Zuviel Ware, zu schlecht die Qualität. Mit Altkleidern ist kein Geschäft mehr zu machen. Das könnte für die Bürger teuer werden.
Essen/Dortmund. Voll wäre untertrieben. Seit Monaten quellen die Altkleider-Container im Revier über. Corona hat das Problem noch einmal verschärft. „Im Lockdown misten die Leute aus“, weiß Petra Hartmann, Sprecherin der Dortmund Entsorgung GmbH (EDG). „Es war schon vorher viel, aber im vergangenen Jahr ist die Menge noch einmal stark gestiegen“, bestätigt Thomas Ahlmann, Sprecher des in Essen sitzenden Dachverbandes „FairWertung“, einem bundesweiten Zusammenschluss von gemeinnützigen Organisationen und Einrichtungen, die Kleidersammlungen durchführen.
Großes Angebot drückt die Margen
Rund 1,3 Millionen Tonnen an Kleidern, Hemden, Hosen, Blusen, T-Shirts Jacken oder Mäntel landen jedes Jahr im Container – viel mehr, als für karitative Zwecke vor Ort benötigt wird. Und das große Angebot drückt die Margen. Die Verwerter, bei denen die Sachen am Ende landen, haben Schwierigkeiten, vernünftige Preise beim Weiterverkauf zu erzielen“, weiß Ahlmann.
Zumal die Qualität der Ware stetig sinkt. Für wenige Cent in Asien produziert und für ein paar Euro in Billigläden verkauft, überleben viele Textilien oft nicht mehr als ein oder zwei Wäschen. „Fast-Fashion“ heißt das etwas verharmlosend in der Branche. „Rund 45 Prozent der gesammelten Textilien sind nicht mehr tragbar – mit steigender Tendenz“, hat Ahlmann die dazu passenden Zahlen.
Nicht mal mehr als Putzlappen zu gebrauchen
Und immer öfter ist in der Kleidung so viel Plastik enthalten, dass sie nicht einmal als Putzlappen genutzt werden können. Erschwerend hinzu kommt, was die Branche „Fehlbefüllung“ nennt. Hausmüll, Farben- und Lackreste, ja auch Schlachtabfälle haben die Sammler schon in Containern gefunden. Eine „Querkontaminierung", die selbst Containerladungen unbrauchbar machen, die qualitativ gut sind. „Man kann es nicht verstehen“, sagt Petra Hartmann.
Was auf den ersten Blick wie ein privatwirtschaftliches Problem der Verwerter klingt, hat größere Folgen. Denn je tiefer die Preise fallen, desto weniger bekommen die Städte dafür, dass sie Container aufstellen, die alte Kleidung einsammeln und zu den Sortierern bringen.
Abgabe nur noch im Recylinghof
In Dortmund werden deshalb die 331 Container der Stadt bis Ende März abgebaut. „Eine teure Wertstoffsammlung ohne Abnehmer aufrechtzuhalten“, so die EDG, „geht zulasten des Gebührenzahlers. Wir sind uns unserer Verantwortung bewusst und stellen die Alttextilsammlung daher weitestgehend ein.“ In Zukunft können die Dortmunder gut verwertbare Alttextilien gebührenfrei nur noch an den sechs Recyclinghöfen der Stadt abgeben.
Ahlmann kennt in NRW bisher keine andere Stadt, die so weit geht, weiß aber andernort von versiegelten Container. Richtig schwierig, weiß er auch, wird es dort, wo die Verträge zwischen Stadt und Verwerter auslaufen. „Es gibt keine Interessenten mehr, denn es lässt sich kaum noch etwas verdienen mit Altkleidern, wenn so viel Ausschuss in jedem Container ist.“ Zumal der Transport nach Afrika, wo ein Großteil der Ware in der Regel hingeht, so teuer ist wie nie. „Überseecontainer sind derzeit echte Mangelware.“ Konkurrenten dagegen nicht. „In letzter Zeit drängen die Chinesen auf den Markt.“
Lager quellen förmlich über
Etwas einfacher haben es da bisher noch die gemeinnützigen Sammler, die die Textilien nicht an Dritte verkaufen, sondern selbst sortieren und in ihren eigenen Kleiderkammern und Sozialkaufhäusern anbieten. „Aber auch wir stellen eine immer schlechtere Qualität fest“, sagt Dominik Schreyer vom Mülheimer Diakoniewerk Arbeit und Kultur. Trotzdem platzen die im Lockdown geschlossenen Einrichtungen von DRK, Caritas & Co. in den meisten Fällen aus allen Nähten. Die Mengen sind im vergangenen Jahr gestiegen, sagt Schreyers Kollegin Monika Otto.
Schnelle Entspannung der Lage ist unwahrscheinlich. Geschätzt rund 500 Millionen Kleidungsstücke liegen derzeit in den Läden und Lagern der Textilbranche – darunter Winterware, die schnell raus muss. Viele Branchen-Experten rechnen mit „der größten Rabattschlacht, die Deutschland je erlebt hat“ und nur Monate später mit einem weiteren Ansteigen der Altkleidermenge. „Wenn das so weiter geht“, warnt Schreyer, „bricht das System zusammen.“ Die Caritas sei zwar nicht gewinnorientiert. „Aber wir können auch auf Dauer nicht immer dazu schießen.“ Die Umsätze aus dem Altkleiderhandel seien ein wichtiger Teil der Finanzierung vieler Einrichtungen.
Konsumverhalten muss überdacht werden
„Wenn wir nicht kurzfristig ein Stück weit unser Konsumverhalten überdenken“, warnt Ahlmann dann auch, „wird man sich fragen müssen, wer für die Entsorgung minderwertiger Textilien aufkommt.“ Und er ahnt auch, wie die Antwort lauten könnte. „Sollte sich nichts ändern, werden die Menschen irgendwann für die Entsorgung ihrer alten Kleidung zahlen müssen.“