Ruhrgebiet. Nach neun Wochen Pause kommt erstmals wieder die Hälfte der Kinder in die Grundschulen. Sie haben jetzt Abstand, aber auch Wünsche.
Juan Carlos Böck kennt sie alle, die ihm da über den Schulhof entgegen laufen Richtung Eingang. Nala, die sich bei der Schneckenklasse anstellen muss. Alessandro, der ihm Arbeitsblätter in die Hand drücken will. Juliana, die mit dem kleinen Kopf hinter der riesigen FFP2-Maske heftig nickt auf die Frage, ob sie sich freut. "Endlich wieder ein bisschen Alltag", sagt Julianas Mutter. Sie strahlt. Frühling für Kinder. Willkommen zurück!
"Ich steh ja seit Mai jeden Morgen am Törchen", sagt Böck, der Schulleiter der Petri-Grundschule in der Dortmunder Innenstadt. Da soll man seine Kinder nicht kennen. Am Montag steht er also wieder da, als in ganz Nordrhein-Westfalen der von Corona hintertriebene Schulbetrieb im Präsenzunterricht wieder aufgenommen wird, zum - ja, zum wievielten Mal eigentlich? Und jedesmal ists anders: Jetzt ist erstmal halb auf.
"Ich will alle jeden Tag sehen, um dranzubleiben"
800.000 Schüler in Nordrhein-Westfalen treten also Montag an, ungefähr ein Drittel von allen. Alle Abschlussklassen in voller Besetzung und die Hälfte der Förder- und der Grundschüler, um Abstand halten zu können und Kontakte geringer zu halten.
Das haben sich die Schulen unterschiedlich organisiert: In der einen kommen die Kinder einen um den anderen Tag abwechselnd. Möglich, aber offenbar im Ruhrgebiet kaum genutzt ist auch ein wöchentlicher Wechsel. In einer anderen kommen alle täglich, aber nur für drei Stunden und in zwei Kohorten nacheinander. "Ich will alle jeden Tag sehen, um dranzubleiben", sagt eine Grundschul-Lehrerin aus Bochum.
MoMi-Kinder und DiDo-Kinder als Eselsbrücke für die Eltern
Und es gibt auch noch das Modell, MoMi-Kinder und DiDo-Kinder einzuteilen: Die angerissenen Tage sind die, an denen sie zu kommen haben, und freitags ist Distanzunterricht für alle. Das ist vor allem eine, sagen wir, Eselsbrücke für die Eltern, um anstrengungsfrei mitzubekommen, wann denn jetzt eigentlich ihre Kinder zur Schule kommen können.
Ach ja, manche Eltern. "Sonntag Nacht um 23.30 Uhr habe ich noch eine WhatsApp von einer Mutter bekommen, ob jetzt nur die Montagskinder oder alle kommen können", sagt ein Lehrer. 102 Kinder erwartet die Petri-Grundschule nun zum Unterricht, 15 weitere erwarten die Beschäftigten in der Notbetreuung. Ein paar mehr werden es werden, schwant ihnen: eben Kinder am falschen Tag. Man wird sie kaum unbegleitet wegschicken können.
Kinder winken einander zu, die Augen strahlen
Bis kurz vor acht sammeln sich die Kinder auf dem Schulhof in acht kleinen Gruppen. "Ich bin nie so zur Schule gerannt", sagt ein Zuschauer. Nun stehen sie Schlange unter den Symbolen ihrer Klassenzugehörigkeit, die Hasen und die Löwen, die Schnecken, die Adler . . . Nach der Stimmung braucht man sie nicht zu fragen, Kinder winken einander schon von weitem zu, haben sich viel zu erzählen, die Augen strahlen. Heute ist Schulpflicht süß. Ein einziges Mädchen führt Böck an der Hand über den Schulhof zu seiner Gruppe, es war anfangs zu aufgeregt, hatte in der letzten Woche schon drei Tage Bauchweh.
Nacheinander begleiten die Lehrer die Gruppen in ihre Klassen, vorbei an der Handdesinfektion, die 1b geht in den zweiten Stock hoch. "Ihr sitzt alle ein bisschen anders", sagt Susanne Lieblang, die Sozialpädagogin. Namensschilder weisen den Weg, jedes Kind hat eine Bank für sich, und an der Tafel steht in allerschönster Schreibschrift: "Schön, dass wir endlich wieder zusammen sind."
"Ich wünsche mir, dass Corona wieder weggeht"
Der Einstieg in den Unterricht ist weich. Vom Schnee sollen sie erzählen, welch große Abwechslung in der Ödnis der letzten neun Wochen. Ein Mädchen berichtet von seinen Milchzähnen, und zwar denen, die ausfallen sollen vorne, da geht schon mal die Maske runter. "Einmal Nase verstecken!" Und Nala spricht für die ganze Menschheit mit diesem Satz: "Ich wünsche mir, dass Corona wieder weg geht und die Welt normal weitermacht."
Da steht ein Kinderbuch hinter dem Pult der Schneckenklasse, das hat gar nichts mit der aktuellen Situation zu tun, bringt die Gefühle dieses Tages aber sehr genau auf den Punkt. Es heißt: "Von der Schnecke, die wissen wollte, wer ihr Haus geklaut hat." Großes Drama für Sechs- und Siebenjährige, aber es geht natürlich gut aus, sie findet ihr Haus wieder: "Darin war es so warm und gemütlich und es war das beste Haus von allen Häusern auf der ganzen Welt." Ja, so fühlt die Schneckenklasse an diesem Morgen. Sie hat ihr Haus wiedergefunden.