Castrop-Rauxel. Nach den ersten warmen Tagen blüht das Leben in den Kleingärten auf. Es gibt viel zu tun, aber „man ist froh, dass man wieder an der Luft ist“.
Die letzten Wochen, sagt Norbert Mörchen, die habe er in seinem Zweitgarten verbracht. Zweitgarten? Na, das neue Büro des Bezirksverbandes der Kleingärtner. Eine frühere Laube. Umgebaut. Tapeten, Türen, Putz. Ganz ehrlich gesagt: Der Erstgarten ist ihm lieber.
Die Natur ist etwas später dran in diesem Jahr. Die Schrebergärtner sind es nicht. Nach den ersten warmen Tagen am Stück geht in den Anlagen im Ruhrgebiet gerade das Leben wieder los. Sie schleppen, bohren, pflanzen, schneiden, harken. Fahnen flattern, irgendwo läuft ein Radio. Trübsal findet nur im Schaukasten statt: Jahreshauptversammlung abermals abgesagt.
Glücklich, wer einen Garten hat: „Corona entfliehen“
„Muss ja langsam alles wieder in Ordnung gebracht werden nach dem Winter“, sagt Martin Wabel. In der Anlage „Am Schellenberg“ in Castrop-Rauxel lüftet er gerade den Rasen durch. „Man ist froh, dass man wieder an der Luft ist.“
Seine Frau ist im Garten, die Schwiegertochter aus Düsseldorf mit dem Enkel hinzugekommen. „Corona entfliehen. Die beiden sind getestet, wir beide sind getestet, da kommen sie schon mal.“ Sie sind so frei. Glücklich, wer einen Garten hat. „In der Wohnung treffen wir uns nicht.“
Täglich haben acht bis zehn Leute nach einer freien Parzelle gefragt
Am Schellenberg. Gelegen neben dem überregional bekannten Restaurant und Hotel Goldschmieding. Eine von rund 1000 Kleingartenanlagen in der Region. 86 Parzellen, im Schnitt 300 Quadratmeter groß. Miete, Mitgliedschaft, Versicherung, Wasser, Strom kosten um die 300 Euro. Zusammen und im Jahr, versteht sich. Buchstäblich ein billiges Vergnügen.
Norbert Mörchen hat seinen Erstgarten seit 2004. Der Elektriker unter Tage, zuletzt auf Auguste Victoria in Marl eingesetzt, war kurz zuvor in Rente gegangen. Und seit neun Jahren ist er jetzt auch schon wieder der Vorsitzende hier. Leerstand? Null. „Als Corona anfing, hatte ich täglich acht bis zehn Anrufe: Habt ihr eine Parzelle frei?“ Er hatte vorher schon keine frei.
„Heute haben wir 30 bis 40 Kinder“
„Als ich anfing, hatten wir keine Familie mit Kindern“, erinnert sich der 65-Jährige: „Heute haben wir 30 bis 40 Kinder.“ Die Leute, so erklärt er sich das, „haben verstanden, dass Obst und Gemüse aus eigenem Anbau besser schmecken. Und die Kinder sollen lernen, dass die im Garten wachsen und nicht in der Dose bei Aldi.“
Michael Schäfer kniet vor der offenen Tür seiner Laube, streicht sie an. „Ich hab erstmal neue Bretter in die Tür gesetzt, damit die wieder einigermaßen vernünftig aussieht.“ Sie war beschädigt von einem Einbruchsversuch vor wenigen Wochen. „Die haben nur die Tür eingeschlagen, reingeguckt, sind wieder weg.“ Beim letzten Einbruch hatten sie frecherweise noch die Honiggläser umgestellt und zwei Schubladen aufgezogen.
Der Trick mit dem Friedhofslicht im Tontopf
Aber was sollen sie hier auch groß erbeuten? Die Wahl besteht zwischen Radio, Wasserkocher, Kaffeemaschine und Kochplatte. Alles oll. „Fernseher braucht man im Schrebergarten nicht.“ Schäfer schon gar nicht, er ist einer der Imker hier. Da muss er in diesen Tagen noch Bienenkästen kontrollieren, saubermachen, neue Rähmchen in den Honigraum packen. „Wenn die Wärme kommt, dann legen die los.“
Am Schellenberg wie bei jedem anderen Schrebergartenverein kann man in dieser Woche praktisch der Natur beim Aufwachen zuschauen. Die Schlehe blüht, der Sommerflieder treibt aus; Schnittlauch, Melisse und Baldrian melden sich zurück im gemeinsamen Kräuterbeet. Und die Bienen schwärmen. An der Ecke Hauptweg/Rotkehlchenweg blühen die gelben Narzissen. Nur die Bäume sind noch kahl. Mörchen sagt: „Ein Tag Regen, dann explodieren die.“
Hennes und Hanne, 87 und 86 Jahre alt, sind gerade nicht da. Schrebergarten-Urgestein, die beiden, 63 Jahre dabei. Kennen alle Tricks. Könnten jetzt schon den ersten Salat haben. Wie das? Friedhofslicht in Tontopf, Tontopf ins Hochbeet, Deckel drauf. Erde wird warm, Salat wächst. Sagen Sie es nicht weiter.
„Das ist doch keine Arbeit, das ist Entspannung“
Die Gärtner könnten jetzt: Müll wegbringen. Oder die Stauden vom Vorjahr entsorgen. Sträucher runterschneiden. Obstbaumschnitt. Beete durchharken und auflockern. Kompost und Rindenmulch auftragen. Erste Bepflanzungen. Erbsen, Kürbis, Kartoffeln, Salat. Sieht nach Arbeit aus. Sie sind so frei, frei und draußen und mit Sicherheitsabstand über den Gartenzaun.
„Das ist doch keine Arbeit, das ist Entspannung“, sagt Ute Schmidt-Alex. Sie steht an ihrem Hochbeet und befreit es gerade von Unkraut. Kohlrabi und Möhrchen kommen da gleich rein, also, die Pflanzen natürlich, nicht der Vorsitzende. Bis drei, vier Uhr ist sie damit beschäftigt. „Dann fahre ich Rasensamen und Rindermulch holen, dann komme ich zurück, dann grille ich.“ Klingt nach einem richtig guten Plan.