Tirol sperrt Passstraßen für laute Motorräder, NRW fordert im Bundesrat strengere Zulassungs-Auflagen. Das Krach-Problem bleibt - vorerst.
Genug vom Dauerkrach: Das österreichische Bundesland Tirol hat seit 10. Juni einige beliebte Strecken für bestimmte Motorräder gesperrt – die Maßnahme sorgt für beleidigtes Rumoren in der Bikerszene. Von Willkür ist die Rede. Denn von der Maßnahme sind auch Motorräder betroffen, die ganz legal soviel Krach machen dürfen wie eine Metal-Band beim Live-Konzert.
Die Debattenlage um den zweirädrigen Lärm ist kompliziert – und Schuldzuweisungen gibt es zuhauf: zu laxe Gesetzgeber! Pubertäre Fahrer! Tricksende Ingenieure! Zuviele schwarze Schafe! Zuwenig Polizeikontrollen! Nur eines steht so gut wie fest: Motorräder (wie auch Autos) produzieren auch deswegen einen bestimmten Soundteppich, weil sie sich dann besser verkaufen.
Streckensperrungen als Dezibel-Notwehr
Streckensperrungen wie nun in Tirol sind quasi die Dezibel-Notwehr. Die Anwohner von beliebten Strecken im Sauerland, der Eifel oder im Bergischen Land können davon den Ohren-Blues singen. Der Krach an sonnigen Wochenenden in den idyllischen Landschaften ist mitunter infernalisch. Auch in Deutschland gibt es daher bereits etliche Strecken, die zeitweise für Biker geschlossen sind – für alle Biker.
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Die Tiroler Lösung ist so umstritten, weil sie die Lärm-Spreu vom zweirädrigen Weizen trennen will. Wer die Dezibel-Vorgaben von maximal 95 dB erfüllt, darf fahren. Die Lautstärke jedoch wird im Stand gemessen. Was bei der Fahrt passiert, steht auf einem anderen Papier. Das ist eines der Kern-Problem der Debatten: Wie wird gemessen und was wird gemessen? Aufgrund des wachsenden Drucks von Lärm-Gegnern hat der Bundesrat auf Antrag von Nordrhein-Westfalen im Mai beschlossen, dass die Lärmmessung für die Typzulassung von Motorrrädern so definiert werden soll, dass sie nur noch 80 Dezibel Lärm über alle Drehzahlen und alle Geschwindigkeiten produzieren dürfen. Ob und wann die Bundesregierung die Initiative aufgreift, ist offen. Zudem ist die Lärmmessung für die Typzulassung von Motorrädern europäisches Recht.
Leistungsbeschränkungen auf 25 kw?
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Paul Lohmar, Motorradexperte beim TÜV Rheinland, lässt beim Telefon-Interview durchblicken, dass er es nicht für wahrscheinlich hält, dass die NRW-Initiative in die Realität umgesetzt wird. 80 dB - das ist die Lautstärke eines Klaviers im Zimmer oder eines Staubsaugers. Wolle man das über das gesamte Leistungsspektrum erreichen, dann sei das sehr wahrscheinlich nur über eine erhebliche Leistungsbegrenzung machbar: „Dann haben Motoren künftig vielleicht noch maximal 25 kw“, prophezeit Lohmar.
Das Messverfahren ist der Knackpunkt
Das Messverfahren ist in der Tat ein Knackpunkt in dem Streit: Es ist normiert – damit es transparent ist, und es ist für ganz Europa normiert. Die Richtlinie dazu heißt UNECE 41.04 und findet ihren Niederschlag in §49 der StVZO und für neue Motorräder in der VO (EU) 168/2013. Darin wird festgelegt in welcher Entfernung (7,5 Meter), in welchem Gang und in welcher Geschwindigkeit gemessen wird. Im Gegensatz zur alten Verordnungen wird mittlerweile nicht nur die Vorbeifahrt gemessen, sondern auch der Beschleunigungsvorgang. In beiden Fällen darf die Maschine nicht lauter als 80 dB sein. Das gilt auch für Bikes, die ein Motor- und Auspuffklappenmanagement für sportliche Fahrweisen haben. Diese Regelungen werden in den kommenden Jahren zudem noch verschärft. Die nächsten Lärmauflagen treten 2024 in Kraft.
Soweit, so theoretisch leise. In der Praxis aber sind die Motorräder jenseits des Testszenarios weiterhin deutlich lauter, wie eine Untersuchung im Auftrag des Umweltbundesamtes jüngst ergeben hat. Das liegt dann unter anderem einfach an einer aggressiven Fahrweise: Gashahn auf und orgeln, was das Zeug hält. Auf der Basis des geltenden Rechts fahren laut Umweltbundesamt also Motorräder auf den Straßen, die über 100 dB Lärm (das ist die Lautstärke der besagten Metalband) fabrizieren können. Und: Die neuen Regeln gelten auch nur für neue Fabrikate: Ältere Maschinen unter den 4,5 Mio zugelassenen dürfen per Gesetz ebenfalls lauter sein.
Die schwarzen Schafe: je lauter, desto gut
Wie Experte Lohmar betont, gibt’s außerdem schwarze Schafe, für die das Motto gilt: Je lauter, desto gut. Auspuffanlagen werden manipuliert (und die sogenannten dB-Eater, also Lärmfresser, entfernt), es werden Nachrüstanlagen montiert, die die Lärmauflagen trickreich umgehen – und es wird illegal getuned, bis es knattert. Eine dieser Maschinen produziert dann soviel Lärm wie Dutzende normaler Bikes, so Lohmar – und beeinflusst damit dann sehr wesentlich die Wahrnehmung der Lärmkulisse durch die Anwohner.
Der konkrete Nachweis solcher Verstöße ist indes nicht leicht: Sogenannte Lärmblitzer, Anlagen, die automatisiert den Krach vorbeifahrender Fahrzeuge messen, sind derzeit noch in der Erprobungsphase: Das Problem ist das gleiche, wie bei der Typzulassungsmessung: Nach welchem Standard soll gemessen und dann auch rechtssicher geahndet werden? Im Gegensatz zur Geschwindigkeit ist Lärmmessung von sehr vielen Faktoren abhängig: Abstände, Winkel, Störgeräusche wie Wind etc etc Die Polizei hat mittlerweile zwar den Kontrolldruck an neuralgischen Strecken erhöht, aber auch diese Maßnahmen bleiben naturgemäß punktuell.
Motorradfahrer sollten Rücksicht nehmen
Die nicht gerade kleine Herde der schwarzen Schafe der Lärmproduzenten hält auch Achim Marten, Sprecher des in Essen ansässigen Industrie-Verbands Motorrad, für ein wesentliches Problem. Der Vorstoß der NRW-Regierung werde das Thema allerdings nicht lösen können: Er sei letztlich zu ungenau. Marten versteht allerdings auch die Nöte der Anwohner. Zum Motorradfahren gehöre Rücksichtnahme, betont er: Man dreht eben nicht exzessiv am Gashahn im Wohngebiet.
Aber die Menschen im ländlichen Raum leiden eben nicht nur unter den schwarzen Krawall-Schafen – sondern auch an der schieren Masse. Was hilft dann? Härtere Kontrollen und härtere Strafen für Manipulationen am Auspuff – ja sehr wahrscheinlich. Noch mehr Streckensperrungen – sie werden kommen. Das trifft dann zwar auch all diejenigen Motorradfahrer, die sich an die Regeln halten. Aber irgendwie sind ja doch alle Beteiligten ein bisschen Mitschuld an der jetzigen Lärm-Misere: Die Hersteller hätten die Zeichen der Zeit und den wachsenden Druck erkannt, so Marten. Er prognostiziert: Neue Modelle würden in Zukunft erheblich leiser werden. Das wäre auch früher schon möglich gewesen. Aber Marten betont auch: Dass sich Kunden beim Neukauf leise Motorräder wünschen, habe man in den vergangenen Jahren eher nicht feststellen können.