Dortmund. Die Kliniken operieren wieder, der Bedarf an Blutpräparaten ist groß. Doch die Konserven des DRK reichen nicht einmal mehr für drei weitere Tage.

Das Rote Kreuz „schreit“ nach Blut, sagt Alexander Dees, mehr als einmal. Er versteht das als Hilferuf in einer nie zuvor erlebten Notlage. Warum sonst säße er, der 75-jährige Ehrenamtler des DRK, Corona-Risikopatient, sonst wohl hier: an einem so sonnigen Tag, hinter einer Plexiglasscheibe, mit einer Maske vor Mund und Nase? Doch dieser Blutspendetermin im Pfarrheim von St. Magdalena in Lütgendortmund ist ein, ja, lebenswichtiger: Dem Blutspendedienst West gehen die Konserven aus. „Die Kliniken holen gerade all die verschobenen OPs nach, haben extremen Bedarf. Und in unserem Kühlschrank lagert nur noch ein Vorrat für 2,5 Tage“, erklärt Pressesprecher Stephan Küpper.

3.500 Blutspenden täglich decken den durchschnittlichen Bedarf

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Für vier Tage sollten die Blutkonserven mindestens reichen, gerade vor einem langen Wochenende. „In diesem Jahr“, gesteht Küpper, „blicke ich mit Sorge auf Pfingsten.“ Rund 700 Kliniken und Praxen in NRW, Rheinland-Pfalz und dem Saarland versorgt der DRK Blutspendedienst West mit Blutpräparaten – die teils sehr kurze Verfallsdaten haben. Blutplättchen (Thrombozyten) etwa sind nur wenige Tage lang verwendbar. 3.500 Blutspenden täglich werden benötigt, um den Bedarf decken zu können. Doch wegen der Corona-Pandemie, des öffentlichen Lockdowns, mangelt es derzeit daran. „Unsere etablierte Termin-Struktur ist komplett weggebrochen“, so Küpper. 650 Spendetermine etwa an Schulen, Unis oder in Firmen seien abgesagt worden. Das mache 26.000 Blutkonserven weniger als erwartet. „Jede einzelne Spende kann drei Leben retten“, erklärt Markus Lubich, der für Dortmund, Unna sowie Lünen zuständige DRK-Referent – und an diesem Tag, seinem Geburtstag!, persönlich vor Ort in St. Magdalena.

Lange bevor es losgeht, stehen die ersten schon vor der Tür von St. Magdalena. Die Menschen in Lütgendortmund wollen helfen. Man könnte ja selbst mal auf eine Blutkonserve angewiesen sein, sagen viele.
Lange bevor es losgeht, stehen die ersten schon vor der Tür von St. Magdalena. Die Menschen in Lütgendortmund wollen helfen. Man könnte ja selbst mal auf eine Blutkonserve angewiesen sein, sagen viele. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

An den Menschen hier wird es nicht scheitern, so viel ist sicher: Dutzende stehen in der prallen Sonne tapfer vermummt Schlange. 60 Blutspendewillige haben sich angemeldet. Das muss man in diesen Zeiten, auch wenn Herr Dees ein Auge zudrücken wird, bei denen, die es versäumt haben. Die ersten sind um halb vier da, 30 Minuten, bevor es losgeht und das „Entnahmeteam“ noch dabei ist, Abstände zwischen Liegen nachzumessen – so wie es die neuen Corona-Regeln erfordern. „Seit 30 Jahren spende ich Blut“, sagt Gabriele Krüger (65), allererste in der Reihe. Kürzlich habe sie sogar eine Ehrennadel dafür erhalten. Ihre Motivation? Sie spende, um zu helfen sagt Frau Krüger. „Und ich hoffe, dass, wenn ich mal Blut brauche, noch welches da ist.“ Vorder- und Hintermann nicken, man kennt sich. Auch sie sagen: „Wenn man was kann, sollte man es tun.“

Die Stammspender werden rar

Solche wie sie werden rar:. „Unsere „Stammspender“, erklärt Markus Lubich, „gehören zur aussterbenden Kriegs- und Nachkriegsgeneration.“ Die Jüngeren kämen vielleicht ein-, zweimal und dann oft nicht wieder. Das war schon vor Corona so, nun verschärft es die Lage. „Sicher, es gab immer Engpässe, in Ferienzeiten“, sagt Stephan Küpper. Aber das es je so „dramatisch“ war wie jetzt – daran kann er sich nicht erinnern. Und die Ferien kommen ja erst noch...

Früher wurde zur Bestimmung des HB-Werts ins Ohrläppchen gepiekst – heute muss es die Fingerkuppe sein: Corona-Regel. Gabriele Krüger ist dsa egal, sie kommt seit 30 Jahren her – „und jetzt erst recht“.
Früher wurde zur Bestimmung des HB-Werts ins Ohrläppchen gepiekst – heute muss es die Fingerkuppe sein: Corona-Regel. Gabriele Krüger ist dsa egal, sie kommt seit 30 Jahren her – „und jetzt erst recht“. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

Melina Jakumeit ist 26 – und trotzdem hier, wie oft zuvor. Das Pfarrheim sei ihr „Standardspendelokal“ sagt sie. Sie käme, weil es helfe „und so eine Spende einen irgendwie reinigt“. Alle sollten das tun, ergänzt sie später. „Gerade die in meinem Alter. Jeder kann doch der nächste sein.“ Auch ein junger Italiener ist gekommen, zum ersten Mal. „Ich wollte immer schon mal spenden“, erzählt er, habe aber ständig den Termin „verbaselt“. Jetzt, da wegen Corona echte Not am Mann sei, „ hab ich mir eine Erinnerung ins Handy geschrieben.“ So leicht geht das.

„Hab ein mulmiges Gefühl, keine Angst“

Er habe, räumt der Mann ein, durchaus ein „etwas mulmiges Gefühl, aber keine Angst.“ Niemand müsse sich Sorgen um eine Ansteckung machen, versichert Stephan Küpper. Für Blutspenden galten schon immer strenge Hygieneregeln, nun wurden sie wegen Corona noch einmal überarbeitet: Fieber etwa wird gleich zweimal gemessen, einmal noch bevor der Spender das Gebäude überhaupt betreten hat. Der bisher obligatorische Imbiss fällt aus, das Rote Kreuz spendiert stattdessen dicke Lunchpakete zum Mitnehmen. Die Liegen, auf denen Fachkräfte in Schutzausrüstung den Spendern exakt 528 Gramm Blut entnehmen, stehen lockerer als früher, selbst „Eheliegen“ wurden auseinander gerückt. „Abstand halten muss sein“, sagt Lubich. Aber auch das verschärft das Problem: Viele Räume, in den früher Blutspenden stattfanden, sind nun zu klein. Ersatz sei schwer zu finden, sagt Lubich.

Als Dankeschön gibt’s ein Tütchen mit Blumensamen

Gabriele Krüger ist längst wieder weg („hat nicht einmal länger gedauert als sonst“), doch im Pfarrsaal packt Rettungssanitäter Carsten Werner noch bis 19.30 Uhr Körbchen für alle, die kommen: Stauband steckt darin, Plastikbeutel mit Schlauch und integrierter Nadel, Proberöhrchen. Als kleines Dankeschön erhält jeder Spender heute zudem eine Tüte Blumensamen mit dem Aufdruck „Bienenweide“.

Auch der Klimaschutz, so will das Rote Kreuz damit wohl sagen, geht alle an.

Unter www.blutspendedienst-west.de finden Sie Blutspendetermine in Ihrer Nähe. Eine kostenlose Hotline ist für Fragen frei geschaltet: Tel: 0800 11 949 11.

INFO: Die Lange in anderen Bundesländern

In Berlin, Brandenburg und Sachsen reichen die Vorräte mancherorts nicht einmal mehr für einen weiteren tag.

s Sozialministerium rief in der vergangenen Woche offiziell zu Blutspenden auf. Hier und in Baden-Württemberg hatte das Rote Kreuz als erstes Alarm geschlagen.

In und Thüringen sollen bereits erste OPs abgesagt worden sein – um Blutkonserven zu sparen.