Hamm. Mädchen werden von der Monatsblutung überrascht, manchen Frauen fehlt das Geld: In Hamm gibt es Tampons bald kostenlos aus dem Automaten.

Verstohlen drückt sich die Schülerin durch den Türspalt ins Sekretariat. Nur der Schulleiter da. „Herr X.“, ihr Kopf wird hochrot, „ich brauche...“ Schon klar, Tampons und Binden haben viele Schulen inzwischen in der Schublade. Hamm will Mädchen und Frauen die Peinlichkeit künftig ersparen: Die Stadt hängt auf öffentlichen Toiletten Automaten mit kostenlosen Hygieneartikeln auf.

Hamm ist damit die erste Kommune bundesweit, die ein solches Projekt anschiebt. Gleich gefolgt von Ratingen, das am Donnerstag ein ähnliches Vorhaben ankündigt. Im vergangenen Herbst führte als erstes Land der Welt Schottland die kostenlose Ausgabe von Tampons und Binden ein, Neuseeland und Frankreich verfolgen ähnliche Konzepte.

Mädchen, von der Periode überrascht, helfen sich mit Toilettenpapier

Kein Luxusartikel mehr nach dem Steuerrecht: Auf Tampons werden keine 19 Prozent Mehrwertsteuer mehr erhoben.
Kein Luxusartikel mehr nach dem Steuerrecht: Auf Tampons werden keine 19 Prozent Mehrwertsteuer mehr erhoben. © dpa | Federico Gambarini

„Was die können, können wir auch!“, beschloss darauf in Hamm die erst 22-jährige Stadträtin Jule Pletschen. Die Sozialdemokratin weiß ja noch aus ihrer eigenen Schulzeit, wie es war, wenn die Monatsblutung einsetzte – nicht immer regelmäßig in den ersten Jahren: Die Periode, sagt sie, habe manche Mitschülerin „überrascht“. Und was, wenn dann in der Schultasche keine Binde steckt? Sie hört auch jetzt noch von Mädchen, die in der Pause hastig Toilettenpapier schichten.

Und von anderen, die von vornherein alte Stofffetzen oder gar Zeitungspapier benutzen oder mehrere Schlüpfer übereinanderziehen. Weil zuhause keine Unterstützung da ist, kein Ansprechpartner oder weil das Geld für Hygieneartikel fehlt. Tatsächlich engagieren sich Frauen weltweit für das Thema: Unter dem Titel „Periodenarmut“ fordern zwei Berlinerinnen derzeit in einer Petition „freien Zugang zu Menstruationsprodukten in öffentlichen Einrichtungen“.

Mehrwertsteuer auf Tampons ist erst kürzlich gesunken

So könnte der „Tamponspender“ aussehen.
So könnte der „Tamponspender“ aussehen. © FUNKE Foto Services | Andreas Buck

Weltweit hätten 500 Millionen Menschen keinen Zugang dazu, behaupten sie, die „Periodenarmut“ betreffe allein 100.000 wohnungslose Frauen in Deutschland und weitere, die an der Armutsgrenze leben. Tampons und Binden kosten, je nach Menge „und Marke“, 3 bis 5 Euro pro Packung. Bis Freitagnachmittag hatten die Petition 38.776 Menschen unterschrieben. Schon einmal hatte eine ähnliche Unterschriftensammlung Erfolg: Im vergangenen Jahr senkte die Bundesregierung die sogenannte „Tampon Tax“, die Mehrwertsteuer auf Hygieneartikel von 19 auf 7 Prozent.

„Einen Bart kann man stehenlassen“

„Die Frauen haben sich das ja nicht ausgesucht“, sagt Jule Pletschen, die im Herbst in Hamm mit dem Slogan kandidierte: „Platz für neue Ideen“. Als sie dem Ausschuss für Gleichstellung mit ihrem Vorschlag kam, habe sie „wilde Dinge gehört“, vor allem von den Männern. „Das hat es vor 30 Jahren auch nicht gegeben“ oder „Das haben die Frauen noch immer geschafft“ waren noch die sanften Reaktionen. Die Herren, sagt Pletschen, würden zu „Perioden-Experten, die mir erzählen wollen, was Frauen brauchen“.

Natürlich hörte sie auch, was Männer weltweit kommentieren, wenn Frauen mit dem Thema kommen: „Dann brauchen wir auch Automaten für Rasierer.“ Denen sagt sie klar: „Einen Bart kann man auch mal stehenlassen, durchzubluten ist etwas ganz anderes.“ Sie findet: Artikel für die Monatshygiene müssten so selbstverständlich sein wie Toilettenpapier.

Zwei Jahre Pilotprojekt, Sorge vor Vandalismus

Den Rat in Hamm hat sie damit überzeugt, für zwei Jahre steckt die Stadt 20.000 Euro in das Pilotprojekt. Ratingen plant 15.000 für drei Jahre. Damit sollen zunächst auf Schultoiletten Automaten aufgehängt werden, später auch in öffentlichen Gebäuden wie Ämtern und Museen. Ob „bedarfsgerecht entnommen“ wird, ob es Vandalismus gibt, wird beobachtet: Jule Pletschen wünscht sich, dass es normal wird, auf den Knopf zu drücken und die Pappschachteln nicht aus Neugier ausgeräumt werden. Nach aller vorherigen Skepsis, seit die Entscheidung gefallen ist, sieht die Ratsfrau „überwiegend positive, auch dankbare“ Reaktionen. Derzeit werden Angebote geprüft, im Mai oder Juni sollen die Automaten da sein. Der Prototyp hängt schon: im Parteibüro der SPD.