Solingen. 27-Jährige soll in Solingen fünf ihrer sechs Kinder getötet haben. Nach der Trennung von ihrem Mann war die Frau wohl “emotional überfordert“.
- Die Polizei hat nach einem Hinweis fünf Kinder tot in einer Wohnung in Solingen gefunden
- Tatverdächtig ist die Mutter (27), gegen sie wurde Haftbefehl erlassen
- Obduktion lieferte Hinweise, dass die Frau die Kinder erstickt haben soll
- Nach der Tat soll sie versucht haben, sich selbst zu töten
- Mögliches Motiv: Nach einer Trennung war die Frau wohl "emotional überfordert"
Fünf Kinder im Alter von einem bis acht Jahren sind tot, ein Elfjähriger überlebte. Die Tatverdächtige: die Mutter, 27 Jahre alt. Das Verbrechen von Solingen schockiert viele Menschen.
Update 5. September: Solingen trauert um fünf gewaltsam zu Tode gekommene Kinder - und viele Bürger wollen mit Spenden helfen. Am Samstagabend folgten schätzungsweise rund 800 Menschen einem Aufruf des Stadtteils Hasseldelle, um mit einer Schweigeminute der toten Kinder zu gedenken. „Der Tod von fünf Kindern trifft unsere Nachbarn, uns und die Hasseldelle ins Herz“, heißt es in einem Aufruf zur Lichterkette in dem Solinger Stadtteil Hasseldelle.
Stadt Solingen richtet Spendenkonto für Beerdigung der toten Kinder ein
Außerdem will die Stadt Solingen am Montag ein Spendenkonto einrichten, mit dem unter anderem die Beerdigung der fünf toten Kinder bezahlt werden soll. Über die sozialen Medien hätten sich zahlreiche Spendenwillige gemeldet, sagte am Samstag ein Stadtsprecher.
Update 4. September, Pressekonferenz von Polizei und Staatsanwaltschaft: Für die Ermittler der Mordkommission "Hassel" ist bislang die Mutter die einzige Tatverdächtige bei dem Verbrechen. Keiner der drei Väter kommt laut Polizei für die Tat infrage. Über den genauen Tatablauf kann die Polizei zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht viel sagen. Denn weder die 27-Jährige noch der überlebende Sohn konnten bis jetzt vernommen werden.
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Klar sei nur, dass der elf Jahre Marcel am Donnerstagmorgen ganz normal zur Schule gegangen, berichten die Ermittler in der Pressekonferenz. Später rief die Mutter in der Schule an und bat, Marcel wegen eines Todesfalls aus dem Unterricht.
Gemeinsam seien die beiden dann mit einem Zug nach Düsseldorf gefahren. Während Marcel weiter nach Mönchengladbach zu seiner Großmutter fuhr, stieg die 27-Jährige am Düsseldorfer Hauptbahnhof aus. In einem Gruppenchat soll der Elfjährige dann seinen Schulkameraden offenbar gegen Mittag mitgeteilt haben, dass all seine Geschwister tot seien.
Ob der Junge als einziger überlebt hat, weil er zum Tatzeitpunkt in der Schule gewesen sei, könne derzeit nicht genau gesagt werden, so Polizei-Einsatzleiter Robert Gereci. Ihn konnten die Ermittler auch aus rechtlichen Gründen noch nicht befragen. Da seine Mutter Beschuldigtenstatus habe, sei eine Befragung nicht ohne Weiteres möglich.
Genaue Todesursache noch unklar: Hinweise auf Ersticken
Vor ihrem versuchten Suizid am Düsseldorfer Hauptbahnhof habe die Frau in einem WhatsApp-Chat mit ihrer Mutter mehrfach betont, wie schlecht es ihr gehe. Außerdem habe sie gesagt: "Schick die Polizei in die Wohnung, die Kinder sind tot", schildert der Leiter der Mordkommission, Marcel Maierhofer bei der Pressekonferenz.
Was das Motiv angeht, kann die Polizei derzeit nur mutmaßen. Klar ist, dass das Ehepaar seit einem Jahr in Trennung lebt und es häufiger Streit gegeben haben soll, weshalb die Polizei auch bereits im Vorfeld der Tat in der Wohnung der Familie war. Die Ermittler gehen deshalb davon aus, dass die Frau ihre Kinder in einem "emotionalen Ausnahmezustand" umgebracht haben soll und sehen hier auch ein mögliches Motiv. Keiner der drei Väter gilt für Polizei und Staatsanwaltschaft als tatverdächtig.
Haftbefehl wegen fünffachen Mordes gegen Mutter erlassen
Der Leiter der Mordkommission teilte außerdem mit, dass die Kinder in ihren Kinderbetten lagen, als die Polizei dort eintraf. Anzeichen für scharfe oder stumpfe Gewalt am Tatort entdeckten die Polizisten nicht.
Die Obduktion ergab Hinweise auf ein Ersticken und auch auf ein Sedieren, berichtet der ermittelnde Staatsanwaltschaft nach der Obduktion. Das sage aber noch nichts über den Tatablauf aus. Auch stehen noch die toxikologischen Untersuchungen aus.
Man habe eine Frühstücksituation in der Küche vorgefunden. Schälchen standen noch auf dem Tisch, berichtet der Leiter der Mordkommission.
Offen ist auch noch, wann die 27-Jährige ihre fünf Kinder umgebracht haben soll. Aktuell geht die Polizei von einem Zeitfenster von Mittwochabend bis Donnerstagvormittag aus, in dem die drei Töchter Melina (1), Leonie (2) und Sophie (3) sowie der sechs Jahre alte Timo und acht Jahre alte Luca starben.
Gegen die 27-Jährige haben die Ermittler einen Haftbefehl wegen Mordes in fünf Fällen beantragt, so Staatsanwalt Heribert Kaune-Gebhardt. Die Frau ist nach dem mutmaßlichen Suizidversuch derzeit weder vernehmungs- noch haftfähig. Sie erlitt bei dem Suizidversuch schwere innere Verletzungen, die aber nicht lebensbedrohlich seien. Ob die 27-Jährige nun in ein Justizvollzugskrankenhaus kommt, ist noch ungewiss.
Im Vorfeld keine Anhaltspunkte für Kindeswohlgefährung
Vor der Tat habe es keine Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung gegeben. „Wir haben keinerlei Anhaltspunkte für irgendeine Auffälligkeit in der Familie“, so Staatsanwalt Heribert Kaune-Gebhardt. Zuvor hatte die Stadt Solingen mitgeteilt, dass die Familie dem städtischen Jugendamt vor der Tat bereits bekannt war. „Der Familie wurden von der Stadt Solingen erforderliche Unterstützungen gewährt. Das Jugendamt hat zusätzlich mögliche Hilfsangebote unterbreitet“, erklärte die Stadt. „Erkenntnisse zu Auffälligkeiten oder einer potentiellen Gefährdung der Kinder gab es zu keinem Zeitpunkt.“
Was ist passiert?
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In einem Mehrfamilienhaus im Solinger Stadtteil Hasseldelle hat die Polizei am Donnerstagmittag die Leichen von fünf Kindern entdeckt. Die 27 Jahre alte Mutter war nach Angaben der Polizei nicht in der Wohnung. Sie habe sich etwa eine Viertelstunde, bevor die toten Kinder entdeckt wurden, am Düsseldorfer Hauptbahnhof vor eine S-Bahn geworfen und werde schwer verletzt im Krankenhaus behandelt.
Eine Mordkommission ermittelt. Die Todesursache der Kinder werde im Rahmen der Ermittlungen und einer Obduktion geklärt, teilte die Polizei mit. Gegen Mitternacht wurden die Leichen der Kinder abtransportiert.
Wer sind die Opfer?
Die drei Töchter Melina (1), Leonie (2) und Sophie (3) sowie der sechs Jahre alte Timo und acht Jahre alte Luca starben. Der älteste Sohn der Frau, der elf Jahre alte Marcel, lebt und blieb körperlich wohl unverletzt. Vier der Kinder stammten aus der aktuellen Ehe der Frau. Die beiden älteren Söhne Luca und Marcel entstammen früheren Beziehungen der heute 27-Jährigen.
Was passierte mit dem Elfjährigen?
Der Junge hatte die Mutter zunächst zum Hauptbahnhof in Düsseldorf begleitet.Dann fuhr das Kind alleine weiter zu seiner Oma nach Mönchengladbach. Der Junge musste also den Suizidversuch seiner Mutter nicht mit ansehen. „Er befindet sich im sicheren Familienumfeld“, erklärte die Polizei.
Wer hat die Polizei alarmiert?
Die Großmutter der Kinder hatte die Polizei per Notruf nach einem Kontakt zu ihrer Tochter alarmiert. Weitere Informationen gab die Polizei bis zum Morgen nicht bekannt.
Wo ist die Tat passiert?
Alle fünf Kinder wurden in der Wohnung in einem Mehrfamilienhaus im Solinger Stadtteil Hasseldelle gefunden. Der Tatort liegt in einer Hochhaussiedlung, wie es es sie in vielen Städten der Region gibt. Wie ein Problemviertel, an das man zunächst denken mag, wirkt es dort aber nicht, berichtete unsere Reporterin vor Ort.
Was weiß man zum Motiv?
Noch nichts. „Was wann genau warum passiert ist, wissen wir noch nicht, nur, dass es eine sehr tragische Situation ist“, sagte ein Polizeisprecher am Donnerstagnachmittag. Die Mutter konnte bislang nicht befragt werden. Am Freitag wollen die Ermittler Nachbarn befragen und bei einer Pressekonferenz am Nachmittag über die Hintergründe des Falls informieren.
Profiler zum Verbrechen von Solingen: Warnzeichen womöglich nicht erkannt
Auch wenn im konkreten Fall noch viele Fragen offen sind: Der gewaltsame Tod von fünf Kindern in Solingen deutet nach Ansicht des Kriminalexperten Axel Petermann auf Hilf- und Perspektivlosigkeit der Mutter hin. Mögliche Warnzeichen für die Tat seien zudem womöglich wegen der Coronavirus-Pandemie nicht rechtzeitig erkannt worden, sagte Petermann der dpa. So sei beispielsweise denkbar, dass durch das Ausfallen von Schulunterricht und Kindergartenbetreuung Mechanismen nicht greifen konnten, die sonst Hilfe oder Unterstützung ermöglicht hätten.
Mütter als Mordverdächtige - wie oft kommt das vor?
Dass wie beim aktuellen Fall in Solingen eine Frau unter Tatverdacht stehe, sei außergewöhnlich, sagte Petermann, der Buchautor und Fallanalytiker ist. „Diese Gewalt bedeutet ja auch für jede einzelne Tötung einen neuen Entschluss.“ Die Konsequenz des Tatgeschehens sei für Mütter ungewöhnlich. „Ich zumindest habe das so nie erlebt“, so der Profiler. Häufiger seien es Männer, die im Rahmen eines erweiterten Suizids die eigenen Kinder töteten. Oft stehe dabei ein Streit um das Sorge- oder Besuchsrecht mit der Ex-Partnerin.
Was können Beweggründe sein?
Bei Männern komme als Motiv auch häufig eine Aggression gegen die Mutter der Kinder infrage. Die solle durch das Töten der gemeinsamen Kinder dann bestraft werden. Das hält Petermann bei einer Frau aber für unwahrscheinlich. Eher glaubt er, dass Mütter die eigene Perspektivlosigkeit auf die Kinder übertragen und ihnen das Leid ersparen wollen, das sie mit dem eigenen Leben verbinden.
Welche Rolle spielt der finanzielle Hintergrund für solche Taten?
Das Einkommen der Familie sei für eine solche Tat wohl weniger entscheidend. Das seien Taten, „die sich doch durch alle Gesellschaftsschichten ziehen können“, sagte Petermann. Es komme darauf an, inwieweit Menschen in ein soziales Netzwerk eingebunden seien und Ansprechpartner hätten. Ihn interessiere beispielsweise die Frage, ob die Frau von dem oder den Vätern bei der Erziehung der Kinder alleine gelassen wurde. (mawo/AFi/mit dpa)
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