Gelsenkirchen. Zwei, die gut zusammenarbeiten, nur nie zusammen arbeiten: Die Krankenpfleger Frank Gardlo und Kay Luka fahren für die Patienten durch die Nacht.
„Unsere Midnight Cowboys“ hat sie neulich jemand genannt. Darüber müssen sie selbst lachen, dabei nehmen sie ihre Sache so ernst. „Mitternacht ja, Cowboy weniger.“ Kay Luka und Frank Gardlo hüten doch kein Vieh, sie sorgen für Menschen. Seit mehr als 20 Jahren sind die Krankenpfleger in Gelsenkirchen unterwegs, dann, wenn die anderen schlafen: nachts, immer nur nachts.
Bettzeit für Frau Schluckberger, die 94-Jährige wundert sich: „Sie sind ja immer noch auf Achse!“ Nun ist dies für Frank Gardlo erst der Anfang seiner Zehnstunden-Schicht, an ihrem Ende wird er noch mal kommen: die alte Dame zur Toilette zu bringen. „Anders“, sagt ihre Enkelin dankbar, „wäre es gar nicht möglich, dass sie noch zuhause wohnt.“ Ursula Schluckberger will selbst ins Bett gehen und ins Bad, „aber sie vergisst, dass sie nicht mehr laufen kann“. Also kommt der Nachtdienst der Ambulanten Pflegedienste Gelsenkirchen (APD), jeden Abend und jeden Morgen, es kommen: Kay Luka oder Frank Gardlo. Immer oder.
Zwei allerbeste Kollegen, die niemals zusammen arbeiten. Die dieselben Patienten haben, den gleichen Job machen, zur gleichen Zeit, aber nie gleichzeitig. Luka, 49, und Gardlo, 60, treffen einander nicht (außer für diese Geschichte). Nur einmal im Jahr, da trinken sie ein Bier zusammen, es muss aber einer Urlaub haben. Und sie telefonieren, jeden Dienstagabend ein Dienstgespräch: Haben sich Medikamente geändert, gibt es einen neuen Patienten, musste jemand ins Krankenhaus? Hat sich ein Zustand verschlechtert oder verbessert?
Das allerdings kommt nicht häufig vor: Wer erst nachts regelmäßige Pflege braucht, kommt selten wieder richtig auf die Beine, erzählt Kay Luka. Wenn es aber doch passiert, ist das für beide „ein Erfolgserlebnis“. Gerade haben sie so eine Patientin: Die konnte sich kaum mehr bewegen. Dass sie jetzt wieder manches allein schafft – „ein Highlight“. Manchen Menschen, sagen die Männer, „geht es besser, wenn wir wegfahren“. Andere begleiten sie bis zum Tod. „Ein Vertrauensverhältnis!“
„Man ist froh, dass man Hilfe kriegt!“
Viele betreuen sie schon Jahre, und sie sind nicht alle alt. Gardlo, der in dieser Woche seinen 60. feierte, sieht „immer mehr Patienten, die jünger sind als ich“. Deniz Can zum Beispiel, der ihn den „lieben Herrn“ nennt, ist erst 41. Er leidet unter Muskelschwund, Zähneputzen geht noch, Zahnpasta auftragen nicht mehr. Der Krankenpfleger hilft, legt ihn ins Bett, richtet die Bettdecke, hängt den Rollstuhl-Akku an die Steckdose. „Man ist froh, dass man Hilfe kriegt“, sagt Deniz, er will nicht, dass seine Mutter auch noch in der Nacht kommen muss. „So gehe ich mit ruhigem Gewissen ins Bett.“
Seine beiden Helfer kommen beide aus dem Zivildienst, Frank Gardlo warf damals andere Pläne über Bord, um „beim Heilen zu helfen“. Die persönliche Beziehung zum Patienten, die „Arbeit am Menschen“, die machte und macht ihm einfach Spaß: „Ich bin in der Pflege aufgegangen.“ Dem jungen Kay Luka gefiel der „Crashkurs in Verantwortung“, für andere Menschen da zu sein, „etwas geben zu können, da geht einem das Herz auf“. Dabei hatte er sich mal geschworen, aber auch wirklich nie „was mit Kindern oder alten Leuten zu machen“. Und jetzt sagt er das: „Ein wundervoller Beruf.“
„Es bleibt ihnen ein stationärer Aufenthalt erspart“
Was alles noch nicht ganz erklärt, warum sie das alles nachts tun. Es war bloß eine Anfrage vor mehr als 20 Jahren, es gibt ambulante Nachtpflege bis heute nicht häufig. Dabei ist sie so wichtig: für Frau Schluckberger, die nicht aufstehen kann, für Patienten, die umgelagert werden müssen, dass sie sich nicht wund liegen. Manche haben Wunden, die versorgt werden müssen, manche brauchen auch nachts ihre Medizin – sie hatten einen Mann, der benötigte alle zwei Stunden Augentropfen nach einer Operation.
Man muss das ganz klar sagen, und die zwei Männer tun es auch: „Bei manchen geht es ,nur’ um einen WC-Gang, aber ohne uns wäre der Patient morgens eingenässt.“ Es hat mit Fingerspitzengefühl zu tun, was sie da machen, mit Würde. Und einer hat mal dankbar gesagt: „Sie kennen sich in meinen Schränken besser aus als ich selbst.“ Worum es aber geht, ist: „Es bleibt ihnen ein stationärer Aufenthalt erspart.“
Fahrt zu Patienten durch dunkle Viertel und unbeleuchtete Hinterhöfe
Die Idee, dabei mitzutun, gefiel im Jahr 2000 beiden gut: Luka ist ein Nachtmensch, Gardlo alleinerziehender Vater, das passte. Es passte aber vor allem mit den beiden. Dabei sind sie ganz unterschiedlich: Typ „gemach, gemach“ und ausgeglichen der eine, eher impulsiv und emotional der andere. Luka macht Urlaub mit dem Zelt auf Festivals, Gardlo mit seiner Frau in Holland. Vieles, was sie voneinander wissen, hören sie von ihren Patienten. Aber sie treffen sich auf Schalke. Also, interessensmäßig, einer muss ja immer arbeiten, eine um die andere Woche, mittwochs bis mittwochs, acht Uhr abends bis sechs Uhr morgens.
Danach ist bei Kay das Frühstück verboten, „dann kann ich nicht schlafen“. Bei Frank gibt es Tee und Toast und dann eine Mütze Schlaf. „Der Vormittag sieht mich selten.“ Das Leben verlagert sich in die freien Tage: „Ich kann nicht nachmittags auf die Cranger Kirmes“, sagt Frank Gardlo, „wenn ich abends wieder Dienst habe.“ Nicht alle Freundschaften haben das ausgehalten.
Zuweilen fehlt ihnen auch der „Flurfunk“, sie haben ja auch keinen gemeinsamen Flur. Ihr Weg ist die Straße, und auf der sind sie immer nachts und immer allein. Das ist einer der Gründe, warum eher Männer diesen Job machen, es ist ihnen ja schon passiert, was sie „Bedrohungssituationen“ nennen: Manchmal ist es „nur“, dass Patienten in dunklen Hinterhöfen wohnen oder in Gartenlauben ganz ohne Licht. Bei Frank setzten sich einmal drei Rocker auf die Motorhaube, erst die Polizei hat sie vertrieben.
„Wir huschen rein und wieder raus“
In diesem Dunkel der Nacht schleichen sie selbst auf leisen Sohlen in fremde Häuser; bei manchen Menschen sollen sie „nur nach dem Rechten sehen“, damit Angehörige beruhigt sind. „Wir huschen rein und wieder raus“, 450 Schlüssel verwaltet die APD, Nr. A 217 hat Frank Gardlo schon in der Tasche, manchmal hat er auch eine Taschenlampe mit. Mehr als 20 Einsätze fahren sie in der Nacht, 70, 80 Kilometer. Medikamente gehen schnell, Pflege dauert länger, manchmal reicht die Zeit trotzdem für ein Schwätzchen. Oder für das Silvesterfeuerwerk, „um die Zeit kann man ohnehin nicht fahren“.
Selbst krank zu sein, haben sie sich kaum erlaubt in den Jahren, schon weil keiner den anderen hängenlassen will. Eine „unwahrscheinlich große Kollegialität“ bescheinigt ihnen ihr Pflegedienstleiter Björn Schulte. Sie selbst sagen, sie haben „dieselbe Idee von der Arbeit“. Oder einfacher, sagt Kay: „Der Grund, warum ich das hier so mache, ist der Frank. Punkt.“ Sagt Frank: „Und umgekehrt.“
>>INFO: PFLEGE ZUR NACHT
Ein Nachtdienst in der ambulanten Pflege macht möglich, dass pflegebedürftige Patienten länger zuhause wohnen können – weil auch nachts jemand nach ihnen sieht und Medikamente gibt.
Die APD (Ambulante Pflegedienste Gelsenkirchen) bietet die „Ambulante Pflege zur Nacht“ seit 2000 an. Sie gehört mit mehr als 800 Patienten und 450 Mitarbeitenden sowie 18 Demenz-Wohngemeinschaften zu den größten privaten Pflegediensten in Deutschland.