Essen. Wegen der schleppenden Bearbeitung der Rückzahlungen werden nun Strafen gefordert. Das sagen Airlines, Politiker und Verbraucherzentralen.
Dagmar Wenzel wartet auf 2750 Euro. Seit nunmehr dreieinhalb Monaten. Die Lehrerin aus Dinslaken, die ihren richtigen Namen nicht veröffentlicht sehen möchte, wollte am 27. März mit der Lufthansa nach San Francisco fliegen, die Familie besuchen – Corona zerstörte ihren Wunsch. Im Juli war
ein weiterer Urlaub geplant, eine Brasilienreise mit einer Freundin. Die Lufthansa blieb am Boden, die Flüge von KLM und Air France sind seit Wochen annulliert. Rückerstattung? Bisher Fehlanzeige.
Dagmar Wenzel hat ein paar automatisierte E-Mails bekommen, Kernsatz: „Wir werden alle Anfragen so schnell wie möglich bearbeiten“. Sie verbrachte Stunden in den Warteschleifen überlasteter Callcenter. „Muss ich denn erst einen Anwalt einschalten?“, fragt sie nun. Vielleicht.
Flut von Anfragen bei der Verbraucherzentrale
So wie Dagmar Wenzel geht es immer noch Zehntausenden in Deutschland. „Wir stellen fest, dass es den Verbrauchern immer noch schwer gemacht wird, ihre Ansprüche durchzusetzen“, berichtet Marion Jungbluth, Touristik-Expertin beim Bundesverband der Verbraucherzentralen auf Anfrage. Auf vielen Internetseiten der Fluggesellschaften entstünde nach wie vor der Eindruck, dass man nur umbuchen oder einen Gutschein bekommen könne. „Wir haben immer noch eine Flut von Anfragen.“
Innerhalb von einer Woche muss laut Gesetz bezahlt werden
Die EU-Fluggastrechte sehen allerdings unmissverständlich vor, dass Airlines das Ticket innerhalb von einer Woche erstatten müssen. Der Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft hatte das bereits heftig kritisiert: Bei dieser Regel sei man von der Streichung einzelner Flüge ausgegangen, nicht von den Folgen einer Pandemie. Aus sieben Tagen sind in vielen Fällen nun allerdings schon Monate geworden.
Die Verbraucherzentralen haben bislang elf Verfahren gegen Gesellschaften angestrengt, fünf, so Jungbluth, lägen beim Anwalt, zwei davon bereits vor Gericht. Die Namen der Airlines will sie nicht nennen. Das Bundesverkehrsministerium schließt mittlerweile nicht einmal mehr Bußgelder gegen säumige Fluggesellschaften aus. Diese hatte der tourismuspolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Markus Tressel, am Dienstag gefordert. In den USA werden die Kunden laut „Handelsblatt“ schneller entschädigt. Dort droht ihnen bei Verzug allerdings auch der Verlust von Start- und Landerechten.
Fluggesellschaften beklagen Ausnahmesituation
„Wir befinden uns in einer absoluten Ausnahmesituation, wie sie die Luftfahrt noch nie erlebt hat“,
beteuert Florian Gränzdörffer, Sprecher der Lufthansa-Tochter Eurowings in Köln, auf Nachfrage. Erstattet würde tagtäglich in einem nie gekannten Ausmaß. „Bereits im Juni haben wir zweistellige Millionenbeträge an Kunden zurücküberwiesen.“ Ziel: In den nächsten sechs Wochen „die Ansprüche der Kunden, die am längsten auf die Rückzahlung warten, weitgehend abzuarbeiten“.
Man müsse das 10.000-fache des sonstigen Volumens bearbeiten, klagt Ryanair, deren Flieger unter anderem von Düsseldorf und Weeze aus starten. Mehr als 90 Prozent der zwischen März und Juni betroffenen Kunden sollen aber bis Ende Juli ihr Geld erhalten, versprach Manager Eddie Wilson laut einer Mitteilung des irischen Unternehmens. Man habe zusätzliche Mitarbeiter geschult, um den Stau zu beseitigen.
Überlastung ist kein Argument, sagen die Verbraucherzentralen
Die Überlastung mögen die Verbraucherzentralen nicht ohne weiteres akzeptieren. „Die Gesellschaften haben die automatische Rückerstattung mit Beginn der Corona-Krise abgeschaltet und auf manuelle Bearbeitung umgestellt“, erinnert Marion Jungbluth. „Dann dauert natürlich alles länger.“
Wollten die Airlines damit vor allem Zeit gewinnen?
„Die automatisierten Prozesse sind nicht für eine solche Vielzahl von Fällen, wie wir sie in dieser
besonderen Situation erleben, gemacht“, antwortet Lufthansa-Spreche Helmut Tolksdorf. „Um im Normalbetrieb eine schnelle Abwicklung der Zahlungs- und Erstattungsprozesse zu gewährleisten, erfolgen die Zahlungsvorgänge nämlich zunächst ungeprüft.“ Eine Kontrolle könne erst im Nachgang erfolgen.
Lufthansa will in sechs Wochen alles erledigt haben
Die Lufthansa habe etwa die Hälfte aller Anträge bearbeitet, in diesem Jahr rund eine Milliarde Euro erstattet, so Tolksdorf. Wie Eurowings wolle man in den nächsten sechs Wochen die Ansprüche der Kunden befriedigen, die am längsten warten. Lufthansa-Chef Carsten Spohr hatte die Kunden im Juni öffentlich um Verzeihung gebeten. „Was da passiert ist eine Frechheit“, hatte sich Thomas Bareiß, Tourismusbeauftragter der Bundesregierung, zuvor in der „Bild“ ereifert.
Und was bleibt Dagmar Wenzel nun? „Sie muss hartnäckig bleiben“, rät Marion Jungbluth, „Fristen setzen, notfalls ein Mahnverfahren einleiten. Auf den Seiten der Verbraucherzentralen finde sie aber auch einen Musterbrief.