Dortmund/Gelsenkirchen. Taser sind umstritten, weil sie töten können. Die Polizei in NRW testet nun auch in Dortmund und Gelsenkirchen Elektroschockpistolen.

Ein Schock für die Unterwelt, die Polizei in NRW schießt nun mit Tasern. Auch wenn die Elektroschockpistolen nicht so heißen sollen, Taser ist wie Tempo - ein Markenname. "Distanz-Elektroimpuls-Gerät sagt der fachsprachlich geschulte Polizeivollzugsbeamte oder kurz DEIG, aber selbst Innenminister Herbert Reul (CDU) gesteht bei der Vorstellung des Pilotprojekts in Dortmund zu: "Allein das Wort könnte ein Hindernis sein, das Gerät einzuführen. Dabei ist der Taser bereits im Duden angekommen, so lange wird bereits über seinen Einsatz in Deutschland diskutiert." Nun startet also auch NRW eine einjährige Testphase, bei der sich 400 Streifenpolizisten in Dortmund, Gelsenkirchen, Düsseldorf und im Rhein-Erft-Kreis 70 Elektroschockpistolen teilen.

Wer ins Visier eines "Taser 7" gerät - so wie der Pappmann vor Einsatztrainer Philipp Kremer bei der Vorführung in Dortmund - der wird sich hoffentlich über die zwei Laserpunkte erschrecken, die über seinen Körper tanzen, ein grüner im Brustbereich und ein roter weiter unten ... aua. Auch knattern kann der signalgelbe Taser zur Abschreckung schon vor dem Schuss und ein Warnlichtbogen umspielt die Mündung. Diese Art Schockwirkung ist erwünscht, soll dem Polizisten einen machtvolleren Auftritt verschaffen und den Gewalteinsatz vermeiden helfen, wirbt auch Hersteller Axon unter der Überschrift "Selbstbewusst handeln". Aber wenn Philipp Kremer dann doch schießen muss, knallt es, zwei Pfeile fliegen geradlinig an ihren Drähten auf "das polizeiliche Gegenüber" zu, maximal acht Meter weit, bohren sich auch durch die wattierte Winterjacke, kleine Widerhaken graben sich in den Körper, und es setzt maximal 50.000 Volt.

Die Kleidung bleibt "leicht perforiert"

"Taser, Taser, Taser, Taser", ruft Kremer, während seine Waffe fünf Sekunden lang knattert. So lange dauert auch der Stromschock, der jeden Bewegungsimpuls aus dem Gehirn überlagert. Den Imperativ des Tasers fasst Projektleiter Bastian Marter gut zusammen: "Muskeln verriegeln, hundert Prozent, jetzt." Der Pappmann in der zugigen Trainigshalle nimmt es ungerührt hin, eine Zielperson würde den wohl schmerzhaftesten Krampf ihres Lebens bekommen und einfach umfallen. Damit das funktioniert, müssen beide Elektroden sitzen, aber der Polizist hat einen weiteren Schuss mit zwei Pfeilen frei. Ein Gerät kostet übrigens rund 1400 Euro, ein Schuss schlägt mit 40 Euro netto zu Buche, so Marter vom Landesamt für zentrale polizeiliche Dienste (LZPD) in Duisburg, eine "leichte Perforation" der beschossenen Kleidung bleibt auch leider nicht aus.

Nun ist das Gerät aus US-Serien und dort auch im Polizeialltag bereits seit einem Vierteljahrhundert bekannt. Auch in Deutschland nutzen Spezialeinsatzkommandos den Taser seit 2000. Die Gewerkschaft der Polizei macht in NRW schon länger Druck, die Waffe einzuführen, zumal Rheinland-Pfalz, Hessen und Berlin ihre Testphasen längst abgeschlossen haben. Dort sollen die Schocker in diesem Jahr flächendeckend zum Einsatz kommen. Bayern stockt schrittweise auf. Die Bremer Regierung zum Beispiel kann sich noch nicht dazu durchringen und hat in dieser Woche die Verlängerung um ein drittes Testjahr beschlossen. Tatsächlich soll der Taser überall die gewünschte abschreckende Wirkung erzielt haben: Viermal angedroht, einmal geschossen, so kann man es grob zusammenfassen.

Der Einsatz ist dennoch hoch umstritten, weil die Elektroschocks unter ungünstigen Umständen eben doch tödlich wirken können. Tatsächlich sind während der verschiedenen Testphasen bereits vier Menschen nach Taser-Einsätzen gestorben: ein randalierender Mieter in Nürnberg; ein psychisch Kranker in Pirmasens, den die Polizei ins Krankenhaus transportieren sollte und der sich wehrte; ein Frankfurter unter ähnlichen Umständen; und ein Mann in Fulda, der seinen Mitbewohner mit scharfer Waffe bedrohte und einen Polizeihund erschoss. Er starb zwei Wochen nach dem Taser-Beschuss im Krankenhaus. Herzversagen.

Zwischen Pfeffer und Pistole

Auch darum wohl sagt Thomas Roosen, Direktor des für die Beschaffung zuständigen LZPD auf die Frage nach der Notwendigkeit eines weiteren Testlaufs: "Man kann sehr viel lesen, es geht nichts darüber, selbst Erfahrungen zu machen." Die Erkenntnisse der anderen Bundesländer seien "nicht zwingend aussagekräftig" für NRW. Alle Polizisten, die Taser mitführen, sind geschult worden. Zum Beispiel sollen sie bei gebrechlichen Personen, bei Schwangeren und Kindern unter 14 den Taser keinesfalls einsetzen. Und natürlich auch dann nicht, wenn Herzerkrankungen bekannt sind.

Ohnehin, so viel ist klar, eignet sich der Schocker nur für "statische Einsatzsituationen", hat ein interner Test beim LZPD ergeben. Läuft ein bewaffneter Angreifer auf Polizisten zu, ist die Gefahr zu groß, dass eine der beiden Elektroden daneben geht. Damit ist wohl weiter die Schusswaffe gefragt. Pfefferspray wirkt kaum bei Betrunkenen und Menschen unter Drogen, der Schlagstock funktioniert nur aus nächster Nähe, die Pistole fügt in der Regel schwere Verletzungen zu. Der Taser, so die Hoffnung, soll diese Einsatzlücke füllen. "Er wird aber nie die Waffe ersetzen können", so Reul.

Dortmund will seine 14 Testgeräte in der Polizeiwache Nord konzentrieren. Sie kommen also im Problempflaster Nordstadt zum Einsatz, wo die Kriminalität sich zwar in fünf Jahren halbiert hat. Allerdings geschehen in dem Viertel mit seinen fast 60.000 Einwohnern noch immer so viele Raubüberfälle wie in Bochum und Herne (520.000 Einwohner) zusammen. Vor allem aber nahm der Widerstand und die Gewalt gegen Polizisten im gleichen Zeitraum zu, in Dortmund etwa um die Hälfte, im ganzen Land um fast ein Drittel. Etwa jeder dritte Polizist in NRW hat 2019 Gewalt erfahren, erklärt Innenminister Herbert Reul. Er hoffe, dass der Tasereinsatz "den Arbeitsalltag sicherer" mache. Jeder Einsatz aktiviert auch die Bodycam und wird aufgezeichnet. Bis zum Frühjahr 2022, ein halbes Jahr vor der nächsten Landtagswahl, soll eine Entscheidung fallen über eine landesweite Einführung entschieden, das würde bis zu 61 Millionen Euro über fünf Jahre kosten.

>> Info: Stürze und Feuer

Da die Muskeln der Zielperson versagen und sie einfach umkippt, besteht auch die Gefahr eines tödlichen Sturzes. Durch den Stromstoß kann Kleidung Feuer fangen. Laut Hersteller Axon sind seit Erfindung des Geräts vor einem Vierteljahrhundert 26 Todesfälle durch Stürze und Feuer bekannt geworden, hat eine Anfrage der Deutschen Welle ergeben. Laut Nachrichtenagentur Reuters sind in den USA in diesem Zeitraum etwa 1000 Menschen nach Taser-Beschuss gestorben.