Bochum. Corona schlägt auch auf das Gehirn durch, sagen Neurologen der Uniklinik Bochum. In einer Sprechstunde wollen sie das untersuchen.

Normal, dass man „nach Corona platt“ ist, haben sie gesagt. „Normal“, dass die Beine von der Infektion noch zittern, dass die Arme schwer sind wie Blei, und mittags müde wird doch jeder! Aber es ist nicht normal. Nach einem Jahr mit Covid-19 ahnen Ärzte, dass das Virus auch im Gehirn seine Spuren hinterlassen kann. Im Bochumer St. Josef-Hospital richten Neurologen für die Patienten dafür nun sogar eine eigene Sprechstunde ein.

Freitag, der 13., sei „nicht so mein Tag“, sagt Cerem Gürbüz zwei Monate später; es war im November, als sie plötzlich darniederlag: Fieber, Abstrich, Corona. „Ein Schock“, sagt die 21-Jährige, sie hatte doch immer aufgepasst, sich an alle Regeln gehalten. Nur, wie macht man das als Auszubildende zur Medizinischen Fachangestellten, sie hatte Patientenkontakt, aber vielleicht war es auch der Papa. Jedenfalls war die ganze Familie krank, Vater, Mutter, Schwester.

Schmerzen beim Atmen, "ich war komplett k.o."

Cerem Gürbüz neigt nicht zum Dramatisieren, sie erzählt sehr nüchtern von den Gliederschmerzen, dem Geschmacksverlust, von viel Schlaf und wenig Appetit und wie ihr der Rücken wehtat beim Atmen. „Es ging mir sehr schlecht, ich war komplett k.o..“ Einen Tag mehr, einen Tag weniger, einmal hat sie geweint, weil sie Angst hatte, „dass es nicht gutgeht“. Die Bochumerin hat Asthma, ihre Schwester auch.

Es ist gutgegangen, allein, es geht ihr noch nicht wieder gut.

Eigentlich gesund, aber die Energie fehlt

Vier Wochen war Cerem Gürbüz krankgeschrieben, und immer noch ist sie müde, „sehr schlapp“, abgeschlagen. „Keine Energie“, der Mama geht es auch so. Cerem schläft schlecht, das Treppensteigen fällt ihr schwer, nach der Arbeit legt sie sich am liebsten hin. Wenn sie gipsen muss im Krankenhaus, kann sie manchmal das Material nur mühsam stemmen. „Früher habe ich viel Sport gemacht“, sagt sie, früher -- als sei sie nicht erst 21.

"Als sei der Stecker aus der Dose gezogen"

Prof. Ralf Gold nickt verständnisvoll. Der Direktor der Universitätsklinik für Neurologie im St. Josef-Hospital weiß, dass die Symptome „keine Einbildung“ sind. Er weiß auch, was die Leute reden: Dass sie auch manchmal müde sind und gerade nach dem Mittagessen…. „Von denen, die das nicht haben, wird es gern totgeredet“, aber tatsächlich seien Menschen nach einer Corona-Infektion oft „nicht mehr so belastbar“. „Das ist auch keine Stimmungsstörung.“

Zwar ist ein Angriff der Sars-Viren direkt auf das Gehirn „gottseidank die Ausnahme“, aber Forscher wissen inzwischen: Auch das Nervensystem leidet. „Die durch Covid-19 ausgelösten Entzündungsstoffe“, sagt Prof. Gold, „zirkulieren noch lange im Körper und haben häufig Effekte auf das Gehirn.“ Der erfahrene Neurologe kennt das etwa von Multipler Sklerose: Eine Entzündung, die im Körper schwelt, kann auch Zellen im Stammhirn angreifen – und dort Störungen bei der Belastbarkeit, aber auch der Merkfähigkeit auslösen. Bei Lungenentzündungen, durch das Corona-Virus meist verursachte Erkrankung, „haben wir solche Folgen nicht“. Hier aber sei es, weiß Gold von ehemaligen Covid-Patienten, „als sei der Stecke aus der Dose gezogen, das Gehirn braucht eine Ladepause für neue Energie“.

Entzündungsstoffe erkennen und neutralisieren

In Bochum wollen sie das Phänomen erforschen und natürlich auch behandeln – und das scheint notwendig: Denn die Krankheitsfolgen könnten aus Sicht der Wissenschaftler sonst bleiben. Die Entzündungsstoffe also müssen erkannt, neutralisiert und die Reaktionen des Körpers abgedämpft werden, so Gold. „Sie neigen sonst dazu, chronische Zustände zu hinterlassen.“

Die Müdigkeit, das sogenannte „Fatigue“, dürfe aber „nicht zur Dauerbelastung werden“. Zumal in der heutigen Gesellschaft Ausdauer und Konzentration oft wichtiger seien als Muskelkraft. Und der „Belastungsknick“ auch die Lebensfreude, den Spaß am Beruf dämpfen kann. Cerem Gürbüz hat daran noch gar nicht gedacht. „Ganz fit sind wir alle noch nicht“, sagt sie und dass sie sich „nicht mehr so stark“ fühlt, das aber erklärte sie sich durch die Schwere der Infektion. Prof. Gold kennt solche Gedanken seiner Patienten: „Ich habe überlebt, wahrscheinlich bin ich sogar immun – aber warum bin ich nicht wieder so wie vorher?“ Die Patienten wüssten aber gar nicht, wohin sie mit ihren Sorgen sollen.

Eigene Sprechstunde für Post-Corona-Patienten

Das wollen sie in Bochum jetzt ändern: Ab Dienstag können Menschen, die Corona überstanden, aber immer noch Probleme haben, in eine eigene Sprechstunde kommen. Mit Fragebögen und gezielten Untersuchungen versuchen die Neurologen dann herauszufinden, wo die Entzündungsstoffe immer noch wüten und mit welchen Therapien man sie bremsen kann. „Wir sehen den Bedarf“, sagt Prof. Ralf Gold. Er sieht ihn auch bei Cerem Gürbüz, und er hat sie gleich eingeladen. Die 21-Jährige wird hingehen, bestimmt.

>>INFO: EIGENE SPRECHSTUNDE STARTET DIENSTAG

Die neurologische Sprechstunde für Patienten nach Corona startet am Dienstag, 19. Januar. Eine Überweisung des Hausarztes oder eines niedergelassenen Neurologen ist notwendig. Die akute Infektion sollte mindestens vier Wochen zurückliegen.

Patienten können sich vorab an die Neurologen des St. Josef-Hospitals wenden: Telefon 0234 - 509 2420 oder Mail corona.neuro@klinikum-bochum.de.

>>AUCH ESSEN GEHT DEN SYMPTOMEN AUF DEN GRUND

Genau beobachtet wird das Phänomen der neurologischen Symptome nach oder im Verlauf einer Covid-19-Erkrankung auch an der Uniklinik Essen. Gemeinsam mit der medizinischen Fakultät der Universität Münster wurde das als Neuro-Covid bekannte Phänomen analysiert. Darin konnte nachgewiesen werden, dass die Immunabwehr im Nervensystem bei den stationären Corona-Patienten geschwächt war.

Dazu wurden 102 an der Uniklinik Essen behandelte Covid-19-Patienten gezielt untersucht: In rund 60 Prozent der Fälle konnten Symptome wie etwa Müdigkeit und Abgeschlagenheit nachgewiesen werden. „In 13 Prozent der Fälle kam es sogar zu einem Schlaganfall“, sagt Prof. Christoph Kleinschnitz, Direktor der Klinik für Neurologie.

Um der wachsenden Zahl von Patienten mit Post-Covid-Symptomen gerecht zu werden, ist auch in Essen eine Sprechstunde eingerichtet worden. Patienten können sich zur Terminvereinbarung an Kleinschnitz wenden, Telefon 0201 723 24 61, Mail christoph.kleinschnitz@uk-essen.de. JeS