Viele Wirte sind gegen eine angeordnete Schließung ihrer Lokale versichert. Doch in Corona-Zeiten hilft ihnen das oft wenig.
Christian Bickelbacher ist gerne auf der sicheren Seite. „Ich wollte schon immer alles versichert haben, was geht“, sagt der Wirt, der in Bochum ein halbes Dutzend Gaststätten betreibt. Deshalb hat Bickelbacher auch eine Betriebsschließungsversicherung (BSV) bei der Allianz abgeschlossen – eine Versicherung also, die zahlt, wenn er ein oder mehrere Lokale schließen muss. Damit wähnt er sich auf der sicheren Seite, als im Frühjahr der Lockdown angeordnet wird. Rund 850.000 Euro, so hat er für seine Betriebe zusammengerechnet, seien nun fällig. Dann kommt Post von der Allianz.
Bei Vertragsabschluss dachte niemand an Corona
Nein, teilt ihm die Versicherung zu seinem „großen Erstaunen“ darin mit, sie werde nicht zahlen. Denn Corona sei in seinem Vertrag schließlich nicht explizit genannt. „Wie auch“, fragt der Wirt. „Als ich den Vertrag vor ein paar Jahren abgeschlossen habe, dachte kein Mensch an Corona.“ Bickelbacher ist kein Einzelfall.
Im ganzen Land ziehen Wirte gegen ihre Versicherung vor Gericht. Auch Günther Overkamp, Betreiber des gleichnamigen Dortmunder Traditions-Restaurants, hat trotz BSV bei der „Continentale“ bisher kein Geld bekommen. Nach Ansicht der Versicherung liegt gar kein Versicherungsfall vor.
Die Allianz zahle nur, wenn der Vertrag „individuelle Klauseln“ habe, sagt Christian Weishuber, Sprecher des Unternehmens. Allerdings hätte die überwiegende Anzahl der Verträge solche Klauseln nicht. Und selbst wenn Corona versichert sei, gelte die Versicherung nur für den Fall, dass in dem konkreten Betrieb eine Erkrankung auftrete, nicht bei einer präventiven, flächendeckenden Schließung. Zudem seien viele Restaurants gar nicht wirklich geschlossen worden, sondern hätten ihre Speisen ja außer Haus verkaufen können.
Es sind Aussagen, die die auf Versicherungsrecht spezialisierte Anwältin Annette Schwab, von der Berliner Kanzlei BMH Bräutigam ärgern. „Ausgerechnet in der Krise lassen die Versicherer ihre Kunden hängen“, sagt sie und berichtet von Gastronomen-Nachfragen aus dem ganzen Land. Die Chancen vor Gericht seien gut, eine Erfolgsgarantie aber gibt es nicht. „Dafür sind die einzelnen Verträge viel zu unterschiedlich.“
Gerichte urteilen völlig unterschiedlich
Das zeigen auch die ersten – noch nicht rechtskräftigen – Urteile. So hat das Oberlandesgericht in Hamm (Az. 20 W 21/20) im Juli einer Barbetreiberin aus Gelsenkirchen 27.000 Euro verwehrt, die sie nach Schließung ihres Betriebes aus dem BSV-Vertrag haben wollte. Die Aufzählung der versicherten Krankheiten und Krankheitserreger in ihrem Vertrag sei abschließend. Und Corona stehe da nun mal nicht drin.
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Ganz anders urteilte in der vergangenen Woche die auf Versicherungsrecht spezialisierte 12. Zivilkammer des LG München und sprach einem Gastwirt eine Million Euro zu (Az. 12 O 5895/20). Es sei Versicherungsnehmern nicht zuzumuten, die Liste in den Versicherungsbedingungen mit jener des Infektionsschutzgesetzes zu vergleichen, um herauszufinden, welche Krankheiten vom Versicherungsschutz umfasst seien. Und es sei auch nicht erforderlich, dass das Coronavirus in dem geschlossenen Betrieb aufgetreten sei. Manche Klauseln in den Geschäftsbedingungen der Versicherer, sagt auch ein Gutachten eines Münchner Professors, seien„nicht hinreichend eindeutig formuliert“. Das sei aber, so der Gutachter nicht das Problem der Kunden.
Viele Versicherungen machen den Betroffenen mittlerweile das Angebot, 15 Prozent der eigentlich im Versicherungsvertrag vereinbarten Summe ohne weitere Prüfung zu zahlen. Im Gegenzug müssen die Wirte auf alle weiteren Ansprüche aus der BSV verzichten. Begründet wird der geringe Betrag damit, dass sich der wirtschaftliche Schaden für die Wirte durch Kurzarbeitergeld, Soforthilfen von Bund und Land und ersparte Aufwendungen für Materialkosten ohnehin um rund 70 Prozent reduziert habe. „Kulanz“ nennen das die Versicherungen, für Fachanwälte ist es schlichtweg „Angst“ vor neuen Klagen.
Bis der Bundesgerichtshof entscheidet, kann es lange dauern
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„Lassen Sie die Finger davon“, rät auch Schwab den meisten ihrer Klienten, ahnt aber, dass die Versuchung für manchen Gastronomen groß ist. „Es gibt Kollegen, die brauchen gerade jetzt Geld“, weiß Bickelbacher. Ein Verfahren, das sich zieht, fürchtet auch Overkamp, „können viele Wirte nicht durchhalten“. Und bis der Bundesgerichtshof (BGH) entscheidet, kann es nach Schwabs Einschätzung „mehrere Jahre dauern“. „Über 75 Prozent unserer Kunden haben das Angebot angenommen“, bestätigt Allianz-Sprecher Christian Weishuber die Befürchtungen
Bickelbacher gehört nicht dazu. Er will die Allianz verklagen. Wenn nötig durch alle Instanzen. „Ich zieh‘ das durch“, kündigt er an, „ich habe eine Rechtsschutzversicherung.“
Auch bei der Allianz.