„Deutschland ist fertig bebaut“, sagt Greyfield-Chef Timm Sassen aus Essen. Warum es klüger und gesünder ist, umzubauen, statt neu zu versiegeln.
Das Ruhrgebiet steckt voller Brachen. „Das ist kein Makel, sondern eine Riesenchance“, sagt Timm Sassen (43), Chef des Essener Immobilienentwicklers Greyfield. Er setzt auf neue Nutzungen im Bestand, sitzt mit
seinem Unternehmen und 20 Mitarbeitern selbst in einem eher schmucklosen 50er-Jahre Bau in der Essener City, den er von innen im coolen Industrielook veredelt hat. Sassen findet Umbauten klüger, als ständig neue Flächen zu versiegeln. Damit werde es bald sowieso vorbei sein. „Deutschland“, sagt Timm Sassen, „ist fertig bebaut.“
„Wir müssen zeigen, dass wir authentisch sind, und das sind wir“
Wenn man bei Ihnen auf das Industrieambiente mit nacktem Beton guckt, wollen Sie dem Kunden wohl schon signalisieren, worum es bei Ihnen geht.
Genau, wir machen ja das, was man hier sieht, wir wollen es für Kunden auch erlebbar machen. Wenn wir sagen, dass wir Brachen neu beleben und uns um Immobilien kümmern, an denen andere Investoren vorbeifahren, dürfen wir nicht in Düsseldorf im Glasturm sitzen. Wir müssen zeigen, dass wir authentisch sind, und das sind wir.
Von außen ist das in der Tat kein Prachtbau.
Ja, der Nutzungszyklus für dieses Haus war zu Ende. Wir haben es nach unseren Gesichtspunkten revitalisiert, das ist unsere Philosophie. Jetzt kommen Leute rein und fragen: Kann man das kaufen? Davor haben sie gesagt: Wie kann man sowas kaufen? Wir sehen uns Immobilien mit andern Augen an als der klassische Immobilienmensch. Wir blicken immer mit den Augen des Nutzers darauf, nicht mit denen des Investors.
„Wir müssen aufhören, Flächen zu versiegeln und lieber den Bestand nutzen“
Sie haben einmal gesagt, Deutschland sei fertig bebaut. Sollen wir jetzt etwa aufhören zu bauen?
Nein, wir hören ja auch nicht auf, zu bauen. Wir müssen aber aufhören, Flächen zu versiegeln und lieber den Bestand umnutzen. Wir haben so viel Bestand, alles ist ja schon da, wir aber hören nicht auf, zu versiegeln. Warum hebt man denn nicht das vorhandene Potenzial?
Weil es viele Hindernisse gibt?
Ja, das kenne ich, das geht alles nicht, es gibt Restriktionen, es gibt Altlasten und so weiter. Aber das ist ja
Quatsch. Solange es einfacher ist, eine grüne Wiese zu versiegeln und neu zu bebauen, werden wir das immer weiter tun. Deswegen muss es schwerer werden, dadurch wird der Fokus auf den Bestand erhöht. Für uns ist es ein Leichtes, im Bestand zu arbeiten. Man baut den Bestand um, das hat auch etwas mit Ressourcenneutralität zu tun. Dann sparen wir nicht nur das Grundstück, sondern auch Energie, weil wir Materialien nicht verschwenden. Die zweite Option ist, dass wenn wir abreißen müssen, benutzen wir so viel wie möglich an recycelten Baustoffen.
Wie kann man die fortwährende Versiegelung verhindern?
Das geht im Ernstfall natürlich auch mit der harten Keule: Man kann es verbieten. Die Ziele gibt es doch schon seit mindestens 20 Jahren: Mehr als 20, aktuell 30 Hektar am Tag sollten nicht versiegelt werden. Es sind in Deutschland aktuell leider 56 Hektar. Die Ressource Fläche wird aber immer knapper. Wir haben einen Green Deal in Europa, und der wird auch auf Immobilienentwicklung heruntergebrochen. Sie brauchen ja Grünflächen für Co2-Neutralität, also wird es irgendwann auch eine rechtlich schärfere Betrachtung geben, und es wird nicht mehr so leicht sein, zu versiegeln. Es gibt ja schon Vorzeigeregionen wie Flandern mit einem Null-Hektar-Ziel. Freiwillig, weil es so nicht mehr weitergeht. Ob ich das noch erlebe, weiß ich nicht, aber meine Kinder auf jeden Fall. Es wird auch in Deutschland ein Null-Hektar Ziel kommen.
„Wir müssen dafür werben, dass die Chancen im Bestand viel größer sind als die Risiken“
Unternehmen klagen aber doch gerade im Ruhrgebiet immer wieder, dass es keine Flächen mehr gäbe.
Das ist eine klassische Analogie zum Automobilbau. Die deutschen Autohersteller haben ja auch lange
gesagt, das E-Auto rechnet sich nicht, und jetzt müssen sie aufholen. Die Immobilienbranche tickt genauso. Es hat ja keiner die Unkenrufe gehört. Natürlich gibt es Restriktionen auf alten aufgegebenen Industriegrundstücken, so dass ein Mittelständler, der eine neue Produktionshalle draufsetzen will, sagt, das passt ja nicht zu meinen Maschinen. Dann muss ich abreißen, hab‘ im Boden Altlasten und hab‘ dann Probleme mit der Finanzierung. Dann sagt er, das ist gar nicht mein Geschäft, sorg‘ dafür, dass ich eine neue Fläche finde.
Das kann man doch nachvollziehen.
Ja, aber es gibt doch für alle Probleme eine Lösung: Man kann umbauen, erweitern, mit der Kontamination im Boden nachhaltig umgehen. Das heißt, die Ärmel hochzukrempeln, es kostet Zeit und ein bisschen Geld. Wir müssen dafür werben, dass die Chancen im Bestand viel größer sind als die Risiken. Weisen Sie mal auf dem Acker ein neues Industriegebiet aus, was bedeutet das denn alles für Infrastruktur, Straßen, Kanäle, Verkabelung etc. Wenn Sie eine städtische Brache haben, ist alles da, vielleicht sogar im Überfluss. Man muss den Menschen, auch den Kommunen die Angst nehmen, dass ein Bestand ein Makel ist. Wir wollen Mitstreiter finden, die Politik wachrütteln, wir sind da auch bei der Landesregierung aktiv.
„Wir müssen feststellen, ob wir die Nachfrage mit dem Bestand lösen können“
Wie sind die Reaktionen in der Politik?
In der Politik fliegen die Türen sofort auf, vor fünf Jahren waren sie noch verschlossener. Aber das Thema
Klimawandel ist da, wir wissen, dass wir mehr tun müssen. Und der Druck bei Flächenbedarf ist enorm hoch. Sobald es um Wohnraum und Nachhaltigkeit geht, ist das Thema Flächenversiegelung und Nutzung der bestehenden Potenziale sehr spannend. Da haben wir enormen Rückenwind. Die Herausforderung ist, dass die Datengrundlage noch sehr schlecht ist. Wir haben hausinterne Forschungsprojekte, weil es keine Marktdaten gibt, wie hoch das Potenzial ist. Die Metropole Ruhr versucht es immer wieder zu messen. Das müssten wir mal deutschlandweit haben, um festzustellen, ob wir die Nachfrage mit dem Bestand lösen können.
Mit Blick auf Brachen und ungenutzte Immobilien muss das Ruhrgebiet doch für Sie die ideale Spielwiese sein.
Hier ist der ideale Nährboden für unsere Geschichte, hier leben ja auch die meisten Menschen. Das Thema hier ist, Sie haben zum Beispiel eine Brache in Recklinghausen und ein Unternehmen, das etwas im Ruhrgebiet sucht. Im Wettbewerb der Städte untereinander um das Unternehmen weist dann zum Beispiel Gelsenkirchen eine neue Fläche aus. Das Dilemma können Sie nicht lösen. Sie haben ja keine Instanz darüber, die sagt, du weist jetzt mal keine neue Fläche aus und dafür nutzen wir die Brache. Das Potenzial ist riesig, aber es kann nur gehoben werden, wenn alle mitziehen.
“Wir dürfen Wirtschaftlichkeit nicht nur an der Kaufmannsrendite messen“
Sie wünschen sich mehr Kontrolle und Steuerung?
Auf jeden Fall mehr Steuerung. Ich will nicht denjenigen bestrafen, der eine neue Fläche besiedelt. Wir müssen es erschweren. Die Besonderheit muss der Neubau ein, nicht immer der Bestand.
Aber am Ende entscheidet doch die Wirtschaftlichkeit.
In unseren Köpfen steckt drin, Bestandsimmobilien umbauen, oje, das kann richtig teuer werden. Aber das sind ja Gefühle, es ist nicht empirisch bewiesen. Wenn Sie es geschickt machen und die Bausubstanz erhalten, dann können Sie im Bestand deutlich günstiger umbauen als wenn Sie neu bauen. Die
Neubauauflagen sind ja enorm. Wenn Sie ein Bauunternehmen fragen: Sanier mir das mal und rechne mir alternativ einen Abriss plus Neubau aus -- was kommt raus? Klar: Abriss und Neubau ist für die günstiger, weil sie das besser können. Die Bauindustrie ist dafür auch gar nicht ausgebildet, die Techniken anzuwenden, den Bestand sinnvoll und effizient umzubauen. Ich bin vom ersten Studiengang her Architekt, ich habe im Studium nie im Bestand geplant, wir haben Museen auf der grünen Wiese entworfen.
Und leisten können ist ja nicht nur eine monetäre Frage. Es geht auch um die Co2-Betrachtung. Irgendwann messen wir ja nicht mehr, ob der Neubau günstiger ist, sondern ob die Co2-Bilanz günstiger ist. Momentan messen wir nur den Verbrauch von Gebäuden, nicht die Herstellung. Das wird aber kommen. Darüber hinaus dürfen wir Wirtschaftlichkeit nicht nur an der Kaufmannsrendite messen. Es gibt es ja auch eine soziale Rendite und eine ökologische Rendite.
„Wie Investoren oder auch Banken teilweise über das Ruhrgebiet reden, das ist katastrophal“
Beschreiben Sie mal eines Ihrer aktuellen Projekte.
Das Stadtbad Duisburg, ein ehemaliges Hallenbad in der Einflugschneise Marxloh, denkmalgeschützt, eine
Brache, auf der seit 20 Jahren alles stillsteht. Das bauen wir um. Da kommt das Jobcenter Duisburg rein. Eine aufgegebene Brache in einem Hotspot wie Marxloh. Wenn Sie da mit klassischen Immobilieninvestoren gesprochen haben vor drei Jahren, dann haben die gesagt, der Sassen spinnt, da kann man nichts machen. Die geben solche Städte ja auf, das darf man nicht vergessen, wie Investoren oder auch Banken teilweise über das Ruhrgebiet reden, das ist katastrophal. Jetzt kriegen wir Initiativ-Bewerbungen von Investoren, die es kaufen möchten. Das ist typisch für die Investorenlandschaft.
Aber solch aufsehenerregenden Projekte sind nicht die Regel, oder?
Wir machen natürlich auch profane Dinge. Die Immobilienwelt wird nur über High Class Projekte kommuniziert, Turm da, Museum dort. Aber die Masse, das sind ja Allerweltsgebäude, normale Wohn- und Bürogebäude, die nicht besonders schön sind. Sie prägen unser Stadtbild, und um sie müssen wir uns kümmern.
„Die Einkaufsstraßen sind wie ein Gebiss mit fünf Zähnen und lauter Lücken“
Die Kaufhäuser stecken in der Existenzkrise – muss die Innenstadt sich neu erfinden?
Die Handelsflächen müssen sich konsolidieren. Die Einkaufsstraßen sind für die heutigen Bedürfnisse viel zu lang. Das ist wie ein Gebiss mit fünf Zähnen und lauter Lücken. In Essen haben Sie vom Hauptbahnhof bis zum Limbecker Platz eine viel zu lange Lauflage. So viele Geschäfte gibt es gar nicht mehr. In Dortmund müsste man darüber nachdenken den Ostenhellweg als Handelslage aufzugeben. Man muss kürzen. Ob man dort dann wieder wohnt, es begrünt oder Büros nach unten zieht, muss man sehen. Das ist hart und unpopulär, aber was soll man anderes machen? Bei mehrgeschossigen Häusern wie Karstadt muss man in der Höhe konsolidieren und oben zumachen. Wohnen kann eine Möglichkeit sein, aber auch Logistik für das Warenhaus. Es braucht sehr mutige Bürgermeister, um solche Entscheidungen zu treffen.