Essen. Sie haben Verständnis für Anwohner, aber keine Lust, mit Krachmachern in einen Topf geworfen zu werden: Ein Besuch beim Motorrad-Stammtisch.
„Kaufste dir für 18.000 Euro ein zugelassenes Motorrad, dann darfste das nicht mehr fahren, weil es auf einmal zu laut ist.“ – „Das ist ein Eingriff in die Bürgerrechte.“ – „Glatte Enteignung ist das.“ – „Absolute Heuchelei.“ – „Warum genehmigt das Kraftfahrt-Bundesamt dann erst so hohe Dezibelzahlen?“
Wir befinden uns am Stammtisch des Essener Clubs Motorradfreunde Burgaltendorf. Hier hat keiner an den Demos der Motorradfahrer am Wochenende teilgenommen, die Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) dazu brachten, die Forderungen des Bundesrates nach Verschärfungen zu kassieren. In Burgaltendorf treffen wir Tourenfahrer um die 60 Jahre, die auch die Perspektive der lärmgeplagten Anwohner mitdenken. Womöglich repräsentieren sie einen guten Durchschnitt. Aber auch bei ihnen ist der Druck noch lange nicht raus.
Das Gefühl der Tafelrunde ist: Erst wird der Diesel kaputt gemacht, dann der Verbrennungsmotor, nun die Motorräder und bald die Rasenmäher. „Ja, ein Rasenmäher hat 96 Dezibel“, sagt Wilfried Klöfers. „In fünf Jahren ...“
Ein generelles Wochenendfahrverbot war nie in der Diskussion
Doch zunächst herrscht am Stammtisch, wie wohl bei vielen Betroffenen, das Missverständnis, es sei ein generelles Wochenendfahrverbot im Anflug. Tatsächlich hatte der Bundesrat die Bundesregierung aufgefordert, „für besondere Konfliktfälle“ Tempolimits und zeitlich begrenzte Verbote zu ermöglichen – als Möglichkeit für Gemeinden.
Scheuer hatte dies abgelehnt mit einem Hinweis, der ebenfalls untergegangen ist im Lärm der Motoren: „Wir haben ausreichende, geltende Regeln.“ Tatsächlich sieht Paragraf 45 der Straßenverkehrsordnung vor, dass jede Kommune den Verkehr beschränken, verbieten oder umleiten kann, wenn es zu laut wird. Das ist in der Regel schon gerechtfertigt, wenn der Mittelungspegel über 70 Dezibel am Tag und 60 in der Nacht liegt. Was einem älteren Staubsauger entspricht. Doch den Städten der Eifel und des Bergischen Landes, die die Initiative angestoßen hatten, schwebten wohl größere Lärmschutzzonen vor.
„Ein Flickenteppich geht ja gar nicht“, sagt Markus Lueg, 59 – und erklärt, warum die Einschläge gefühlt näher kommen. „In Österreich darf man bestimmte Pässe auch nicht mehr fahren.“ Erst Mitte Juni hat Tirol einige Strecken verboten für Motorräder mit einem Standgeräusch über 95 Dezibel. Strafe: 220 Euro und Kehrtwende. Dies nimmt sich nun auch eine Initiative in der Schweiz zum Vorbild.
Einige neuere Modelle sind lauter
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Markus Lueg und Jutta Preußer haben Glück. Mit ihrer Triumph Tiger liegen sie unter der Schallgrenze. „Aber die Modelle ab Baujahr ‘18 sind lauter geworden, damit darf man in Österreich nicht mehr fahren.“ Diese Modellpolitik mehrerer Hersteller stößt in der Runde auf Ablehnung. „Wer will das denn!?“
„Ich habe früher auch lautes Zubehör gehabt“, sagt Wilfried Klöfers, 61. „Aber es geht einem irgendwann selber auf die Nerven. Ich fahr seit langem nur noch die Standardkonfiguration.“ Und wo liegt überhaupt der Reiz, möglichst laut zu sein? „Bei den Tourenfahrern ist es eher die Ausnahme. Aber bei Choppern und Supersportlern geht es oft darum, sein Motorrad zu individualisieren. Man will einfach auffallen.“
„Die Anwohner kann man ja verstehen. Aber es muss eben allgemein geregelt sein.“ – „Viele haben aber auch Zubehör, dass jenseits der Schmerzgrenze ist.“ – „Die sollen die Leute rausziehen, die zu laut sind.“ – „Nur wegen dieser Minderheit werden alle über einen Kamm geschoren.“ – „Ist die Polizei überhaupt in der Lage, die Lärmmessungen zu machen, personell und technisch?“ – „Ich bin ja kein Kfz-Meister. Aber so einige Motorräder, die vor Haus Scheppen stehen, müsste man abschleppen.“
„Es ist die Dauerbeschallung“
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Jutta Preußer ahnt: „Es ist nicht unbedingt die Lautstärke des einzelnen Motorrads. Es ist die Dauerbeschallung.“ Ihr fällt auch keine Lösung ein, aber sie würde gerne die Motorradfahrer und die Anwohner an einem Tisch wissen. Das passiert in der Initiative „Silent Rider“, auf die der Bundesratsbeschluss zurückgeht. Hier vertritt der Bundesverband der Motorradfahrer gegenüber den Städten eine Linie, die den Ansichten des Essener Clubs entsprechen dürfte: Härtere Kontrollen, strengere Zulassungsrichtlinien, die Hersteller sollen leisere Maschinen bauen. Dem Forderungskatalog von Silent Rider hat der Verband nicht zugestimmt.
Darin findet sich auch die Aufforderung an die Bundesregierung, die Halterhaftung (statt Fahrerhaftung) zu prüfen. Derzeit müssen geblitzte Motorradfahrer nur selten Strafe zahlen. Frontkennzeichen sind keine Pflicht, durch den Helm wird die Identifizierung des Fahrers erschwert. Tatsächlich haben die Verkehrsminister der Länder schon im März die Einführung einer allgemeinen Halterhaftung angeregt, also auch für Autofahrer. Umsetzen müsste sie Minister Andreas Scheuer. Auf mehrfache Nachfrage kommt aus seinem Ministerium keine Stellungnahme dazu.