Köln. Der Angeklagte im Missbrauchskomplex Bergisch Gladbach sagt unter Ausschluss der Öffentlichkeit aus – zum Schutz der Opfer im Kleinkindalter.
Vor dem Landgericht Köln hat am Montagvormittag der Prozess gegen den mutmaßlichen Haupttäter im sogenannten „Missbrauchs-Komplex von Bergisch Gladbach“ begonnen. Die Anklageverlesung dauerte rund anderthalb Stunden. Jörg L. werden 79 Fälle von Kindesmissbrauch vorgeworfen.
Der Prozess hätte bereits vor einer Woche beginnen sollen, doch der Gefangenentransport musste unverrichteter Dinge wieder umdrehen: Weil es im Landgericht Köln gebrannt hatte, fiel der erste Tag im Prozess gegen Jörg L. aus. Die Kameras vor dem Justizzentrum rückten wieder ab.
26-stöckiges Gebäude musste wegen Brand geräumt werden
Es roch nach Rauch im Hof des 26-stöckigen Gebäudes, Hunderte warteten in der prallen Sonne: Richter, Staats- und Rechtsanwälte, manche noch in der schwarzen Robe, Zeugen, freie Angeklagte, viele Journalisten, vor allem wegen Jörg L. gekommen.
Im Keller des Gerichts war in einer Klimakammer ein Kälteschrank explodiert, die Feuerwehr rückte an in vollem Atemschutz, das Gebäude wurde geräumt. Gelöscht war schnell, aber der Qualm, davon überzeugte sich der Landgerichtspräsident selbst, war bis in die Vorführzellen gezogen: in die Zimmer, in denen Untersuchungshäftlinge warten, bis ihr Prozess beginnt.
Nebenklage-Anwältin: „Außergewöhnlich heftige Vorwürfe“
Untersuchungshäftlinge wie Jörg L., der wie alle anderen an diesem Tag hier also nicht warten konnte. Bei dem 43-Jährigen begann, was die Ermittler inzwischen den „Missbrauchs-Komplex Bergisch-Gladbach“ nennen. Schon wieder einer mit einer „neuen Dimension“, wie in Lügde oder Münster. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm unter anderem vor, seiner erst 2017 geborene Tochter immer wieder sexuelle Gewalt angetan zu haben – schon als das Baby erst drei Monate alt war. Das habe er häufig fotografiert und gefilmt und die Aufnahmen an Chat-Partner weitergeleitet.
Seine damalige Partnerin, Mutter des Kindes, soll von den Taten nichts mitbekommen haben. Sie ist als gesetzliche Vertreterin des Opfers als Nebenklägerin am Prozess beteiligt. Rechtsanwältin Monika Müller-Laschet sprach vergangene Woche in Köln von „außergewöhnlich heftigen Vorwürfen“.
Zum Schutz der Privatsphäre ihrer Mandanten wollte sie sich nicht weiter äußern. Sie sei lediglich der „Lotse durch das schwere Gewässer dieses Prozesses“, dafür verantwortlich, die Opfer „heil hier hindurchzubringen, soweit das überhaupt möglich ist“. Dass die mehrere Dutzend Seiten starke Anklage so viele schreckliche Details enthalte, zeige, so Müller-Laschet, „dass sie gut gearbeitet ist“.
80 Verdächtige, 50 kleine Opfer
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Tatsächlich feiert sogar der Justizminister die Behörden dafür. Im Zuge der Ermittlungen stieß die Polizei neben Jörg L. auf immer mehr Männer, die mit dem Verdächtigen in Kontakt standen, mit ihm kinderpornografische Fotos, Filme und auch die Opfer austauschten. Die Rede ist inzwischen von bis zu 30.000 Spuren; gegen 80 Verdächtige wird allein in NRW ermittelt; 50 Kinder, die meisten im Kleinkindalter, sollen inzwischen aus den Fängen ihrer Peiniger befreit worden sein. Nach Angaben des Kölner Landgerichts werden allein dem gelernten Koch und Hotelfachmann insgesamt 79 Straftaten zur Last gelegt.
Jörg L. hat sich zwar bislang nicht zu den Vorwürfen geäußert, den Ermittlern aber wichtige Puzzleteile zur Aufklärung geliefert. Schnell hatte sich der Fall dadurch auf ganz Deutschland ausgeweitet, zuweilen verhaftete die Polizei mehrere Männer in einer Nacht. Für den heutigen Verhandlungstag hat er nun eine Aussage angekündigt. Die Öffentlichkeit durfte dabei nicht zuhören: Nach Verlesung der Anklageschrift wurden die Öffentlichkeit ausgeschlossen, während Jörg L. aussagt. Den Antrag hatte die Nebenklägerin gestellt, die die Tochter des Angeklagten vertritt - sie will das Mädchen schützen, wenn die vorgeworfenen Taten im Detail erörtert werden. Auch die Aussage der Mutter soll später unter Ausschluss der Öffentlichkeit erfolgen.
Mittäter aus Wesel bereits verurteilt
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Einen Teil der angeklagten Taten soll er der 43-Jährige gemeinsam mit einem Chat-Partner aus Wesel begangen haben. Dessen Fall wurde bereits im Mai vor Gericht verhandelt – als bislang erster aus dem Komplex: Der 27-Jährige wurde in Moers wegen schweren sexuellen Missbrauchs, sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen und der Herstellung von kinderpornografischen Schriften zu zehn Jahren Haft und der Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik verurteilt.
„Ich kann mich dafür nur entschuldigen, es hätte nicht passieren dürfen“, sagte er unter Tränen in einer ersten Reaktion. Der Weseler missbrauchte laut Urteil ab Mitte 2018 seine damals zweijährige Tochter, vergriff sich später an seinem Stiefsohn, seiner Nichte und der Tochter des nun Angeklagten Jörg L. – allesamt waren die Opfer Kleinkinder erst zwischen einem Jahr und fünf Jahren alt. Bilder davon stellte der ehemalige Soldat anderen Männern zur Verfügung. Bilder, die „aus dem Gedächtnis des Internets nie mehr zu entfernen“ sind, hielt die Staatsanwaltschaft ihm vor.
Männer sollen wechselseitig ihre Kinder missbraucht haben
Der 27-Jährige hatte sich selbst angezeigt und der Polizei offenbart. Trotzdem verging er sich wenig später im Haus seiner Mutter an seiner Nichte. „Ich wollte machen, was ich auf den Bildern gesehen habe“, sagt er vor Gericht. Der nun angeklagte Jörg L. soll zu ihm gesagt haben: „Wie schön es wäre, auch mal einen Jungen dabei zu haben.“ Mehrfach soll es zu Treffen zwischen den beiden Männern gekommen sein, bei denen sie wechselseitig ihre Kinder missbrauchten. Diese Fälle stehen nun auch in der Anklage gegen L.
Mögliche Strafe zwischen zwei und 15 Jahren
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Die Täter gingen laut Ermittlern in Gruppenchats mit Tausenden Nutzern und in Messengerdiensten wie selbstverständlich mit dem Missbrauch von Kindern um. „Die Selbstverständlichkeit, wie in diesen netzbezogenen Kommunikationsforen über Kinderpornografie und Missbrauch gesprochen wird, lässt erahnen, dass aufgrund des ständigen Darüber-Sprechens viele Beteiligte ihr Verhalten als normale sexuelle Präferenz empfinden“, sagte Markus Hartmann, Leiter der Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime NRW (ZAC NRW), die bei der Aufklärung hilft. Es gebe eine „gegenseitige Bestärkung, dass das ein akzeptables Verhalten ist“.
Im Falle einer Verurteilung drohen Jörg L. aus Bergisch Gladbach bis zu 15 Jahre Freiheitsstrafe. Zudem steht die Anordnung einer Sicherungsverwahrung im Raum. Bislang hat das Gericht Termine bis Ende September für den Prozess eingeplant.