Ruhrgebiet. Lokführer Matthias Wilke fährt immer noch Bahn-Pendler durchs Ruhrgebiet. Aber so leere Bahnhöfe wie in Corona-Zeiten hat er noch nie gesehen.
Einfahrt Recklinghausen Hauptbahnhof, Matthias Wilke muss sich aufs Bremsen konzentrieren, aber „ein Sekündchen“, sagt er, grübelt er doch: „Mensch, was ist das leer hier!“ Zehn, vielleicht 15 Leute warten an der Bahnsteigkante auf den Zug, den der Lokführer jeden Tag durchs Ruhrgebiet steuert. Hunderte sind es sonst. In Corona-Zeiten ist alles ruhiger, Wilke fährt trotzdem.
Gelsenkirchen immer um sieben nach, Essen um 15, Matthias Wilke hat die Zeiten im Kopf; er sagt, das ist wie eine Computer-Tastatur, die man blind bedient. Er fährt weniger häufig in diesen Wochen, „seinen“ Regionalexpress 2 oder den RE 42, beide vom Münster- ins Rheinland und zurück. Und er fährt weniger Menschen. „Es kommt alles zur Ruhe“, sagt der 49-Jährige, „wie am ersten Weihnachtstag, wenn alle Geschäfte geschlossen sind.“
Eine „Stimmung“ im Bahnhof wie sonntagsfrüh um drei
Die Bahnhöfe „leergefegt“, „kein Mensch da“, wenige Passagiere in seinem „lokbespannten Doppelstockzug“ der Baureihe 146. Eine Stimmung sei das, findet Wilke, „wie sonntagmorgens um drei“. Wobei „Stimmung“ der falsche Begriff sei: „Es ist ja keiner da, der irgendeine Stimmung macht.“ Die Berufspendler noch, früh zwischen sechs und acht, eilig wie immer; aber auch sie sind noch höchstens halb so viele. Manchmal, wenn Matthias Wilke etwas Aufenthalt hat, dann geht er hinunter in die Bahnhofshalle. „Früher“, vor Corona, hat er sich hingesetzt auf einen Kaffee, aber das geht ja nun nicht mehr. Anfangs fand er die Leere „beängstigend“, inzwischen immer noch „bedrückend“.
Nun ist der Triebfahrzeugführer der DB Regio in NRW in seinem Führerstand immer allein – was jetzt sein Vorteil ist. Niemand muss extra einen Bogen um ihn machen, er hält Abstand ohnehin, und an den Endstellen wird sein Arbeitsplatz gereinigt und desinfiziert. Aber nun gibt es auch kein kurzes Pläuschchen mehr hinauf zu seinem Fenster, „schönes Wetter heute“, „guten Tag noch“: Matthias Wilke, der seit 28 Zug fährt, hätte seine Bahn viel lieber voll.
Ein Rädchen im Bahn-Getriebe
Im Bahnhof schaut er zuweilen nach hinten, wo die Menschen sonst dicht an dicht stehen, manchmal drängeln und schieben, nun sieht er die Wenigen, die zur Arbeit müssen so wie er. Wie sie die Türen mit dem Ellenbogen öffnen oder mit dem Knie, wie sie sich bemühen, Abstand zu halten. „Die Reisenden setzen voraus, dass wir fahren“, sagt der Familienvater, „am besten pünktlich.“
Das will auch Wilke, der es nicht gern hat, wenn er den Fahrplan mal nicht einhalten kann. Er sagt, er sei „ein Rädchen im Getriebe“, er macht das gern und vermisst die „schöne bunte Mischung“, die sonst mit ihm fährt von Norden her durchs Revier. Neben den Leuten, die zur Arbeit müssen, Fußballfans, Junggesellenabschiede, Kegelclubs, sie alle sind derzeit unter Corona-Verschluss.
Nach der Corona-Krise langsam wieder ans Bahnfahren gewöhnen
Wenn sie wiederkommen, wann immer das sein wird, wird Matthias Wilke lachen vor Freude unter seinem gezwirbelten Schnurrbart. Sie sollen nicht alle auf einmal wieder einsteigen, „eng gedrängt und jeder hat Angst“, er hofft, dass die Menschen Zeit bekommen, sich „langsam wieder daran zu gewöhnen“. Aber sie werden wiederkommen, davon ist er überzeugt: „Alles wird gut“, das ist sein Wahlspruch. Und bis dahin: Gesund und munter bleiben, „Händewaschen, wo immer es geht“. Und Abfahrt!
>>INFO: FAHRPLAN-EINSCHRÄNKUNGEN IM NAHVERKEHR
So lange die Maßnahmen der Regierung zur Eindämmung der Corona-Pandemie nicht gelockert sind, fahren die Eisenbahnverkehrsunternehmen gemeinsam dem Verkehrsverbund Rhein-Ruhr, Nahverkehr Rheinland und Zweckverband Nahverkehr Westfalen-Lippe auf der Schienen einen Sonderfahrplan.
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Er gilt vorerst bis einschließlich 19. April. Das Angebot ist auf den meisten Linien deutlich reduziert, insgesamt um etwa die Hälfte der sonstigen Leistungen. Derzeit werden Ausweitungen der Kapazitäten ab dem 20. April vorbereitet. Fahrgäste werden gebeten, trotz des guten Wetters auf Freizeitfahrten zu verzichten. Alle Infos dazu auf https://www.mobil.nrw/corona.html .
Die Deutsche Bahn hält zurzeit zehn Reisezentren in NRW geöffnet, darunter im Ruhrgebiet Dortmund und Essen. Nachtverkehre an Wochenenden fallen grundsätzlich aus. In S-Bahnen, Regionalbahnen und Regionalexpress-Zügen sollen maximal 50 Prozent der Sitzplätze besetzt sein, damit die Infektionsgefahr so gering wie möglich bleibt. Fahrgäste werden darum gebeten, auf Freizeitfahrten zu verzichten.