzen, nur dann ist Präsenzunterricht möglich. Ich versuche, den Profis zu vertrauen, aber das Schulministerium in NRW sollte das auch tun und keine eigenen Regeln erfinden. Und sollte bewusst sein, dass wir mit der Quarantäne weniger die Kinder vor Infektionen schützen als vielmehr die Verbreitung in die Gesellschaft erschweren wollen. Viele Kinder mussten zuletzt nicht in Quarantäne, obwohl sie in der Klasse neben einem infizierten Kind gesessen hatten. Sie gingen also auch nachmittags zum Sport oder zum gemeinsamen Spielen. Man muss den Eltern das besser erklären, so machen wir es dem Virus zu leicht. Unsere Kinder gehen nächste Woche natürlich in die Schule, nicht aber in die OGS. Wir hoffen, damit einen guten Kompromiss gefunden zu haben.“
Angelina Kesting (15), Schülerin des Don-Bosco-Gymnasiums Essen:
„Ich bin zwiegespalten. Einerseits möchte ich mich nicht infizieren und meine Familie anstecken. Anderseits sind meine Noten im Präsenzunterricht viel besser. Es ist schwer, dem Unterricht vor dem Laptop zu folgen und am Ball zu bleiben. Man hat kaum die Möglichkeit, Fragen zu stellen und noch einmal nachzuhaken. Seitdem wir wieder Präsenzunterricht haben, komme ich im Unterricht gut mit. Aber die Lücken bleiben.
Sollten strengere Maßnahmen notwendig sein, sollten wir aber besser vollständig zum Distanzunterricht zurückkehren. Ein Wechsel zwischen Präsenz- und Distanzunterricht wäre keine gute Alternative. Man hat damals versucht, eine Lösung zu finden, die letztendlich aber keine war. Es war sehr chaotisch.“
Robin Rajca (17), Schüler des Don-Bosco-Gymnasiums Essen:
„Ich glaube, dass es kein Ende geben wird, wenn wir jetzt nicht zum Homeschooling zurückkehren. Selbstverständlich fehlt der Austausch mit den Mitschülern. Aber man muss sich fragen: Was wiegt mehr? Der persönliche Kontakt oder die allgemeine Gesundheit?
Auf den Fluren ist es eng, nicht alle Schülerinnen und Schüler sind geimpft. Viele nehmen die Maske ab, sobald sie den Klassenraum verlassen haben. Wir haben wöchentlich neue Corona-Fälle an der Schule. Die Lehrer sind davon natürlich auch betroffen. Dadurch entstehen noch mehr Lücken.
Mir ist klar, dass nicht alle Schülerinnen und Schüler mit dem Distanzunterricht zurechtkommen. Ich bin aber der Meinung, dass Oberstufenschüler Engagement zeigen müssen. Bei jüngeren Schülern ist die Situation eine völlig andere. Aber in der Oberstufe sollte man wissen, dass man für seinen Abschluss etwas tun muss. Wir können an der Situation nichts ändern.“