Essen. Wie viel Rassismus steckt im Wort Mohr? Die Debatte erreicht jetzt auch Eisbecher im Ruhrgebiet, der Eisdielen-Wirt reagiert. Worum geht's?
Der Stein des Anstoßes ist eher weich und vermutlich lecker, aber jedenfalls dunkelbraun: einmal eine Birne, mit Schoko-Creme übergossen; einmal ein Vanille- und Schokoladen-Eis mit Schokoglasur. Auf der Karte des Eiscafés „Mörchens“ in Essen stehen die beiden Becher unter „Süße Träume“, aber davon kann seit dem Wochenende nicht mehr die Rede sein. Eher vom Gegenteil.
Denn die Becher heißen „Mohren-Birne“ und „Mohren-Kuller“, weshalb das Essener „Anti-Rassismus-Telefon“ den Gastwirt Dirk Hermanski anschrieb: Die Namen seien „eindeutig rassistisch“, man bitte um „zeitnahe“ Umbenennung.
Um Mohrenstraßen und Mohren-Apotheken gibt es seit Jahren Diskussionen
Und so hängt in Mörchens Schaufenster nun ein DIN-A-4-Ausdruck, auf dem Hermanski erklärt: Der Name gehe zurück auf den Mädchennamen seiner Mutter, Rita Mohr, und das Eis werde umgetauft. „Wir wollen niemanden verletzen“, so Hermanski. Es kommt, was kommen musste: Das Internet steht Kopf, und wie üblich auf höchstem Niveau („Minderpigmentierte Rassismus-Inquisitoren“).
Aber im Ernst: das Großproblem Rassismus, ausgetragen an Eisbechern in einem Ausgehviertel? Um viele Mohrenstraßen und Mohren-Apotheken in Deutschland gibt es seit Jahren Debatten, neue Namen für sie zu finden. Gegen die Mohrenstraße in Köln etwa ziehen die Jusos ins Feld, und ein Vertreter sagt, man sehe die Verantwortung, „auch nach oberflächlichen Ansatzpunkten zu schauen, um strukturellen Rassismus zu bekämpfen“.
Mohr wird „von der Mehrzahl schwarzer Menschen als diskriminierend wahrgenommen“
So kommt es auch, dass die österreichische Süßspeise „Mohr im Hemd“, ein Schokoladenkuchen mit Sahne, im antirassistischen Feuer steht. Der Haken daran ist: Sprache verändert sich ständig, noch vor 100 Jahren nahm niemand Anstoß an dem Wort „Nickneger“, heute ist es verschwunden, ja vergessen. Das war eine mechanische Apparatur in Kirchen, die einen Schwarzen darstellte, und er nickte, wenn man eine Münze für die Mission einwarf.
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Man darf risikolos unterstellen, dass niemand sein Mohren-Dingsbums irgendwann mal so getauft hat, um Schwarze zu beleidigen, natürlich nicht. Doch heute empfinden viele von ihnen den Begriff als rassistisch: Es handele sich um eine „Fremdbezeichnung“, sagt Tahir Della von der „Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland“: Und sie werde „von der Mehrzahl der schwarzen Menschen als diskriminierend wahrgenommen“.
In Sachen Mohren-Kuller hat inzwischen auch Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen (CDU) das Wort ergriffen: „Ob Eissorten im Jahr 2020 tatsächlich den zitierten Namen Mohr tragen müssen, ist natürlich zu hinterfragen“, meint er: Aber „das Aufdecken von sogenanntem Alltagsrassismus sowie das Vorgehen gegen Rassismus und Diskriminierung ist mir zu wichtig, um es an einer Eissorte aufzuziehen.“ Da bieten sich ersatzweise mehrere Essener Straßen an mit klarem kolonialem Bezug, etwa die Askaristraße oder die Tangabucht.
Umbenennung einer U-Bahn-Station in Berlin ist erst mal wieder gestoppt
In welche Untiefen solche Debatten führen können, zeigt sich gerade in Berlin. Dort beschlossen die Verkehrsbetriebe: Der U-Bahnhof „Mohrenstraße“ wird umbenannt nach dem russischen Komponisten Michail Glinka. Bis jemand herausfand, dass Glinka sich antisemitisch geäußert hatte.
Nun hat der Senat wiederum die Verkehrsbetriebe gestoppt, deren Sprecherin enthüllte, wie überaus gründlich man recherchiert hatte in Sachen Glinka: Dass er Antisemit gewesen sein soll, habe „bei Wikipedia bis vor kurzem noch nicht gestanden“. Wahrscheinlich gilt wie bei Mohren: Hinterher ist man immer schlauer. Was allerdings die Mohren-Kuller angeht: Ein Eis umzubenennen, geht das zu weit?