Essen./Gelsenkirchen. Der Nachbarschaftsstreit schwelte schon lange, eskalierte plötzlich. Jetzt stehen zwei Gelsenkirchener Brüder vor dem Landgericht.
Freundlich grüßend kommen die beiden Gelsenkirchener in den Gerichtssaal, bodenständig wirken sie, eigentlich ganz ordentlich. Dass Justizwachtmeister sie aber aus dem Vorführtrakt in den Essener Gerichtssaal bringen, erinnert an ihre Rolle in diesem Strafprozess. Adnan (53) und Ahmet G. (49) sollen einen 43 Jahre alten Nachbarn geschlagen und lebensgefährlich verletzt haben.
Nur knapp sind die Geschwister einer Anklage wegen versuchten Totschlags entkommen. Weil sie aus Sicht des Essener Schwurgerichtes rechtzeitig von ihrem Opfer abgelassen hatten, profitieren sie vom "strafbefreienden Rücktritt vom Versuch", den die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklage verneint hatte. So eröffnete das Gericht den fast tödlichen Nachbarschaftsstreit als gefährliche Körperverletzung.
Streit unter Nachbarn
Ausgangspunkt ist ein Mehrfamilienhaus im Gelsenkirchener Ortsteil Bismarck. Dort leben Ahmet G. und seine Mutter, Bruder Adnan aus Bulmke-Hüllen ist oft zu Gast. Im Haus wohnt aber auch das spätere Opfer. Schon seit längerer Zeit gibt es Ärger zwischen den beiden Familien. Mehrfach musste die Polizei eingreifen. Mal beschwerte sich Familie G., mal Familie A.. Anzeigen gab es auch.
Staatsanwältin Aylin Dohle spricht in ihrer Anklage lediglich von zwei Taten, bei der die Familie G. Gewalt ausgeübt haben soll. Am 7. März 2021 soll es zum Streit gekommen sein, nachdem Familie A. aus dem Erdgeschoss Sperrmüll vor der Tür abgelegt haben soll.
Mit Eisenstange auf die Rippen
Adnan G. soll gegen 19 Uhr unvermittelt und mit einer Eisenstange bewaffnet aus dem Haus gekommen sein. Mit der Stange soll er versucht haben, dem 43 Jahre alten Nachbarn auf die Rippen zu schlagen. Dieser habe den Schlag aber rechtzeitig abwehren und die Stange ergreifen können.
Nur drei Tage später die nächste Aktion. Als das spätere Opfer mit seiner Ehefrau die Wohnung verließ, soll Ahmet G. laut geschrien haben: "Ich zünde eure Wohnung an, ich f... euch. Warte, mein Bruder kommt gleich auch noch."
Streit, Provokationen, Handyaufnahmen
Der kam laut Anklage tatsächlich. Beide sollen sich an der U-Bahn-Haltestelle Bismarckstraße verabredet haben, wo gegen 15.10 Uhr auch das spätere Opfer eintraf. Direkt sei es zu einem lautstarken Streit gekommen. Der 43-Jährige soll die Brüder aber auch provoziert haben. Mit Handbewegungen habe er sie aufgefordert, doch zu ihm zu kommen. Dabei filmte er die beiden laut Anklage mit seinem Handy.
Dabei stand der 43-Jährige bereits auf der nach unten führenden Rolltreppe. Von oben traten die Brüder auf ihn zu, heißt es weiter. Mit Schlägen und Tritten hätten sie auf ihn eingewirkt und dabei "zumindest billigend" seinen Tod in Kauf genommen.
Auf den Kopf eingetreten
Selbst als er am Boden lag, habe Adnan G. weiterhin auf seinen Kopf eingetreten. Ahmet G. soll die Szene abgeschirmt und Passanten, die helfen wollten, verscheucht haben. Sie sollen geflüchtet sein, als sie bemerkten, dass die Ehefrau des Opfers die Polizei rief.
Die war schnell vor Ort. Als die Brüder mit der Rolltreppe nach oben fuhren, standen bereits Polizisten bereit, um sie in Empfang zu nehmen. Seitdem sitzen sie in Untersuchungshaft. Die Brüder weisen dem Nachbarn die Schuld zu. Er habe provoziert und sie angegriffen, sagten sie im Ermittlungsverfahren.
Ihr Opfer erlitt ein schweres Schädel-Hirntrauma, Lungenprellung, Nasenbeinbruch und einen ausgerenkten Kiefer. Rechtsmediziner Kurt Trübner spricht in seinem Gutachten von lebensgefährlichen Verletzungen. Einer der beiden Brüder soll dafür wenig Verständnis gehabt haben. Spontan soll er nach der Tat gerufen haben: "Wie, jetzt macht der auf Koma?" Vier weitere Tage sind angesetzt.