Ruhrgebiet. In Hattingen liegt einer der wenigen Spielplätze im Ruhrgebiet, den Kinder noch besuchen dürfen. Mit Termin und Ausweis. Eltern sind begeistert.

Der Weg zum Spielplatz führt durch ein mannshohes Tor, das eigentlich sorgsam verriegelt ist; „Tor 6 Anlieferung“ steht auf dem Schild, was auch nicht direkt dafür spricht, das Emma, Paul und Carl an diesem Morgen wirklich auf dem richtigen Weg zum Spielplatz sind. So, noch unter den riesigen Gasrohren her, rechts herum, den Hochofen im Rücken. Und die Ausweiskontrolle natürlich: Gehören auch alle Besucher zu ein- und derselben Familie? Es ist: Expedition Spielplatz im Jahr 2020. Alles andere als ein Kinderspiel. Danke, Corona.

Das „Rackerwerk“ auf dem Gelände des LWL-Industriemuseums Henrichshütte in Hattingen ist einer der wenigen Spielplätze im Ruhrgebiet, den Familien mit Kindern zur Zeit besuchen können. Sie bekommen einen Termin, einen eigenen Slot, und landen halbwegs in der alten Normalität. Sieht man einmal davon ab, dass sie unter sich bleiben. „Super, dass das überhaupt geht, hier ein bisschen Abwechslung zu finden“, sagt Anna Haep aus Hattingen: „Und die Kinder können ihre Energie rauslassen.“

„Ich hab dem Opa doch auch schon mal die Angst weggemacht“

Paul mit einer kleiner Stärkung zwischendurch. Auf dem Spielplatz dürfen nur Kinder aus jeweils ein- und derselben Familie zugleich sein.
Paul mit einer kleiner Stärkung zwischendurch. Auf dem Spielplatz dürfen nur Kinder aus jeweils ein- und derselben Familie zugleich sein. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Die 35-Jährige ist mit ihrer Schwester Lea (31) gekommen, aber die eigentlichen Spielkinder sind die beiden natürlich nicht: Das sind ihre Kinder Emma (5), Paul (3) und Carl (acht Monate). Während Lea Haep mit unterschiedlichstem Erfolg ihr Baby vor allem daran hindern muss, sich diese interessanten Kieselsteine aus dem Sandkasten in den Mund zu stecken, machen Paul und Emma ein altersgerechtes Fass auf.

Ihr eigenes Spielzeug packen sie aus, „Mama, haben wir den Bagger dabei?“ Paul begeistert sich gerade an Sandduschen mit den Kieseln, Emma bearbeitet ihre Mutter, mit auf die Rutsche zu gehen. So ein Trum von 14 Metern Höhe ist das. „Ich hab’ dem Opa doch auch schon mal die Angst weggemacht!“, sagt Emma. Dann rutschen sie. Man hört ein Kreischen in der Röhre. Von wem auch immer.

Kein Verein, kein Unterricht, keine Freunde: Bewegungsdrang bleibt unerfüllt

Nach Absprache mit der Stadtverwaltung Hattingen vergibt das Museum den Spielplatz viermal täglich für jeweils 100 Minuten, dazwischen räumen Mitarbeiter auf und desinfizieren. „Zehn Minuten glüht die Telefonleitung“, sagt Robert Laube, der Museumsleiter, beginnend bei denen, die zu früh anrufen, bis zu denen, die den letzten Termin für den nächsten Tag bekommen. Menschen aus Hattingen rufen da an, aus Essen, aus Wuppertal, von noch weiter her. Gibt ja sonst nichts.

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Man habe ein „Motiv als Mitmenschen“, sagt Robert Laube, der Leiter, habe selbst Kollegen, die sich derzeit auf Elternschaft konzentrieren müssten. Und Kinder könnten ihren Bewegungsdrang gerade weder im Sportunterricht noch im -Verein ausleben, nicht auf Spielplätzen und nicht beim Spiel mit Freunden. Aber natürlich wolle auch das Museum in der Coronakrise erkennbar bleiben: „Kultur ist das, was die Menschen machen, aber die Affen nicht,“ sagt Laube.

In Sprockhövel vergibt ein Verein Aufenthalte in einer Grünananlage

Das einzige entfernt vergleichbare Projekt läuft im benachbarten Sprockhövel und war auch das Vorbild für das Rackerwerk. Der Verein „Sunshine4kids“, der sich eigentlich um Kinder in schwierigen Lebenssituationen kümmert, vergibt derzeit exklusive Aufenthalte für jeweils einzelne Familien in seiner Grünanlage. Aber welches Kind ist gerade auch nicht in einer schwierigen Lebenssituation? Hier können sie mit ihren Eltern eine mehrstündige Auszeit von Stress und Enge nehmen. Hühner, Igel und Meerschweinchen laufen auch noch herum.

Lea Haep hütet ihr Baby Carl, das noch nichts vermisst. Paul lässt Kiesel rieseln.
Lea Haep hütet ihr Baby Carl, das noch nichts vermisst. Paul lässt Kiesel rieseln. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Auch hier sind die Besucher äußerst dankbar. „Wir wollten und mussten einfach mal etwas anderes sehen“, sagt eine zweifache Mutter aus Hattingen: „Zuhause fällt einem ja die Decke auf den Kopf.“ Die Chefin des Vereins, Gaby Schäfer, will das Angebot weiterführen, auch wenn demnächst alle Spielplätze wieder öffnen sollten: „Es ist einfach toll, wie die Kinder sich freuen.“

Kinder spielen „zusammen“, indem sie sich über Handys sehen

Auf dem Rackerwerk haben sich Emma und Paul gerade drauf versteift, Kiesel in Eimer zu packen und auszuschütten; Carl wartet weiter entschlossen darauf, sie sich in den Mund zu stecken. Was für ein Unterschied zum Alltag: Man sei zwar häufig draußen, laufe, fahre Fahrrad, sagt Anna Haep, aber die sozialen Kontakte der Kinder seien auf Null reduziert: „Das ist schon hart für sie.“ Ihre Freunde sähen sie nur übers Handy, stellten die dann aufrecht hin und spielten „zusammen“ Lego oder Schleich. Oder frühstückten „zusammen“.

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Da wir gerade beim Hunger sind: Brote und Obst haben die Mütter mitgebracht, was zu trinken, fast wie für ein Picknick. Ja, ein Picknick. Lea Haep sagt es so: „Das ist ja ein richtiger Ausflug und nicht, einfach mal so auf den Spielplatz zu gehen.“ Kein Kinderspiel. Danke, Corona.

>>>>>>>>> Infos, Anmeldungen und Kontakte

Das LWL-Museum Henrichshütte vergibt Termine immer für den Folgetag: montags für dienstags, dienstags für mittwochs undsoweiter. Anmeldungen täglich ab 10 Uhr unter 02324 924 7111. „Sunshine4kids“ will sein Angebot aufrechterhalten, auch wenn andere Spielplätze jetzt bald wieder öffnen sollten. Gründerin Gaby Schäfer bittet interessierte Eltern um eine Whatsapp-Nachricht unter 0160 748 0539.