An Rhein und Ruhr. Die Zahl der Beratungsfälle hat sich hier beim Sekteninfo NRW vervierfacht. Ängstliche Menschen sind für Verschwörungstheorien eher empfänglich.
Der US-Milliardär Bill Gates, der angeblich mit Corona Reibach machen will, eine Bevölkerung, die von ihrer Regierung mit einer „erfundenen“ Pandemie vermeintlich mundtot gemacht werden soll - und der berühmte Chip, der angeblich beim Impfen implantiert wird: Verschwörungstheorien haben in Corona-Zeiten Konjunktur. Beim Sekteninfo NRW hat sich die Zahl der Beratungsfälle dazu im vergangenen Jahr vervierfacht.
Der in Essen ansässige Verein veröffentlicht an diesem Freitag (23. April 2021) seine Jahresbilanz. Esotik, Sekten, Heiler, unseriöses Coaching: Mit insgesamt 1078 Beratungsfällen und Anfragen hatte es das Team in 2020 zu tun gehabt, zehn Prozent mehr als im Vorjahr. Alleine 160 hatten mit Verschwörungstheorien zu tun. „Es gab keinen Tag, an dem nicht ein Beratungsgespräch zu dem Thema stattgefunden hat“, berichtete Leiterin Sabine Riede.
Betreffende werden bitterer und aggressiver
Vereinzelt kommen Betroffene selbst - Aussteiger. Meist habe man es mit Angehörigen zu tun. Hilflos und zunehmend verzweifelt nehmen sie wahr, wie ihr Familienmitglied alles in die Theorie einordnet, Widersprüche nicht mehr wahrnimmt, immer bitterer und aggressiver wird. „Ängstliche und unsichere Menschen sind für Verschwörungstheorien eher empfänglich“, erklärt Riede.
Für die Betreffenden habe die Theorie etwas Entlastendes, so die Leiterin des Sekteninfo. Mit den Deutungsmustern lasse sich auch die eigene Krise vermeintlich erklären - die Angst um den Job etwa oder gefühlte Machtlosigkeit: „Angst kann durch diese Theorien in Wut umgewandelt werden“ - und Wut sei für viele Menschen leichter auszuhalten.
Geheimnisvolle Eliten kontrollieren die Massen und bereichern sich
Oft sei es so, dass die Betreffenden von Bekannten, etwa in WhatsApp-Gruppen, auf Theorien aufmerksam gemacht werden. „Sie recherchieren dann selbst in sozialen Medien oder im Internet insgesamt und entdecken immer mehr dazu“, so die Leiterin des Sekteninfo. Üblicherweise geht es um geheimnisvolle Eliten, die aus dem Hintergrund heraus die Massen kontrollieren und sich bereichern.
„Kontrolle und Gier, die ‘eine Wahrheit’, eine in Gut und Böse eingeteilte Welt - das kennen wir alles von Sekten“, sagt Riede. Ein Aussteiger berichtet, wie er den YouTube-Videos eines Verschwörungstheoretikers zunächst fasziniert und dann immer besorgter folgte - „wie ein Sog“. Er habe sie als vermeintlichen „Blick hinter die Kulissen“ wahrgenommen.
Grenzen setzen in solchen Diskussionen
Sich diesem Sog wieder zu entziehen, eine andere Perspektive einzunehmen, das fällt oft schwer. Beim Sekteninfo rät man Angehörigen zunächst ein Gefühl zu entwickeln, ob Betreffende überhaupt noch gesprächsbereit sind. „Oft kommen Angehörige zu uns und wollen in der Diskussion um solche Theorien argumentativ gestärkt werden“, berichtet Riede. Sie rät, in solchen Debatten lieber Grenzen zu setzen, nicht zu sehr in einen Wettstreit der Argumente zu verfallen.
„Gesprächsniederlagen können als Blamagen empfunden werden und dazu führen, dass Betreffende sich noch stärker in diesen Theorien versteigen“, so die Leiterin des Sekteninfos. Riede hält mehr davon, lieber das Selbstwertgefühl des Betreffenden zu stärken, an gute Zeiten zu erinnern und den Blick dafür zu schärfen, dass die Welt eben nicht nur gut und böse, schwarz und weiß ist.
Mehr Informationen zum Sekteninfo gibt es hier. Die Arbeit wird zu großen Teilen vom Land NRW und der Stadt Essen finanziert.