Dortmund. Alle Grundschüler sollen wieder täglich den Unterricht besuchen. Doch wie will man in dieser Situation die Schulpflicht durchsetzen? Ein Besuch.

"Wer freut sich nicht, dass er heute hier ist?" - Ein Finger. - "Und wer ist heute nicht da?" - Wieder ein Finger: "Der X ist zuhause geblieben. Der hat noch Angst." Der Klassenkamerad von X in der 3a der Dortmunder Petri-Grundschule sagt das nicht abschätzig, sondern im Ton einer nüchternen Feststellung: X darf selbstverständlich Angst haben, in die Schule zu kommen.

Es ist ja schließlich wieder mal alles anders an diesem Montag, an dem der Regelunterricht nach dem Corona-Lockdown startet - nur eben mit Regeln, die sich jede Schule selbst überlegen musste. Die Klassen sollen sich nicht mischen. Also sind versetzte Anfangs- und Pausenzeiten nun Standard. Doch in der Frühbetreuung und im Offenen Ganztag werden normalerweise die Klassen zusammen betreut. Hier wird nun also ein Vielfaches an Personal benötigt. Die Petri-Schule hat sich aus vielerlei logistischen Gründen entschieden, den Unterricht auf vier Stunden zu begrenzen.

Die Regeln wechseln alle paar Wochen

Wir hatten die Schule schon fünf Wochen zuvor besucht, zum ersten "Schulneustart": Zunächst galt der nur für die Viertklässler, wenige Tage später wurden alle Jahrgänge rollierend unterrichtet, also jedes Kind nur ein- oder zweimal die Woche, damit in Kleingruppen die Corona-Abstände eingehalten werden konnten. Nun, zwei Wochen vor den Sommerferien sollen plötzlich alle Grundschüler wieder in ihre normalen Klassen gehen, hat das NRW-Schulministerium recht einsam entschieden. Das Infektionsgeschehen ließe das zu. Lehrerverbände hatten davor gewarnt, Elternvertreter äußerten sich uneinheitlich. Die Landeselternschaft der Grundschulen in NRW begrüßte den Schritt.

Das Wort "Experiment" macht die Runde, auch an der Schranke der Petri-Schule, wo Schulleiter Juan Carlos Böck wieder jedes Kind einzeln in Empfang nimmt, um ihm und den Eltern bei Bedarf noch einmal die Regeln zu erklären. Der Zeitpunkt für den Neustart bedeutet auch: Es gibt in zwei Wochen einen automatischen Ferien-Lockdown, sollte es doch zu vermehrten Infektionen in Schulen kommen. "Das mag auch Sinn machen, wenn nicht die eigenen Kinder betroffen sind", sagt die Schulpflegschaftsvorsitzende Sandra Klempert (42). Sie lehnt einen "Feldversuch" ab, in den Eltern-Chats hätte sich keiner positiv geäußert.

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"Wie soll man den Kindern erklären, dass sie nun vier Stunden Backe an Backe da sitzen sollen, und im realen Leben müssen sie wieder die Abstände einhalten?", sagt Klempert. Die Petri-Grundschule hat selbst eine Lösung finden müssen. Sie haben die Tische nun im U aufgestellt statt in Gruppen "Es wird von oben etwas runtergeschüttet aus extremer Flughöhe. Und offenbar weiß man im Schulministerium nicht, wie es vor Ort aussieht. Das hat auch was mit Wertschätzung zu tun, auch für die Mitarbeiter des Landes."

Eine Lehrerin in der Ecke

Vor Ort also sieht es so aus, dass die Lehrerin I. sich vor ein weit geöffnetes Fenster setzt, das ihr seitlich als Schutz dient. Hier sollen die Kinder ihre Aufgaben abgeben oder ihre Fragen stellen, bei denen sie etwas zeigen müssen. Richtung Klasse hat Frau I. ihren Tisch mit einem kleinen Regal zu einer Abstandsbarriere umfunktioniert. Dies ist ein Sonderfall, denn Frau I. in ihrer Ecke sollte gar nicht hier sein.

Das Robert-Koch-Institut hatte die Risikogruppen neu definiert, die Faustregel, dass alle über 60 dazugehören, ist hinfällig. Alle Lehrer sollten sich privat auf die neuen Kriterien hin untersuchen lassen. Und Frau I. gehört weiterhin zur Risikogruppe, will aber trotzdem bei ihren Schülern sein. Darum behält ihre Klasse die Masken sogar im Unterricht an, das ist ansonsten nur auf den Gängen Pflicht.

Und so fehlen nur noch drei von 16 Kollegen an der Petri-Schule. "Doch manche sind mit einem mulmigen Gefühl hier", sagt Schulleiter Böck (38). "Ärzte haben ihnen zum Teil gesagt, dass sie Abstand halten oder die Maske anlassen sollen." Das ist im Grunde auch die Empfehlung des Schulministeriums - für den Alltag in einer Grundschuleallerdings nicht tauglich, findet Böck. "Wenn ich einem Kind etwas erklären will, bin ich automatisch näher als 1,50 Meter."

Wer setzt die Schulpflicht durch?

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Auch die Eltern zeigten sich überwiegend besorgt, sagt Böck. Eine Mutter hätte ihm erklärt, das Klinikum Dortmund, wo es vor einer Woche 15 Corona-Fälle gab, sei ihr zu nah. Wer könne garantieren, dass keiner Viren herüberträgt? Das scheint eine Einzelsorge gewesen zu sein, doch in ziemlich allen Klassen fehlen Kinder, mal eines, mal vier. Dabei gilt nun wieder die Schulpflicht.

Die Schulleiter sind in der Klemme, denn offiziell müssen sie alle Fälle verfolgen. Doch wie sinnvoll ist es, in dieser Situation, so kurz vor den Ferien ein Ordnungsgeld zu verhängen? Es gilt wohl eher, intensiv mit den Eltern zu reden und salomonische Lösungen zu finden. Zum Beispiel diese: Das Zeugnis zumindest muss persönlich abgeholt werden, um sicherzustellen, dass keine Familie die Situation ausnutzt, um früher in die Ferien zu starten.

Und so geht das große Erklären für Juan Carlos Böck an der Schranke zum Schulhof wohl noch einige Tage weiter, bis sich alles wieder eingespielt hat: "Du bist 2a. Du darfst dich dort aufstellen." - "Mohammed schon mal durchgehen bitte zur 2a." - "Dann müssen sie gleich anrufen und sagen, dass sie bis 12.10 Uhr in der Betreuung bleiben soll." - "Das geht nicht. Sie müssen ganz pünktlich sein. Das ist alles eng durchgetaktet." Schayid aus der vierten Klasse ist ein wenig zu früh da und muss warten. Gedämpft, nicht nur durch seine Maske, sagt er: "Natürlich war's vorher schöner. Und ich will, dass es wieder so wird."