Essen. Der Essener Optiker Peter Seidel stellt nun Corona-Visiere her. Die sind hochpreisig, aber nicht nur Wachtmeister schätzen die Bruchsicherheit.
Es war zum Beginn des Lockdowns, als der Optiker Peter Seidel aus Essen-Borbeck eine Schutzmaske bauen wollte und sich an ein Detail aus dem Motorsport erinnerte. Sein Sohn Kai war dereinst mit zweieinhalb Jahren der jüngste Kart-Fahrer Deutschlands. – Auf der Schummi-Strecke? – Natürlich. Präzises, also verzerrungsfreies Sehen ist in dem Sport gefordert, dennoch sind die Scheiben aus Kunststoff. Genauer aus Polycarbonat. Die Corona-Visiere, die Seidel als Chef von „Optik Röcken“ nun herstellt, haben durch das Material aus dem Motorsport einige Eigenschaften, die sie zum Renner in Amtsgerichten machen. Und die sein Kontaktlinsen-Studio retteten.
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Eine Plastikscheibe, ein Schaumstoffstreifen und ein festgenietetes Gummi zur Befestigung am Kopf: Mehr ist es eigentlich nicht, was Seidel in seinem Schaufenster ausstellt – zum Preis von 49,50 Euro. Dabei gibt es Visiere im Internet schon für 10 oder 20 Euro, sofern lieferbar. Dentallabore in Witten und Bochum zum Beispiel stellen ebenfalls „Face Shields“ in Handarbeit her, zu einem Bruchteil des Preises, allerdings nutzen sie normales Plastik. Die Essener Hörakustikerin Sandra Bagus näht Masken mit Sichtfenster über der Mundpartie, speziell für Gehörlose und ihre Angehörigen, die Lippen lesen müssen. aber auch geeignet für Logopäden. Die Folie ist mit Klettverschluss lösbar um die Maske waschen zu können. Da erscheint das Visier aus Borbeck recht konventionell und nicht gerade günstig.
Bruchsicher, verzerrungsfrei und kratzfest
Es ist das Material. Polycarbonat, auch bekannt unter dem Markennamen Makrolon, gilt als bruchsicher, schlag- und sehr kratzfest, die Durchsicht ist verzerrungsfrei, zudem ist es leicht. Darum wird es auch bei Maschinenabdeckungen, Lichtwerbung, Polizeischilden oder Bootsscheiben eingesetzt. „Wir haben es auch mit allen Reinigungsmitteln getestet, es wird nicht blind.“ Dafür ist es ist auch nicht günstig. „Die reinen Materialkosten liegen bei rund 25 Euro“, erklärt Seidel. Und Makrolon ist derzeit kaum zu bekommen. Seidel trieb eine verkratzte Rolle in Recklinghausen auf, um mit einer Blechschere und einer Nietenzange seine ersten Exemplare zu tüfteln. Die Stellschnalle im Kopfband blieb immer in den Haaren hängen, also ersetzte Seidel sie mit einem Gummiband. Und als er seinen Prototypen stehen hatte, kaufte er den deutschen Markt für Makrolon (1mm) leer.
Die Menge reicht allerdings auch nur für rund 500 Masken. Mittlerweile lässt er die Schilde von einem befreundeten Unternehmer mit Laser schneiden. In seiner improvisierten „Fertigungsstraße“, wo normalerweise Brillen mit klitzekleinen Schräubchen repariert werden, sitzt er nun mit immer zwei seiner sechs Angestellten und schafft vielleicht 50 Visiere an einem unterbrechungsfreien Tag. Aber Brillen kauft ja auch kaum noch einer in diesen Zeiten.
Den Kunden Vertrauen geben
Das Geschäft ist fast völlig zusammengebrochen. Vielleicht zwei pro Woche verkaufe er noch, sagt er. Auch darum wollte Peter Seidel vor allem seine Mitarbeiter anderweitig auslasten. Auch mit den Visieren macht er keinen Gewinn, nur weniger Verlust. Das Kontaktlinsenstudio allerdings brummt .„Was läuft bei Ihnen anders“, hat sein Lieferant ihn gefragt. „Sie haben ja gar keinen Corona-Knick.“ Es liegt an den Masken, die seine Mitarbeiter benutzen und die den Kunden Vertrauen geben. Im Bereich der Kontaktlinsen ist die Kundenbindung enger, da konnte er seine Vorsichtsmaßnahmen erklären.
Ärzte zählen nun zu den Kunden, die die verzerrungsfreie Sicht schätzen. Logopäden ebenfalls. Und Pfarrer wie Steffen Hunder in Essen-Mitte empfehlen sich die Visiere gegenseitig weiter. Es war sicher Zufall, dass ein Mitarbeiter des Gladbecker Amtsgericht nebenan wohnte. Aber dessen Direktor Bernd Wedig schätzt die Vorzüge des Materials. „Es gibt im Internet natürlich günstigere. Aber die hier sind bequem und von der Haptik wertig. Unsere Wachtmeister haben ja viel Kontakt mit vorgeführten Menschen und Publikum.“ Handgreiflichkeiten passieren dabei im Grunde nicht, aber sicher ist besser.
Wedig empfahl die Visiere nach Witten, wo die Amtsgerichtsdirektorin Barbara Monstadt ebenfalls sagt: „Ich habe jedem Wachtmeister und Betreeungsrichter so ein Ding ausgehändigt.“ Zwar habe sie auf dem Dienstweg eine Lieferung mit Schutzkleidung bekommen, aber zwei Pakete Schutzhandschuhe, 100 OP-Einwegmasken und 20 FFP-Masken reichen eben nicht zum dauerhaften Betrieb eines Gerichts. Die Stabilität und Bruchsicherheit spielt hier die entscheidende Rolle. Und so machen die Masken aus Borbeck nun Karriere in mittlerweile fünf Gerichten. „Die Gerichtsvollzieher“, sagt Monstadt, „haben sich auch schon welche besorgt.“
>> Info: Erfüllt ein Visier die Maskenpflicht in Supermärkten?
Gesichtsvisiere entsprechen nicht den Anforderungen an eine Mund-Nasen-Bedeckung, wie sie in der Coronaschutzverordnung des Landes vorgeschrieben ist, erklärt das NRW-Gesundheitsministerium. Die entscheidende Anforderung sei, dass die Bedeckung durchgehend eng anliegend über Mund und Nase getragen wird. Durch die möglichst dichte Bedeckung von Mund und Nase werde eine zusätzliche mechanische Barriere gegen Übertragungen geschaffen. Zum Beispiel könnten auch Schals verwendet werden, aber diese sollten eben eng anliegend getragen werden. „Gesichtsvisiere sind demgegenüber zu mehreren Seiten offen (großer Luftraum)“, heißt es. „Sie können höchstens bei Personen, die aus medizinischen Gründen keine Bedeckung tragen können, ersatzweise verwendet werden.“
Auch für Beschäftigte gelte dies, so das Gesundheitsministerium. „Die Coronaschutzverordnung sieht zwar vor, dass die Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung für Beschäftigte etwa in Handelsgeschäften durch gleich wirksame Schutzmaßnahmen (Abtrennung durch Glas, Plexiglas o.ä.) ersetzt werden kann. Hier gilt es allerdings zu beachten, dass Gesichtsvisiere nicht als gleich wirksam einzustufen sind.“