Mülheim. Keine Schutzkleidung, massiver Patientenrückgang und dennoch systemrelevant: Physiotherapeuten und Ergotherapeuten fordern mehr Unterstützung.

„Systemrelevant - das ist natürlich eine Ehre für uns“, sagt der Physiotherapeut Axel Schwarz. „Wir stehen ja sonst immer hinten dran.“ Allerdings geht diese neue Wertschätzung nicht mit Unterstützung seitens der Politik einher, findet Schwarz. In seiner Praxis in Mülheim-Saarn hat der 45-Jährige nur darum Schutzmasken verteilen können, die guten der Schutzklasse FFP2, weil seine Frau sich an eine Packung im Keller erinnert hatte. War mal fürs Möbelschleifen gedacht … Die werden nun wieder und wieder getragen und abends zum Trocknen aufgehängt.

„Der Rückgang ist massiv“

Physiotherapeut Christoph Biele demonstriert in Herne an seiner Mitarbeiterin Sara Ruiz de los Panos Bargueno eine Untersuchung des Ellenbogengelenks.
Physiotherapeut Christoph Biele demonstriert in Herne an seiner Mitarbeiterin Sara Ruiz de los Panos Bargueno eine Untersuchung des Ellenbogengelenks. © FUNKE Foto Services | Rainer Raffalski

„Wir sind schon sehr nah am Patienten“, sagt Schwarz, „und auch lange in einem kleinen Behandlungszimmer mit den Menschen, wenn wir zum Beispiel an der Wirbelsäule behandeln.“ Therapeuten – das schließt Ergotherapeuten, Logopäden und Podologen ein – müssen sich auf dem Markt nach Schutzkleidung umschauen, doch der ist so gut wie leergefegt. Schwarz selbst trägt normalerweise Kontaktlinsen, ist aber nun auf Brille umgestiegen, da die einen geringen Spuckschutz bietet. „Wegen der Maske beschlägt die nun bei jedem Atemzug — zur Belustigung der Patienten.“ Weil das Atmen in diesen Baumarkt-Masken anstrengend ist, „tragen einige Kollegen lieber selbstgebastelte Stoffmasken“, berichtet Schwarz. Die Praxen sollten bei der Verteilung von Schutzmaterialien „dringend mit berücksichtigt werden“, fordert denn auch der Deutsche Verband für Physiotherapie (ZVK).

Zumindest offiziell können angestellte Physiotherapeuten der Arbeit nicht fernbleiben aus Angst vor Ansteckung, ebensowenig wie Supermarktkassierer oder Kindergärtnerinnen. Eine der vier Angestellten von Axel Schwarz gehört allerdings wegen Multipler Sklerose tatsächlich zur Risikogruppe und ist darum sinnvollerweise krankgeschrieben, eine andere wegen ihrer Schulter. So kommt es, dass er noch keine Kurzarbeit beantragen musste. Denn auch in Saarn bleiben Patienten fern, weil sie sich nicht sicher fühlen – wenn auch in geringerem Maße als im Schnitt.

Massiver Patientenrückgang in den Praxen

„Der Rückgang in den ambulanten Praxen ist massiv und liegt nach unseren Informationen zwischen 50 und 90 Prozent“, erklärt ZVK-Sprecherin Ute Merz. „Wie stark eine Praxis betroffen ist, hängt vom ärztlichen Verordnungsverhalten und dem Patientenklientel ab.“ Merz glaubt, dass die Lage für einige Praxen bereits existenzbedrohend sei. Es geht den Praxen damit nicht anders als vielen anderen Kleinbetrieben — auch wenn sie systemrelevant sein sollen. „Um den Fortbestand der ambulanten therapeutischen Versorgung – insbesondere auch mit Blick auf die Zeit nach Corona – dauerhaft zu sichern“, fordert der ZDK weitere Ausgleichszahlungen und Lösungsvorschläge von der Bundesregierung. Die Corona-Soforthilfen über 9.000 oder 15.000 Euro auf drei Monate (je nach Größe) helfen nur bedingt. „Kurzarbeitergeld und Liquiditätskredite sind keine dauerhafte Lösung für die etwa 160.000 Physiotherapeuten, die in der ambulanten Versorgung bundesweit tätig sind“, heißt es von der Interessenvertretung.

Theoretisch können Physiotherapeuten zwar weiterhin in Altenheimen und Krankenhäusern tätig sein, praktisch ist das nur in Ausnahmefällen möglich. Fast alle Behandlungen sind abgesagt. Axel Schwarz hat das Glück, dass Heimbesuche nur einen geringen Teil seines Geschäfts ausmachen. „Jeden Mittwoch- und Freitagvormittag bin ich normalerweise im Wohnstift Uhlenhorst, um ungefähr zehn Patienten zu helfen.“ In Corona-Zeiten darf er noch eine Dame behandeln, theoretisch, aber hier fehlt momentan das Rezept. Dabei hätten seine anderen älteren Patienten die Therapie aus seiner Sicht ebenfalls weiter nötig. „Einer hat nach seinem Schlaganfall gerade wieder einen halben Flur laufen können“, sagt Schwarz. „Was man erreicht hat, geht nun wahrscheinlich wieder verloren“ – vor allem wenn die Situation anhält.