Essen.
Endlich schellt das Telefon. „Anonym“ verrät das Display. Das fängt ja spannend an. Wie damals bei Jim Rockford. Der smarte Privatdetektiv alias James Garner lebte in einem Wohnwagen am Strand von Malibu und ermittelte die abenteuerlichsten Fälle. Die US-Serie hieß „Rockford – Anruf genügt“ und lief ab Mitte der 70er Jahre auch im deutschen TV. „Sie haben angerufen?“, fragt die dunkle, vertrauenserweckende Männerstimme. Sie gehört Jochen Meismann. Der ist seit 40 Jahren Privatermittler in der Essener Detektei Condor.
Eine Dame im Headquarter hatte uns Meismann als Kontakt genannt, aber nicht seine Durchwahl gegeben. Er formuliert das dann so: „Ich bin der Einzige, der mit der Presse redet.“ Treffen könnten wir ihn keinesfalls. Klar, er will ja undercover bleiben. Ob er wie Garner oder besser aussieht, lässt sich so natürlich nicht ermitteln. Aber in einem ist die Beweislage schnell eindeutig: Dieser Detektiv hat Humor. Und in der Kindheit und Jugend guckte er gern all die Krimi-Serien, in denen Leute seiner Zunft die Hauptrollen spielten. „Rockford und Magnum waren tolle Vorbilder.“ Aber wie der Job wirklich funktioniere, habe ihm sein Vater beigebracht.
„Das ganze Haus des Kunden war verwanzt“
Wir versprechen: Worüber wir hier reden, bleibt natürlich so geheim wie möglich. Namen sind uns nicht bekannt oder wurden geändert. Und die Lupe zum Spurensuchen bleibt in der Schreibtischschublade. Zwischen Film und Realität bestehe meist ein Riesenunterschied, startet Meismann. „Zudem darf man US-Detektive nicht mit deutschen vergleichen. Vieles läuft hier ganz anders allein wegen der anderen Gesetzeslage.“ Was jenseits des großen Teichs erlaubt ist, sei hier ein No-Go. Und dann gibt der Profi ein Beispiel. Eines von vielen, die er in vier Jahrzehnten erlebt hat. „Ein deutscher Kunde, der für den Job nach Amerika gegangen war, hatte das Gefühl, in seinem Haus abgehört zu werden. Den US-Kollegen vertraute der Mann nicht. So klingelte Meismanns Telefon. „Das ganze Haus des Kunden war verwanzt. Er hatte Angst um seine Familie und wollte rund um die Uhr bewacht werden. Allerdings bewaffnet.“
Keine scharfen Waffen
Für diesen Auftrag habe er US-Kollegen zu Hilfe gezogen. Denn deutsche Detektive tragen keine scharfen Waffen. So hatte Meismann in seinem dennoch spannenden Beruf nie mit Mord oder Totschlag zu tun. Auch Schlägereien wie im Film gehören nicht zum Alltag. Aber langweilig werde es nie. „Die Fälle sind sehr unterschiedlich.“
Tägliches Brot für ihn seien Außendienstkontrollen im Auftrag von Firmen. Ist ein Angestellter wirklich seit Monaten krank und arbeitsunfähig oder simuliert er und nutzt die Zeit, um etwa die Terrasse neu zu pflastern? „Einer hat täglich für einen Marathon trainiert, während er der Arbeit fernblieb.“ Vor Corona habe er 75 Prozent der Aufträge von Unternehmen erhalten, erzählt Meismann. Doch im Homeoffice dürfe man niemanden beschatten. „Die eigene Wohnung ist Privatsphäre.“ Auch der Einsatz von Kameras und Drohnen ist nicht gestattet.
Es traf vor allem Frauen
Arbeitszeit- oder Spesenbetrug, Diebstahl in Firmen, Personensuche und Wettbewerbsverstöße – ansonsten gängige Fälle seiner Detektei – gingen in der Pandemie zurück. Zum Riesen-Thema entwickelten sich Aufträge rund ums Internet-Dating. Als das persönliche Knüpfen neuer Kontakte wegen des Virus unmöglich war, schlug Betrügern die große Stunde. „Vor allem Frauen kamen durch vermeintliche Verehrer sehr zu Schaden. Finanziell und emotional“, so der Privatermittler. 90 Prozent dieser Opfer seien weiblich.
In Single-Foren, Socialmedia-Gruppen, Online-Plattform, aber auch professionellen Partnerbörsen lauerten eiskalte Betrüger, die gutgläubigen Frauen bis zu sechsstellige Geldbeträge aus den Taschen ziehen. Mühelos. „Da gibt es abenteuerliche Geschichten. Etwa die von sagen wir mal Thomas aus Amerika. Der ist Ingenieur auf einer Bohrinsel in der Nordsee und verdient ein Heidengeld. Soviel kann er allein gar nicht ausgeben. Er sieht natürlich blendend aus und wünscht sich nichts so sehr wie eine liebevolle Partnerin.“ Nach vielen Mails und Nachrichten über Messenger will die Frau ihn per Video-Chat endlich kennenlernen. „Geht leider nicht“, erkläre er. Das sei auf der Bohrinsel leider verboten. Man schreibt sich weiter. „Dann hat er endlich Urlaub. Sie schlägt ein persönliches Treffen in einem Hotel vor. Ein Hubschrauber soll ihn von der Ölplattform abholen. Das muss vorab bezahlt werden. Doch Thomas‘ Kreditkarte wurde gesperrt. Nun soll die Freundin Geld überweisen. 1500 Euro für den Heli.“ Dann komme die Absage: Thomas habe einen Unfall gehabt, könne nicht weg und brauche weitere 2000 Euro für eine ärztliche Behandlung. Ein Teufelskreis.
Opfer versetzen ihren Schmuck
Meismann kennt solche Online-Dating-Fälle in- und auswendig – mit allen Tricks und Ausreden. „Die Täter stammen oft aus dem Ausland“, weiß er. Sogar vermeintliche Zugangsdaten zu Konten würden sie an die Opfer verschicken. Damit sollen sich die Frauen bei den Banken einloggen und erhielten scheinbar Einsicht ins Konto ihrer Online-Bekanntschaft. „Alles Fake“, betont Meismann. Die Internetseiten seien gefälscht, zwar täuschend echt, aber alles nur Lüge, und „irgendwo für fünf Dollar programmiert“.
Um dem Liebhaber zu helfen, versetzen die Opfer ihren Schmuck, verkaufen das Auto oder kündigen gar die Lebensversicherung des Ehepartners. Zwei Millionen Schweizer Franken habe eine Kundin eingebüßt. Auf solche Betrüger hereinfallen würden Leute aus allen Schichten, Studierte oder Arbeiter. „Wir überprüfen, ob eine Online-Bekanntschaft echt ist oder nicht. Das dauert etwa drei Werktage.“ 50 Prozent der Leute rufen erst an, wenn das Geld schon futsch ist. Doch manchmal gibt es ein Zurück. „Im März haben wir einer Frau geholfen, 16.000 Euro wiederzubekommen. Sie hatte den Betrag an eine Bank im Ausland überwiesen, aber er war dort noch nicht eingetroffen.“
Aussicht auf Erfolg ist wichtig
Etwas ist dem Profi besonders wichtig. „Wir übernehmen nur Fälle, die Aussicht auf Erfolg haben.“ Leider gebe es schwarze Schafe in der Branche. Seriöse Detekteien gehören Berufsverbänden an. Ermitteln Meismann und sein erfahrenes Spürnasen-Team draußen, tauchen sie bewusst in der Masse unter: Den durchkarierten Mantel des Comic-Meisterdetektivs Nick Knatterton würden sie unter einer Bedingung überstreifen: „Wenn alle so einen gemusterten Umhang tragen.“ Als Detektiv im Schalke-Trikot ins RWE-Stadion an der Essener Hafenstraße zu gehen, sei keine gute Idee. Das rote-weiße Fan-Shirt hingegen wäre eine perfekte Tarnung. „Den Harry-Potter-Umhang, unter dem man unsichtbar ist, gibt es leider nicht.“
Als junger Mann in der Detektei des Vaters lernte Meismann professionell und diskret zu ermitteln. Eine ganze Woche im Supersommer 1982 observierte er aus einem VW-Campingbus die tatsächliche Besucherzahl einer öffentlichen Einrichtung. „Da gab es Unstimmigkeiten.“ Er zählte Menschen und Autos. In Badehose. „Es war so heiß, dass mir nichts anderes übrig blieb.“ Abends sei er nach dem Essen wie tot ins Hotelbett gefallen.
Betrug am Pool? Der Schnüffler deckt es auf
Und auch das Nachtleben auf den Kanaren konnte der Privatermittler im Einsatz nicht wirklich genießen. Die Ehefrau des Auftraggebers hingegen hatte ihren Spaß. Ihr Mann wollte wissen, wie und wann. Kurzum: tagsüber am Strand, im Pool, im Hotel-Restaurant, beim Shoppen im Ort, abends am Buffet, bis nachts um vier in der Disco oder an der Bar – Meismann war ihr immer nah. Wie ein unsichtbarer Schatten begleitete er die Dame, bis sie ihre Zimmertür schloss. „Morgens saß ich gleich um 8 Uhr beim Frühstück, um sie nicht zu verpassen.“ Manchmal wartete er Stunden, bis etwas passierte. Ausdauer und Geduld brauche man auf jeden Fall für die Detektivarbeit. Gerade für die Observationen auf Kegel-Touren oder Mädels-Ausflügen. Misstrauisch oder eifersüchtig? Privatermittler wie Meismann finden heraus, ob der Verdacht berechtigt ist. Und vor Gericht haben ihre Aussagen einen hohen Wert. Denn Detektive sind neutrale Zeugen. Anruf genügt.