Datteln. Das Kraftwerk Datteln 4 hat am Samstag seinen kommerziellen Betrieb aufgenommen. Umweltaktivisten und Bergleute haben dagegen demonstriert.
Das umstrittene Steinkohlekraftwerk Datteln 4 von Betreiber Uniper hat am Samstag seinen kommerziellen Betrieb aufgenommen – begleitet von zahlreichen Protestaktionen.
Mehrere Hundert Teilnehmer hätten „friedlich und weitestgehend störungsfrei“ protestiert, bilanzierte die Polizei am Sonntag. Die Aktionen an zehn Versammlungsorten seien nach rund acht Stunden beendet gewesen.
Wildes Plakatieren und Vermummung: mehrere Anzeigen
Die Polizei berichtete auch von kleineren Zwischenfällen: So habe es vier Ordnungswidrigkeitenanzeigen wegen wildem Plakatieren gegeben. Zudem seien drei Anzeigen wegen Verstößen gegen das Vermummungsverbot erstattet worden und von zwei weiteren Protestteilnehmern die Personalien aufgenommen worden, weil sie die Polizei behindert hätten. „Alle fünf Personen konnten nach Abschluss der Maßnahmen weiter an der Versammlung teilnehmen“, hieß es.
Auch seien gegen zwei Aktivisten Platzverweise ausgesprochen worden. Sie hätten sich von einer Brücke über den Rhein-Herne-Kanal abgeseilt und ein Plakat angebracht.
Die Proteste rund um das Kraftwerk begannen bereits am frühen Samstagmorgen. Greenpeace projizierte den Satz „Klimakrise - Made in Germany“ auf den 180 Meter hohen Kühlturm. Gegen 9.15 Uhr meldete die Polizei, dass der erste Protestzug auf der B235 gestartet sei. Die Bundesstraße war zwischenzeitlich gesperrt.
Proteste gegen Datteln 4 weitgehend friedlich beendet
Am Besucherzentrum an der Seilscheibe versammelten sich im Laufe des Vormittags verschiedene Gruppierungen, darunter Ende Gelände, Fridays for Future, Greenpeace und der BUND. „Wir richten beste Grüße an die offensichtlich inkompetente Regierung“, sagte Luisa Neubauer von der Umweltorganisation Fridays for Future. „Wir werden dieses Kraftwerk verhindern, wir werden es zum Stillstand bringen, wir werden diesen Konflikt gewinnen.“ Datteln 4 müsse wieder vom Netz gehen und das deutlich vor 2037.
Unter den Protestierenden waren am Samstag auch ehemalige Bergleute. „Wir kritisieren, dass der Steinkohlebergbau in Deutschland eingestellt und den Arbeitern gekündigt wurde, nun aber Kohle aus dem Ausland importiert wird, um Datteln 4 zu betreiben“, sagte Sebastian Suszka, selbst ehemaliges Betriebsratsmitglied.
Die Demonstranten hatten sich einiges einfallen lassen. Aktivisten von Extinction Rebellion entrollten entlang des Kanals ein langes rotes Banner – eine symbolische rote Linie. Am Mittag sprangen rund 20 Anhänger von Ende Gelände in den Kanal, um diesen zu blockieren. Wenig später wurden sie von einer Kanuflotte abgelöst. Nach Angaben einer Polizeisprecherin vom Samstagnachmittag verliefen die Proteste weitgehend friedlich. Um 16.30 Uhr teilte die Polizei mit, dass die letzte Versammlung beendet sei.
Datteln 4: Grünen-Chefin Baerbock spricht von „Irrsinn“
Die Bundesvorsitzende der Grünen Annalena Baerbock twitterte: „Was für ein Irrsinn, dass Datteln4 ans Netz geht. Wer Klimaschutz ernst nimmt, schaltet kein neues Kraftwerk an. Leidtragende sind Klima und Bahn, die den Strom zu überteuerten Preisen kaufen muss.“
Ähnlich Worte fand der Vorsitzende der Linken, Bernd Riexinger: „Ich wünsche allen viel Erfolg, die heute gegen das unsinnige Kohlekraftwerk Datteln 4 demonstrieren. Wir brauchen endlich eine sozialökologische Wende statt die Krisen nur zu verwalten!“
Fridays for Future schrieb auf Twitter in Anlehnung an eine Rede von Greta Thunberg: „Kohleausstieg in 18 Jahren. Neues Kohlekraftwerk Datteln 4 im Jahr 2020 ans Netz nehmen. Dörfer für dreckigen, überflüssigen Strom zerstören. Solar- und Windkraftindustrie sinnlos blockieren. Mit dem Finger auf andere Länder zeigen. #HowDareYou.“
Thunberg selbst meldete sich ebenfalls auf dem Kurznachrichtendienst zu Wort: „Heute ist ein beschämender Tag für Europa, da wir ein brandneues Kohlekraftwerk eröffnen. Wir haben uns verpflichtet, den Weg zu ebnen, um eine Klimakatastrophe zu vermeiden - und doch ist dies das Signal, das wir an den Rest der Welt senden? (...)“
Kraftwerk Datteln 4 ist zum Symbol geworden
Das Steinkohlekraftwerk im nördlichen Ruhrgebiet ist zum Symbol der Auseinandersetzung um die Energie- und Umweltpolitik in Deutschland geworden. Bundesregierung und NRW-Landesregierung betonen, dass im Gegenzug ältere Steinkohlekraftwerke abgeschaltet werden. Dadurch würden die zusätzlichen Kohlendioxid-Emissionen von Datteln 4 kompensiert. Das sei sinnvoller, als eine hohe Entschädigung zu zahlen. Uniper hatte angekündigt, bis Ende 2025 seine übrigen Steinkohlekraftwerke abzuschalten.
Dem widersprechen Umweltverbände. Der billige Strom aus Datteln werde umweltfreundlichere Alternativen vom Markt drängen, befürchten sie. Die Klimaaktivistin Luisa Neubauer hatte am Dienstag auf Twitter kritisiert, mit dem Anschalten von Datteln 4 „erlischt nicht nur der letzte Funken energiepolitischer Glaubwürdigkeit der Regierung“. Deutschland sende auch „ein fatales Signal um die Welt - wie sollte man danach noch andere Staaten zum Kohleausstieg drängen?“
Die Produktion der kommenden Jahre hat Uniper bereits zu großen Teilen an RWE und die Deutsche Bahn verkauft. RWE versucht bisher vergeblich, auf dem Rechtsweg aus den Verträgen herauszukommen. (mein/ mit dpa)