Düsseldorf. 15.000 Kampfmittel mit Munition wurden 2019 in NRW gefunden. Da war der 2. Weltkrieg 74 Jahre her. Innenminister: noch Arbeit für Generationen.
Im Alter von 45 oder 46 Jahren hat Karl-Friedrich Schröder sich beruflich nochmal verändert und ist Bombenentschärfer geworden – wenn man sich doch verbessern kann. Da habe er „Glück gehabt“, sagt der 60-Jährige am Mittwoch und erinnert sich an „schöne Räumsituationen“, aber auch daran, dass der Trupp damals – 2005 – noch alle Bomben mit der Hand entschärft hat: „Man stand oder kniete ja direkt davor.“
Heute wird die Hälfte der Weltkriegsbomben in NRW aus der Ferne entschärft. Aber auch dazu muss jemand erst mal die Gerätschaften an der Bombe anbringen. Und weniger werden sie sowieso nicht. Scheinbar sogar mehr: Weil zuletzt viel gebaut worden ist, wurden auch mehr Bomben gefunden.
123 Tonnen Bomben, Granaten, Minen, Geschosse und Munition
Schröder ist am Mittwoch in Düsseldorf, wo Landes-Innenminister Herbert Reul (CDU) auf einer Pressekonferenz die Bilanz der nordrhein-westfälischen Kampfmittelräumer für 2019 vorlegt. Viele Seiten, viele Zahlen, dieses sind die wichtigsten. Sie haben ungefähr 123 Tonnen Bomben, Minen, Granaten, Geschosse und Munition geräumt, die zusammen 42 Tonnen Explosivstoff enthielten. Das klingt nach viel, das sind aber nur Durchschnittswerte: ein normales Jahr. 2160 Bomben machten sie unschädlich, davon 307 große Sprengbomben, das sind die, die dann immer in der Zeitung stehen.
Und 656 kleinere Bomben, Geschosse und Handgranaten aller Art wurden vor Ort gesprengt, weil sie zu transportieren zu gefährlich gewesen wäre. Die kleineren Kampfmittel liegen in der Regel höher, näher an der Luft, verwittern eher und können gefährlich werden; tief liegende Bomben, von Erde umgeben, sind weniger gefährlich. Selbstentzündung kommt bei ihnen praktisch nicht vor. Werde die Situation beim Entschärfen jedoch zu heikel, sagt Schröder, „kann man auch immer sagen: Wir sprengen. Egal, welche Schäden entstehen.“
„All diese Bomben sind Mahnungen im Boden“
Reul sagte, man müsse auch immer mitdenken, warum die Bomben da liegen: „All diese Bomben sind Mahnungen im Boden.“ Die nationalsozialistische Ideologie, die damit bekämpft wurde, habe sich nur stoppen lassen „durch die absolute Zerstörung des Landes, von dem sie ausging“.
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Bald die Hälfte der Weltkriegsbomben ist auf das spätere NRW gefallen. Denn im Westen Deutschlands ballte sich die Industrie, er war von England aus überaus schnell zu erreichen, und die Bomberpiloten mussten nicht erst noch stundenlang in höchster Gefahr das Reich überfliegen mit den Nachtjägern im Nacken.
„Wenn Sie eine Bombenverdachtsstelle aufmachen, haben Sie eine Wundertüte“
Und jetzt, auf den Tag 75 Jahre nach dem Ende des Krieges zumindest in Europa, räumen sie noch immer deren Hinterlassenschaften. Er habe bei der Arbeit keine Angst, erzählt der Hagener Schröder, aber „man ist sehr konzentriert, damit man auch noch an die 50. oder 200. Bombe mit der nötigen Anspannung herangeht“. Arbeitsunfälle passierten „nicht den Anfängern, sondern den alten Hasen und Häsinnen“. Allerdings gab es den letzten toten Entschärfer in NRW 2008, bei einem Unglück im Munitionszerlegebetrieb Hünxe im Nordwesten des Ruhrgebiets.
Schon seit Jahren finden die Räumer die meisten Bomben, indem sie Luftbilder der englischen Luftwaffe aus den Kriegsjahren auswerten. Sie haben 2019 allein über 33.000 geplante Bauplätze mit den Fotos abgeglichen. „Wenn Sie eine Bombenverdachtsstelle aufmachen, haben sie eine Wundertüte“, sagt Schröder: Die vermeintliche Bombe könne sich auch als Eisenstange entpuppen. Das war auch sein Beruf, Luftbilder auszuwerten, bevor er sozusagen an die Front ging.
Erst Karfreitag fand ein Spaziergänger in Köln noch eine 500-Kilo-Bombe
Doch neben der Entdeckung durch systematisches Suchen hören auch Zufallsfunde nicht auf: 2050 mal kam das vor im letzten Jahr in NRW, dass jemand vor einem alten Kampfmittel stand. Im eigenen Garten, beim Pilzesammeln, im Wald, am Fluss. Erst an Karfreitag 2020 fand ein Spaziergänger in Köln noch eine 500-Kilo-Bombe.
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Und kurz zuvor mussten 13.000 Menschen in Dortmund ihre Wohnungen verlassen, mussten Krankenhäuser und Seniorenheime geräumt werden, damit zwei schwere Bomben entschärft werden konnten. Die Aufgabe, sagt Reul, „beschäftigt noch Generationen“.