Essen. Eine Studie soll Aufschluss geben, wie sich Grundeinkommen auswirkt. Claudia S. aus Essen erhält 1000 Euro im Monat. Angst vor Neid ist groß.

Man könnte sagen, dass Claudia S. so ähnlich wie im Lotto gewonnen hat. Nur ist ihr Gewinn politisch aufgeladen. Ein Jahr lang bekommt die Essenerin jeden Monat 1000 Euro, einfach so, ohne Bedingungen. Sie ist einer von 709 Menschen, denen der Verein "Mein Grundeinkommen" per Losverfahren dieses Geschenk zugesprochen hat; das Geld haben viele Privatleute gespendet, weil sie die Idee des "bedingungslosen Grundeinkommens" - kurz BGE - gut finden und dafür werben wollen.

Weil man herausfinden will, was dieses regelmäßige Mehr an Geld mit den Menschen macht, mit ihrem Balanceakt zwischen Arbeit und Leben. Und natürlich hat die Idee gewaltig Auftrieb bekommen in diesen unsicheren Corona-Zeiten. Immer mehr Vereine und Initiativen nehmen sich des Themas an. So auch das "Pilotprojekt Grundeinkommen", das nun erstmals eine Langzeitstudie über drei Jahre startet. Darin wollen die Forscher herausfinden, wie ein bedingungsloses Grundeinkommen auf die Empfängerinnen und Empfänger wirkt. Ab dem 1. Juni erhalten 122 Menschen jeden Monat 1200 Euro, für eine Dauer von insgesamt drei Jahren.

Grundeinkommen ist Bestandteil des Grünen-Grundsatzprogramms

Der Bundestag hat sich erst Ende Oktober mit einer Petition befasst, die ein zeitlich befristetes Krisen-Grundeinkommen von 550 Euro vorschlug - das Scheitern war absehbar, trotz der mittlerweile fast 500.000 Unterschriften. Selbst die Linke war dagegen, Katja Kipping, eigentlich eine Befürworterin der Idee, bezeichnete diese Form der Krisenhilfe als Umverteilung von "unten in die Breite".

Einen Monat später schaffte es das Grundeinkommen ins Grundsatzprogramm der Grünen, gegen den Willen der Parteiführung. Sozialleitungen sollen "Schritt für Schritt zusammengeführt und langfristig soll die Auszahlung ins Steuersystem integriert werden", heißt es nun bei der möglichen künftigen Regierungspartei.

Neid ist ein emotionaler Faktor in der Debatte

Was also können wir von Claudia S. lernen? Zunächst vielleicht: Die Angst vor Neid ist groß. Obwohl der Verein "Mein Grundeinkommen" ja werben will, kamen Interviews mit zwei weiteren vorgeschlagenen Gewinnern nicht zustande. Auch Claudia S. möchte anonym bleiben, darum haben wir ihren Namen geändert. Sie hat nur engen Freunden von den 12.000 Euro erzählt. "Es war uns irgendwie auch peinlich", sagt sie.

"Vielen Leuten macht die Grundidee Angst. Klar gibt es Leute, die das Geld anlegen oder vershoppen würden. Vielleicht würden auch einige gar nicht mehr arbeiten. Eine Mutter von fünf Kindern könnte 1000 Euro bekommen oder der Zahnarzt, der stattdessen eine Hundeschule aufmacht. Aber ein bisschen Verwirklichung ist ja auch nicht verkehrt ... Es ist nur wahnsinnig schwierig, darüber zu reden. Ohne Neid."

Entlohnung ohne Arbeit

Und vielleicht ist das jenseits aller wirtschaftlichen Überlegungen die emotionale Grundlage der Debatte. Natürlich erregt Entlohnung ohne Bedingung, also auch ohne Arbeit, die Gemüter. Dennoch geben einige Gewinner auf der Internetseite des Vereins so unverblümt wie knapp Auskunft, was sie anstellen wollen mit dem Geld: "Mehr Zeit für Dinge, die mir wichtig sind", schreibt Nadja. "... mehr Zeit mit der Familie verbringen", will "Eis Tanja".

Das würde auch Claudia S. unterschreiben: "Mein Ziel war es, bei meinen Kindern nicht mehr nein sagen zu müssen." Die Familie hatte eine "schwere Zeit", sagt sie. Der Mann verdient zwar nicht schlecht, hatte aber einen Bandscheibenvorfall und konnte monatelang nicht arbeiten, dann kam Corona. Claudia S. hat mal Bürokauffrau gelernt, räumt nun Regale im Supermarkt ein und putzt, sie zahlt noch Schulden aus einer vorhergehenden Beziehung ab. Und mit drei Kindern bleibe nicht viel übrig. 

"Als wir gewonnen hatten, waren wir sehr ruhig, wie geschockt. Glücklich kann man nicht sagen ... Aber froh, dass ich jetzt nicht sagen muss: Du kriegst die Schuhe erst nächste Woche. Wir haben nichts weiter geändert, wir sind nur sorgenfreier. Die Stromnachzahlung war kein Problem. Unsere Kinder wissen alle, dass man mit dem leben muss, was da ist. Aber als eines nun eine etwas teurere Jacke haben wollte, habe ich auch mal ja gesagt. Es nimmt einem die Last von den Schultern."

Nur ein schöner Mitnahme-Effekt? 

Macht das Grundeinkommen also doch "nur" das Privatleben ein bisschen leichter und schöner? Vielleicht, aber das sei nicht wenig, findet Claudia S. "Ich habe ein, zwei Arbeitskollegen, die keinen für die Kinder haben. Und welche, die doppelt und dreifach rangeklotzt haben, weil der Mann durch Corona den Job verloren hat. Ich habe mir plötzlich keinen Kopf mehr darum machen müssen. Gerade in dieser Zeit hat mich das leichter gemacht." 

Auch Claudia S. glaubt, dass einige nicht mehr arbeiten gehen würden mit dem BGE. Glaubt aber auch dass deren Anteil nicht wesentlich steigen werde. Schließlich ist das Arbeitslosengeld II bereits eine Grundsicherung, wenngleich mit Bedingungen. "Ich war ein Jahr abhängig von Hartz IV. Wenn jemand sagt, er lebt gerne davon, dann verstehe ich das nicht. Ich möchte da nie wieder hin. Es war erniedrigend."

Was "dm" mit Tesla gemein hat

Über das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) wird seit Jahren diskutiert, doch gemeint ist nicht immer dasselbe. Befürworter wie der Philosoph Richard David Precht gehen davon aus, dass sich ein BGE durch eine Finanztransaktionssteuer finanzieren ließe. Telekom-Chef Timotheus Höttges schlägt vor, die Gewinne großer Internetkonzerne zu besteuern. Dutzende Chefs aus dem Silicon-Valley gehören ebenfalls zu den Befürwortern, etwa Facebook-Gründer Mark Zuckerberg oder Tesla-Tausendsassa Elon Musk. Aber auch deutsche Manager wie Siemens-Chef Joe Kaeser oder dm-Gründer Götz Werner halten es für unvermeidlich.

Letzterer schlägt eine schrittweise Einführung vor, finanziert durch eine Zusammenfassung aller bisher existierenden Sozialleistungen. Außerdem sollen alle Steuern, Beiträge und Abgaben durch eine Konsumsteuer ersetzt werden. Andere wollen das BGE etwa bei öffentlichen Angestellten aufs Gehalt anrechnen oder allgemein wie einen Steuerfreibetrag behandeln. Der Wegfall von Bürokratie, Prüfungen und Amtsterminen ist für viele Befürworter der eigentliche Charme des BGE. 

Ein Konzept für die Digitalisierung?

Lediglich bei den Hauptargumenten besteht Einigkeit: Die Digitalisierung kostet angeblich Arbeitsplätze. Wenn Roboter die Jobs übernehmen sollten, dann müsse man die Menschen anders am gesellschaftlichen Erfolg beteiligen. Ein Sockeleinkommen gäbe Sicherheit und somit gedankliche Freiheit, sich interessanterer, kreativerer Arbeit zu widmen. Freilich ist dies auch das zentrale Gegenargument. Würden sich dann nicht allzu viele Menschen dafür entscheiden, nicht mehr das Bruttosozialprodukt zu steigern?

Gewerkschaften (Verdi, IG Metall und DGB) sprechen sich gegen das BGE aus: Wenn Vermögende und Arme die gleichen Leistungen bekämen, sei das nicht sozial. Das Gießkannenprinzip sei auch nicht wirtschaftlich. Ein BGE würde nur eine Mindestversorgung bieten. Insbesondere Arme wären bei gleichzeitigem Wegfall von Leistungen, die auf ihre Lebenssituation zugeschnitten sind, nicht besser, sondern schlechter abgesichert. Dies bestärke die Ungleichheit in der Gesellschaft.

Eine Billion Euro pro Jahr - je nach Konzept

Würde man ein BGE mit nur 1000 Euro monatlich einführen, müssten knapp eine Billion Euro pro Jahr gegenfinanziert werden, rechnet Holger Schäfer vom Institut der deutschen Wirtschaft vor (IW Köln) vor. „Zum Vergleich: Hartz IV kostet ungefähr 40 Milliarden.“ Ohne eine gewaltige Steuererhöhung ginge das nicht. Ein „gigantisch aufgeblähter Sozialstaat“ wäre die Folge, glaubt Schäfer. „Das bedeutet mehr Unfreiheit, da die Menschen Selbstverantwortung abgeben.“ Unabhängig von der Frage, ob die Empfänger nun weiterarbeiten oder nicht, sieht Schäfer eine Gefahr bei der Motivation der dann höher besteuerten Nettoeinzahler: „Ich würde erwarten, dass es viel weniger Anreize gibt, zusätzliches Einkommen zu erzielen.“

Es gab einige Modellversuche zum Grundeinkommen, etwa in Finnland und Kanada. Derzeit führt das DIW Berlin mit dem Verein „Mein Grundeinkommen“ eine Studie durch mit 120 Teilnehmern, die über drei Jahre 1200 Euro monatlich bekommen. Doch es sei fast unmöglich Schlüsse aus solchen Experimenten zu ziehen, sagt Holger Schäfer. Birger Priddat pflichtet ihm bei. Der Ökonom und Philosoph der Uni Witten/Herdecke sagt: „Solche Experimente sind zeitlich begrenzt. Auch das Sozialrecht gilt parallel unverändert weiter. Aber BGE heißt: Ich kann mich entscheiden, wie ich mein Leben leben will.“

Corona befördert die Debatte, aber die Chancen scheinen zu sinken

„Nach Corona sinkt die Chance, weil wir so hoch verschuldet sind, dass wir uns dieses System gar nicht leisten können“, glaubt Priddat. Er weist auf einen inneren Widerspruch hin: „Viele Befürworter sind irgendwie antikapitalistisch. Sie wollen diesen Kapitalismus, der die Leute zur Arbeit zwingt, aufgeben. Aber im Grunde müssen sie den Kapitalismus stärken, damit genügend Wertschöpfung für die Finanzierung da ist.“ Eine sinnvolle Alternative sieht Priddat in Modellen wie dem norwegischen staatlichen Pensionsfonds, mit dem die Altersvorsorge über den Kapitalmarkt generiert wird - außerhalb des Staatshaushaltes.

Auch das Experiment des Vereins "Mein Grundeinkommen" ist befristet, darum sind die Erkenntnisse kaum verallgemeinerbar. Doch für Claudia S. jedenfalls hat ihr Gewinn womöglich eine nachhaltige Wirkung: "Ich wollte eigentlich immer Jura studieren und Richterin werden. Dafür ist es nun zu spät", sagt Claudia S. "Aber ich wollte immer zumindest mein Abitur nachholen." Es arbeite noch in ihr, sagt sie, aber die Energie, sich auf diese Idee einzulassen, habe sie erst jüngst wiedergefunden.