Duisburg. Zum vierten Mal lud die Talentmetropole Schüler mit Migrationsgeschichte und andere ein: zum „Lernen“ in den Ferien. „Super Sache“, sagen die.

Heute ist Vorbildertag in der Talentwerkstatt. Aliakbar Tehranipour spricht über „Blumenkohlohren“, bevor er seinen Workshop zum Laufen bringt. „Warum ich ausseh, wie ich ausseh, wollen doch alle wissen“, erklärt der Ex-Bundesliga-Ringer, der vor 30 Jahren aus dem Iran ins Revier kam. Welche Hürden er zu meistern hatte, und wie sein Sport bei der Integration half, wird er den zehn Teilnehmenden später erzählen. Wenn man warm miteinander geworden ist. Nach einer Stunde Sport im Freien.

Lukas Wessel leitet das Projekt „Talentwerkstatt“ – und ist zuversichtlich, dass es nach der Pilotphase im kommenden Jahr weiter gehen wird.
Lukas Wessel leitet das Projekt „Talentwerkstatt“ – und ist zuversichtlich, dass es nach der Pilotphase im kommenden Jahr weiter gehen wird. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Zum vierten Mal hat die Stiftung Talentmetropole Ruhr in diesen Herbstferien 30 Jugendliche mit Einwanderungsgeschichte und aus weniger privilegierten Stadtteilen eingeladen zur „Talentwerkstatt“. Sechs Tage verbringen sie nun in der Jugendherberge im Landschaftspark Duisburg-Nord, für einen von drei Workshops mussten sie sich vorab entscheiden: Kultur & Sport, Wirtschaft oder Demokratie & Medien. Das Angebot, sagt Projektleiter Lukas Wessel, sei „sehr gut angenommen“ worden. Dabei geht es hier nicht vorrangig um Spaß und Spiel, sondern um Inhalte, um „Lernen ohne Druck, ohne Bewertung“. Mit zwölf ist Fathala der Jüngste, der dabei ist; 18 sind die Ältesten. Sie kommen aus allen Ecken des Reviers, von Haupt-, Real-, Gesamtschule, Gymnasium oder internationaler Vorbereitungsklasse. „Zählen können wir in 20 verschiedenen Sprachen“, lacht Wessel.

„Die Diktatoren waren im Rollenspiel die überzeugendsten“

Asli Gedekli beim Formulieren eines kurzen „persönlich-politischen Post“: Aufgabe im Workshop „Demokratie & Medien“. „Ferien haben wir doch so viel“, sagt die 17-jährige Duisburgerin.
Asli Gedekli beim Formulieren eines kurzen „persönlich-politischen Post“: Aufgabe im Workshop „Demokratie & Medien“. „Ferien haben wir doch so viel“, sagt die 17-jährige Duisburgerin. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Asli Gedikli hat den Workshop „Demokratie & Medien“ gewählt. „Läuft perfekt“, findet die 17-Jährige aus Duisburg. Der Politikwissenschaftler, Journalist und Blogger Said Rezek besucht als Vorbild heute ihre Gruppe. Über Hatespeech und was man dagegen tun könne, habe sie schon viel gelernt, erzählt Asli, deren Eltern aus der Türkei stammen. Auch darüber, wie leicht Menschen zu manipulieren seien. Denn am Vortag, beim Rollenspiel, als es um die richtige Regierungsform auf einer gemeinsam bewohnten Insel ging, da konnte sie, die einzige „Freiheitskämpferin“ in der Runde, sich in der Diskussion einfach nicht durchsetzen. Es siegten die „Diktatoren“. „Die waren am überzeugendsten und die anderen zufrieden damit, dass man ihnen gut bezahlte Arbeit versprach“, erzählt Asli kopfschüttelnd. Die Freiheitskämpferin überlebte das Spiel nicht, aber: „Die Auswertung war echt spannend.“

„Ihr seid auf dem richtigem Weg, ihr geht die Extrameile“

Im Workshop „Wirtschaft“ berichtet gerade Vorbild Ersin Üstün, wie er es schaffte. Wie er als Kind türkischer Eltern, das in Recklinghausen geboren wurde, aber in der dritten Klasse deutsche Texte noch immer„nicht fehlerfrei wiedergeben konnte“, es an die Hochschule, zum Unternehmensgründer und erfolgreichen „Berater für Innovation & Startups“ brachte. Üstün startet mit einem dicken Lob für die Schüler und Schülerinnen: „Ihr seid schon auf dem richtigen Weg“, sagt er. „Ihr geht die Extrameile, statt in den Ferien Zeit tot zu schlagen.“

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Tatsächlich versteht Ismail Mohamadi nicht einmal, was man meint, wenn man ihn fragt, ob es in den Ferien für einen 18-Jährigen nicht doch Spannenderes gäbe, als weiter zu lernen. „Ich will mich entwickeln – und meine Bücher habe ich doch dabei“, sagt der Zwölftklässler; er müsse sich ja auf die nächsten Klausuren vorbereiten. Vor sechs Jahren kam er aus Afghanistan her, damals sprach er nur Farsi. Jetzt macht er Abi an einer Essener Gesamtschule und spricht neben Deutsch und Englisch auch Spanisch und Türkisch.

Und abends wird getanzt, Hip-Hop wie Halay

Es gibt kein striktes Curriculum für die Talentwerkstätten, aber viel Gruppenarbeit, der „Lehrplan“ orientiert sich an den Bedürfnissen und Interessen der Teilnehmer. Gesetzt ist die große Abschlusspräsentation aller Workshop-Erkenntnisse am letzten Tag. Sie wird als Stream ins Netz gestellt, „damit auch Eltern und Freunde erfahren, was wir hier gelernt haben“, erklärt Projektleiter Wessel. Um eigene Geschäftsideen etwa ging es zuvor im „Wirtschaft“-Workshop, um mögliche Berufsfelder für Sportbegeisterte und relevante Gesellschaftswerte in den beiden anderen Workshops. Und abends? Gab es auch Programm, vor allem aber „wurde da sehr viel getanzt“, erzählt Ismail, „Hip-Hop wie Halay“.

Viele der Teilnehmenden, sagt Wessel, seien noch nicht lange in Deutschland, waren nie zuvor auf Klassenfahrt. Die 14-jährige Neida etwa kam ja erst vor sechs Monaten aus Bosnien nach Duisburg. Dass sich jemand Zeit nimmt, um sie nach ihren Ängsten, Wünschen und Zielen zu fragen, dass sei für fast alle eine ganz neue Erfahrung. „Eine, für die sie sehr dankbar sind.“

„Du hast Talent, du musst dir nur Mühe geben, es zu erkennen“

Das Beste an der Talentwerkstatt aber, da sind sich Asli und Ismail einig, sei es, so viele neue Freunde aus so vielen unterschiedlichen Kulturen gefunden zu haben. Und der schönste Tag: der heutige, der Vorbildertag! Ali, der Ringer, sei „so inspirierend“, sagt Ismail. „Du hast Talent“, habe der ihm gesagt: „Du musst dir nur Mühe geben, es zu erkennen.“ Am nächsten Tag wird Ismail für die ganze Gruppe das Workout leiten; bis gestern hatte er dafür „zu viel Schiss“.

>>>INFO: Wie geht es weiter?

Vier Talentwerkstätten fanden 2021 insgesamt statt: online, die erste; die drei folgenden in Präsenz in Bergkamen, Hattingen und Duisburg. Für die Teilnehmer ist die Veranstaltung samt Vollverpflegung und ergänzendem Freizeitangebot kostenlos, das Integrationsministerium fördert das Projekt der Ruhr-Konferenz bis Ende des Jahres.

Am 19. November wird es ein „Alumnitreffen“ mit Minister Stamp und allen Teilnehmern in der Gelsenkirchener Veltins-Arena geben. Man sei „guten Mutes“, so Lukas Wessel, dass es nach der Pilotphase weitergehen werde.