Essen. Viele Kinder liegen derzeit mit einem Atemwegsinfekt im Krankenhaus. Gefährlich kann eine Infektion mit dem RS-Virus für Babys sein.
Schnupfen, Husten, Fieber: Außergewöhnlich viele Kinder liegen derzeit mit einem Atemwegsinfekt im Krankenhaus. „Die Kinderkliniken in ganz Deutschland arbeiten an ihrer Kapazitätsgrenze“, sagt Dominik Schneider, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin in Dortmund. Auch die Dortmunder Kinderklinik sei „pickepackevoll“. „Wir haben täglich 20 bis 30 Aufnahmen und Entlassungen“, sagt Schneider. Allein 15 Kinder würden derzeit wegen einer Infektion mit dem Respiratorischen Synzytial-Virus (RSV) behandelt – seit vier Wochen ein Dauerzustand, so der Klinikchef. Vor der Pandemie sei eine solche Anzahl an Patienten eher die Ausnahme gewesen.
Der Grund für die vielen Schnupfnasen: Im vergangenen Winter seien die Kinder aufgrund von Kita-Schließungen und anderen Corona-Maßnahmen mit bestimmten Erregern wie dem RS-Virus kaum in Kontakt gekommen, sagt Schneider. Nur ein Kind habe in der vergangenen Saison wegen einer RSV-Infektion in dem Dortmunder Krankenhaus behandelt werden müssen. In diesem Jahr holten die Kinder die verpassten Infektionen nach. „Es war deshalb zu erwarten, dass die Welle in diesem Jahr heftig wird.“
Dass die Erkältungssaison jedoch bereits im August beginnt, „damit haben wir nicht gerechnet“, so der Klinikdirektor. Die ersten Kinder seien im August ins Krankenhaus eingewiesen worden, einem „eigentlich völlig RSV-freien Monat“. Normalerweise füllten sich Praxen und Kliniken erst, wenn es „kalt und schmuddelig wird“, sagt Dominik Schneider, meist im November, rund um Sankt Martin.
RSV-Infektion: Meist „banaler Atemwegsinfekt“
„Viele Kinderkliniken sind bereits jetzt völlig überlastet“, bestätigt Axel Gerschlauer, Sprecher des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte Nordrhein. Der Kinderarzt, der eine Praxis in Bonn betreibt, habe bereits Patientinnen und Patienten nach Köln ins Krankenhaus schicken müssen, weil die beiden Kinderkliniken im Stadtgebiet voll seien. Und: „Es wird schlimmer werden“, sagt Gerschlauer mit Blick auf den Winter. Eltern müssten mit langen Wartezeiten in den Praxen und längeren Anfahrtswegen für die stationäre Aufnahme rechnen.
In den allermeisten Fällen handle es sich jedoch um „banale Atemwegsinfekte“, sagt Gerschlauer. „Die derzeitige Lage fällt durch die Masse auf, nicht, weil die Infekte schlimmer sind“, so der Kinder- und Jugendarzt. An einem Tag in der Notfallpraxis habe er zehn Kinder pro Stunde behandelt. „Das habe ich außerhalb der Winterzeit so noch nicht erlebt.“ Seien mehr Kinder krank, steige folglich auch die Zahl der Patientinnen und Patienten, die stationär behandelt werden müssen.
Während ältere Kinder ihren Husten oder Schnupfen meist zu Hause auskurieren könnten, könne eine Infektion mit dem RS-Virus für Frühgeborene und Säuglinge durchaus gefährlich werden, sagt Axel Gerschlauer. Denn je jünger ein Kind sei, desto weniger Infektionen habe es in seinem Leben durchgemacht, erklärt der Arzt. In den ersten Lebensjahren bauten Kinder eine Basisimmunität auf, sodass sie Folgeinfektionen besser wegsteckten.
Eltern, deren Kinder unter Husten mit Atemnot oder einem schlechten Allgemeinzustand litten, sollten unbedingt ärztlichen Rat einholen, sagt Gerschlauer. Auch eine schnelle, angestrengte Atmung sei ein Warnzeichen. Allen anderen rät der Kinderarzt: „Viel trinken, viel kuscheln und vorlesen!“
Zu wenig Sauerstoff: Kinder müssen ins Krankenhaus
Neben Frühgeborenen hätten auch vorerkrankte Kinder ein höheres Risiko, stationär aufgenommen werden zu müssen, so der Chef der Dortmunder Kinderklinik, Dominik Schneider. „Das Fiese“ an einer Infektion mit dem RS-Virus sei, dass das Virus bis in die kleinsten Bronchien vordringe. Bei einer Bronchiolitis, einer Entzündung der sogenannten Bronchiolen, verengten sich die Atemwege. „Gerade kleine Kinder haben häufig Schwierigkeiten beim Abhusten“, sagt Schneider. Es komme zur Luftnot.
Kinder, die aufgrund ihrer Atembeschwerden nicht ausreichend trinken oder zu wenig Sauerstoff im Blut haben, müssten im Krankenhaus behandelt werden. Eine intensivmedizinische Betreuung sei jedoch nur selten notwendig. Weit über 30 Patientinnen und Patienten seien im September in der Dortmunder Kinderklinik aufgrund einer RSV-Infektion behandelt worden, zwei hätten auf der Intensivstation beatmet werden müssen.
Überlastung: „Kindermedizin ist für Betreiber nicht lukrativ“
Dass die Kinderkliniken schon jetzt überlastet sind, begründet Axel Gerschlauer mit einem „Fehler im System“. So sei die stationäre Kindermedizin für Klinikbetreiber schlichtweg nicht lukrativ. „Wir sind Saisonarbeiter“, so der Kinder- und Jugendarzt aus Bonn. Während die Klinikbetten im Sommer oft nicht komplett belegt seien, wisse man im Winter nicht wohin mit den Kindern. Die Pflege und Therapie der kleinen Patientinnen und Patienten sei zudem „viel anspruchsvoller“. „Kinder sind keine kleinen Erwachsenen“, stellt Gerschlauer klar. Für eine angemessene Betreuung fehle es den Kinderkliniken neben einer adäquaten Finanzierung auch an Personal, sodass Krankenhäuser ihre Betten immer weiter reduzieren müssten.
Auf den Winter blickt Dominik Schneider, Direktor der Dortmunder Kinderklinik, daher mit Sorge. „Ich hoffe, dass die RSV-Welle überwunden ist, bevor die Influenza-Welle kommt“, sagt er. „Ansonsten würde es sich um Weihnachten rächen, dass so viele Stationen geschlossen worden sind.“ Kinderkliniken seien über das aktuell gültige Abrechnungssystem nach Fallpauschalen nicht finanzierbar, sagt Schneider. 80 Prozent der Patientinnen und Patienten seien Notfälle. „Anders als die Feuerwehr werden wir nur für den Einsatz bezahlt“, bedauert der Klinikchef. „Nicht aber dafür, dass wir da sind, falls es brennt.“
Typische Symptome einer RSV-Infektion
■ Typische Symptome einer Infektion mit dem Respiratorischen Synzytial-Virus (RSV) sind Schnupfen, (keuchender) Husten, Fieber sowie ein pfeifendes Geräusch beim Atmen, sagt Dominik Schneider, Direktor der Kinderklinik in Dortmund. Die Kinder seien stark verschleimt, wodurch es zu Atembeschwerden komme.
■ Eltern sollten ihre Kinder zunächst 24 Stunden zu Hause beobachten, empfiehlt Kinderarzt Axel Gerschlauer. Sei das Kind fieberfrei und in einem guten Allgemeinzustand, könne es am nächsten Tag wieder in die Schule oder Kita gehen.